Ein Comeback für den »Power Broker«?
New York erinnert sich an Robert MosesEr selbst verglich sich gerne mit Baron Haussmann, den er für seine großangelegte Modernisierung von Paris bewunderte.[1] Seine Gegner erinnerte er dagegen mitunter an Josef Stalin, mit dem ihn die Überzeugung verband, dass der Zweck noch jedes Mittel gerechtfertigt habe.[2] Die Rede ist von Robert Moses, dem „Masterbuilder“ von New York, der als einflussreichster und zugleich umstrittenster amerikanischer Stadtplaner der Moderne in die Städtebaugeschichte einging.
Viele Vorhaben, die Moses im Laufe seiner beispiellosen Karriere im öffentlichen Dienst realisierte, wie zum Beispiel das Lincoln Center oder die zahlreichen öffentlichen Schwimmbäder und Parks, die Moses im Rahmen der Investitionsprogramme des New Deal errichten ließ, werden bis heute sowohl von ExpertInnen als auch von New Yorker BürgerInnen geschätzt. Und trotzdem sind es weniger die Errungenschaften Moses’ als vielmehr seine verschrobene Persönlichkeit, seine fragwürdigen Methoden sowie die häufig zerstörerischen Folgen seines Handelns, die das Bild von Robert Moses in der Öffentlichkeit in den letzten Jahrzehnten prägten.
Entscheidend zu diesem Bild Moses beigetragen hat Robert Caros 1974 erschienene und 1975 mit der Pulitzer-Preis augezeichnete Biographie The Power Broker - Robert Moses and the Fall of New York[3] Caros über 1200 Seiten schweres Epos, das in den USA zu den Klassikern der Stadtliteratur zählt, präsentiert Moses’ Leben als eine Art Faustsche Tragödie. 1881 als Sohn deutsch-jüdischer Eltern in Connecticut geboren, habe Moses seine Karriere im Bau- und Planungsbereich als Idealist begonnen, der wichtige Reformen im Staat New York und in New York City durchführte, das Vertrauen in den bis dato von Korruption und Inkompetenz geprägten öffentlichen Sektor wiederherstellte und der Region zwischen 1920 und 1950 durch eine Reihe wegweisender Infrastrukturprojekte – Brücken, Tunnels, Parks und Wohnungen – ein neues Antlitz verlieh. Der Erfolg seiner Projekte, sein politisches Know-how sowie sein Talent, sich als effizienter und selbstloser Bürokrat in der Öffentlichkeit zu profilieren, erlaubten es Moses, wie Caro schreibt, so gut wie alle wichtigen Ämter im Bau- und Planungsbereich New Yorks in sich zu vereinen und seine dem Leitbild der städtebaulichen Moderne verpflichtete Vision einer ganzheitlichen und umfassenden Überplanung New Yorks voranzutreiben – gegebenenfalls auch ohne demokratische Legitimation. Frühere Projekte Moses‘ wie Jones Beach, die Triborough Bridge, Riverside Park oder Stuyvesant Town waren, wie Caro anerkennt, obwohl sie häufig die soziale Herkunft des aus wohlhabendem Hause stammenden Moses widerspiegelten, qualitätvoll, städtebaulich bedeutend und deshalb zurecht populär.
Bei vielen seiner späteren Projekte, wie z.B. dem von ihm geplanten Autobahnnetz in Lower und Midtown Manhattan, sah sich Moses hingegen mit massiven Protesten konfrontiert. AktivistInnen wie Jane Jacobs beklagten, dass Moses der Stadt nach Gutsherrenart seinen Willen aufdrückte und New Yorks städtebaulicher Integrität und sozialer Balance durch einen beispiellosen Prozess „kreativer Zerstörung“ schweren Schaden zufügte. Eine Entfremdung zwischen Moses und dem von ihm verkörperten Planungsverständnis auf der einen und einem wachsenden Teil der New Yorker Bevölkerung auf der anderen Seite war die Folge. Moses setzte seine stetig radikaler werdenden Umbauvorhaben Caro zufolge unbeirrt fort und verwandelte sich, statt auf die wachsenden Proteste zu reagieren, zusehends in einen destruktiven, amoralischen und auf seinen eigenen Machterhalt bedachten Egozentriker, bevor er nach einer Reihe politischer Niederlagen und Skandale 1968 sein letztes wichtiges Amt als Vorsitzender der Triborough Bridge and Tunnel Authority verlor. Moses’ ursprünglicher Nimbus als nahezu allmächtiger, jedoch dem Allgemeinwohl verpflichteter Masterbuilder, so bilanziert Caro, war zerstört, und mit ihm der Ruf der von Moses personifizierten modernen Stadtplanung im großen Stil.
Lange Zeit genoss The Power Broker eine Art Deutungshoheit über Moses’ Leben und Schaffen betreffende Fragen. Als hätten HistorikerInnen und StadtforscherInnen Caros Biographie nichts hinzuzufügen oder wollten es nicht auf einen Vergleich mit ihr ankommen lassen, blieb The Power Broker über mehr als drei Jahrzehnte die einzige ausführliche und breit rezipierte Arbeit, die sich mit dem Lebenswerk des New Yorker „Planungszars“ beschäftigte.
Bis heute. Jetzt, 33 Jahre nach der Erstveröffentlichung von The Power Broker, bekommt Caros Sicht der Dinge erstmals ernsthafte Konkurrenz. Mit Robert Moses and the Modern City hat Anfang Februar in New York eine Ausstellung eröffnet, die Caros Einschätzung in Frage stellt und den Masterbuilder in einem anderen, ungleich positiveren Licht erscheinen lässt.
Robert Moses and the Modern City ist ein Gemeinschaftsprojekt des Museum of the City of New York, des Queens Museum of the Arts und der Wallach Gallery der Columbia University und besteht aus drei Teilen. Remaking the Metropolis im Museum of the City of New York widmet sich Moses’ wichtigsten städtebaulichen Projekten und bietet einen Überblick über den maßgeblich auf Moses’ Initiative zurückgehenden Wandel New Yorks zwischen 1934 und 1968. Die in der Wallach Gallery gezeigte Ausstellung Slum Clearance and the Superblock Solution beleuchtet die von Moses durchgeführten Slumbeseitigungs- und Stadterneuerungsmaßnahmen der 1950er und 1960er Jahre. Und The Road to Recreation am Queens Museums of the Arts hat Moses’ Tätigkeit als Parkbeauftragter zum Thema und widmet sich den von ihm errichteten öffentlichen Parks und Stränden sowie ihrer Erschließung durch Park- und andere Highways.
Zusammen bieten die drei Ausstellungen einen in diesem Umfang bislang nicht dagewesenen Überblick über Moses’ Lebenswerk und seinen Einfluss auf die gebaute Umwelt New Yorks und seiner Umgebung. Dutzende, zum Teil bisher nicht öffentlich gezeigte Originalaufnahmen, -dokumente und Modelle geben Aufschluss über nahezu alle Vorhaben während Moses’ langer Karriere im Bau- und Planungsbereich, während eine Reihe großformatiger Fotos von Andrew Moore AusstellungsbesucherInnen den heutigen Zustand einzelner Projekte vor Augen führt und ihre heutige Bedeutung im New Yorker Stadtbild zeigt.
Robert Moses, New Yorks "Masterbuilder" und umstrittenster amerikanischer Stadtplaner der Moderne. © C.M. Spieglitz; Library of Congress, Prints and Photographs Division (LC-USC62-13079)Bewusst richten alle drei Ausstellungen dabei den Blick der Öffentlichkeit auf Robert Moses’ Rolle als Modernisierer. Als Mann, der New York trotz Großer Depression und anderer Krisen nicht aufgab und der Metropole stattdessen durch seinen Mut zur Vision und seine Fähigkeit „to get things done“ zu ihrer heutigen Bedeutung verhalf. Der Gegensatz zu Caros The Power Broker könnte drastischer nicht ausfallen: Während Caro Moses in den 1970er Jahren wegen seines politischen Machtmissbrauchs und seiner Zerstörungswut für den damaligen Niedergang New Yorks mitverantwortlich machte, feiert Robert Moses and the Modern City Moses als Visionär, der durch seinen Zukunftsglauben und seine Tatkraft die Weichen für den heutigen Erfolg und Wohlstand der Stadt legte. Zwar leugnen die AusstellungsmacherInnen um die Architekturhistorikerin Hillary Ballon nicht, dass viele Baudenkmale und Wohnquartiere Moses’ in Beton gegossenem und in Form von Schnellstraßen und Großsiedlungen daherkommendem Forschrittsglauben zum Opfer fielen. Auch bestreiten sie nicht, dass Moses die vielschichtigen sozialen Ungleichheiten in New York durch Projekte eher verstärkte als entschärfte. Diese und andere negative Seiten Moses’ finden Erwähnung, werden aber häufig mit Hinweis auf den gesellschaftspolitischen Kontext, in dem Moses agierte, relativiert. Nicht Moses’ eigene Vorurteile, sondern der damalige Geist der Zeit sei für die Diskriminierung von AfroamerikanerInnen und anderen Minderheiten im Rahmen der von Moses vorangetriebenen Slumbeseitigungs-, Verkehrs- und Wohnungsbaupolitik verantwortlich gewesen, ist zum Beispiel einem Beitrag von Kenneth Jackson im Begleitkatalog der Ausstellungen zu entnehmen. [4] Und auch der von Moses kompromisslos vorangetriebene Ausbau des motorisierten Individualverkehrs zu Lasten öffentlicher Verkehrsmittel sei in erster Linie auf das damals vorherrschende Planungsleitbild der autogerechten Stadt und nicht so sehr auf Moses’ eigene Überzeugungen zurückzuführen.
Während Robert Caro versuchte, Moses’ Taten unter Heranziehung seiner Persönlichkeit und seines Werdegang zu verstehen, begreifen Hillary Ballon und ihre KollegInnen Moses eher als Produkt seiner Zeit – zumindest dann, wenn sie seine Schattenseiten thematisieren. Dieser Ansatz ist nicht unproblematisch. Denn obwohl es richtig ist, dass Moses keinesfalls für alle Verfehlungen seiner Zeit verantwortlich gemacht werden kann, drängt sich mitunter der Eindruck auf, dass die KuratorInnen mit zweierlei Maß messen, wenn sie Moses einerseits zur Ausnahmepersönlichkeit erklären, die New York durch ihr politisches Geschick und ihre Durchsetzungskraft nahezu im Alleingang in eine moderne Metropole verwandelte, viele seiner Fehlleistungen andererseits aber auf institutionelle und strukturelle Rahmenbedingungen und Zwänge zurückführen.
Dass Moses sich bei vielen seiner Projekte sehr wohl von seiner Abneigung gegenüber Minderheiten leiten ließ und soziale Katastrophen im Zuge seiner von Flächenabriss und Kahlschlagsanierung gekennzeichneten Bau- und Planungspolitik mitnichten nur achselzuckend in Kauf nahm, sondern häufig sogar absichtlich forcierte, ist in The Power Broker ausführlich dokumentiert. Caro beschreibt zum Beispiel, wie Moses für den Bau des berüchtigten Cross Bronx Expressway ganze Wohnquartiere in der Bronx abreißen ließ, obwohl dies durch eine alternative Streckenführung hätte verhindert werden können. Für diese Tat, die zehntausende BewohnerInnen obdachlos machte und ExpertInnen zufolge wesentlich zum anschließenden Niedergang der South Bronx beitrug, war nicht die damalige Autovernarrtheit des Landes oder der mangelnde Respekt der städtebaulichen Moderne gegenüber gewachsenen Stadtvierteln verantwortlich. Verantwortung trug alleine Robert Moses selbst.
Metropolitan Opera House, Lincoln Center, New York. © Krista JohansonDas wissen auch die AusstellungsmacherInnen, meinen aber, dass die berechtigte Kritik, mit der sich Moses besonders gegen Ende seiner Karriere konfrontiert sah, dazu geführt habe, dass viele positive Aspekte seines baulichen Erbes in der Vergangenheit nicht hinreichend gewürdigt worden seien. Man habe sich nach Moses’ Niedergang in den 1960er Jahren zu lange ausschließlich mit den Kehrseiten seines Schaffens befasst, findet zum Beispiel Sarah Henry, die stellvertretende Direktorin des Museum of the City of New York. Nun, über 25 Jahre nach Moses Tod, sei es an der Zeit, sich den Errungenschaften seiner Ära zu widmen und von ihnen zu lernen.
Nicolai Ouroussoff, der Architekturkritiker der New York Times, teilt diese Auffassung und beglückwünschte die AusstellungsmacherInnen für ihren Versuch, das längst „zur Karikatur verzerrte“ Image Moses’ als rücksichtslosen und bösartigen Bürokraten durch ein „differenziertes Portrait“ des Masterbuilders zu korrigieren.[5]
Doch es gibt auch andere Stimmen. Irritiert reagierten viele BeobachterInnen zum Beispiel auf die Nachricht, dass Robert Caro zu keinem Zeitpunkt in die Vorbereitung der Ausstellungen miteingebunden war, sondern stattdessen nur durch Zufall von ihrer Planung erfuhr. Erst auf Druck einiger SponsorInnen entschied man sich, Caro für eine Veranstaltung im Rahmenprogramm einzuladen. Bei der Diskussionsveranstaltung anlässlich der Ausstellungseröffnung Anfang Februar war seine kritische Sicht auf Moses’ Lebenswerk hingegen nicht erwünscht.[6] Ebenfalls für Aufsehen sorgt der Zeitpunkt der Ausstellungen. Nachdem New Yorks Bürgermeister Stadtentwicklung und –planung in den vergangenen Jahrzehnten weitestgehend privaten AkteurInnen überlassen hatten und sich bis auf wenige Projekte auf rahmensetzende Maßnahmen konzentrierten, scheint New Yorks heutiges Stadtoberhaupt Michael Bloomberg in Moses’ Fußstapfen treten zu wollen und hat der Stadt eine umfassende Bau- und Planungsoffensive verordnet, die deutliche Parallelen zur Ära des Power Brokers aufweist. [7] Ähnlich wie Robert Moses verfolgt Bloomberg das Ziel, New York von Grund auf zu erneuern, um – so die offizielle Darstellung – New Yorks Spitzenposition im internationalen Städtewettbewerb gegenüber KonkurrentInnen zu verteidigen oder gar auszubauen und die Stadt auf das prognostizierte Bevölkerungswachstum der nächsten Jahre vorzubereiten. Schon jetzt ist der Wiederaufbau Lower Manhattans nur noch eines von vielen massiven Großprojekten, die die Stadt in Atem halten, und viele Anzeichen deuten darauf hin, dass die Planungsskepsis, die der Ära Moses folgte, endgültig vorüber ist. Big Urbanism,[8] Stadtplanung im großen Stil, feiert unter Bürgermeister Bloomberg in New York ein vor wenigen Jahren noch nicht für möglich gehaltenes Comeback, und da trifft es sich natürlich aus der Sicht der Stadtspitze gut, dass der nach seinem Niedergang in Ungnade gefallene Robert Moses jetzt von den AusstellungsmacherInnen öffentlichkeitswirksam als Visionär gefeiert wird. Seine Rehabilitierung eignet sich hervorragend, um Bloombergs umstrittene Stadtvisionen gegenüber KritikerInnen zu rechtfertigen, die klagen, dass viele seiner gigantomanischen Stadtumbauprojekte nicht demokratisch legitimiert seien und nicht genug Rücksicht auf intakte Stadtviertel und die Bedürfnisse ihrer BewohnerInnen nähmen. Der Zweck heiligt schließlich die Mittel. Oder, wie Moses es ausdrückte: „Es gibt eben kein Omelett ohne zerschlagene Eier.“
Moses, Robert (1970): Public Works. A dangerous trade. New York: McGraw Hill. ↩︎
Berman, Marshall (1988): All that is solid melts into Air. New York: Penguin Books. S.298-348 ↩︎
Caro, Robert A. (1974): The Power Broker. Robert Moses and the Fall of New York. New York: Knopf. ↩︎
Ballon, Hillary & Jackson, Kenneth T. (Hrsg.) (2007): Robert Moses and the Modern City. The Transformation of New York. New York/London: W.W. Norton & Company. ↩︎
Ouroussoff, Nicolai (2007): Complex, Contradictory Robert Moses. In: New York Times, 2.2.2007. ↩︎
Schuerman, Matthew (2007): Robert Moses Returns: Power Broker spurs Car-Jackson Bout In: The New York Observer, 29.1.2007 ↩︎
Fainstein, Susan (2005): The Return of Urban Renewal. In: Harvard Design Magazine, Spring/Summer 2005, S. 9-14. ↩︎
David, Haskell (2006), Big Urbanism.In New York Times Magazine, 10.12.2006. ↩︎
Johannes Novy