Eine Geschichte aus einem Zwischenraum
manches mal und immer wieder kann es geschehen, dass einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Genau weiß man weder, wie das passieren konnte, noch (was einem erheblich größere Sorgen bereitet), wo man sich jetzt befindet. zuerst gab es da einen Zeitstillstand, gleich darauf einen Bewegungsverlust. es schien, als ob man in einen Zwischenraum gefallen wäre. ein Raum, von dessen Wirklichkeit man bis jetzt noch nichts gewusst hatte.
inzwischen hatte die zeit damit begonnen rückwärts zu verlaufen (Kennen sie den Anblick rotierender Räder? Ab irgendeinem Zeitpunkt der Geschwindigkeit scheint es, als ob die Speichen sich rückwärts bewegen), so musste es gewesen sein.
... die eigene Person war sich nicht ganz sicher, ob man die Augen noch immer verschlossen, oder schon wieder geöffnet hatte. Alles was man sah, war in erster Linie Dunkelheit, wenn auch keine vollkommene Dunkelheit. Von Zeit zu Zeit huschten kleine bunte Lichtpunkte über die Bildfläche und durchbrachen die Finsternis mit einem leisen Knistern.
»Sie können sich tastend fortbewegen, falls es einen Sinn macht«, die Stimme klang merkwürdig verzerrt. »Sie können auch ein Gedicht sprechen - vielleicht hilft das. Vergessen sie in diesem Fall den Sinn, und sprechen sie die Worte frei und unbestimmt. Ist es möglich, dass Sie ihre Herkunft vergessen haben?« So viele Worte auf einmal. und alle mit mehr oder minder merkwürdiger Bedeutung. In diesem Raum (falls es überhaupt noch ein Raum war, in dem man sich befand) schien es nicht mit rechten Dingen zuzugehen.
»Meinen Sie, dass es gefährlich werden könnte?« die eigene Person beschließt, den Fragen mit einer Gegenfrage zu begegnen. (Es hatte sich in der Vergangenheit herausgestellt, dass Fragen über die Befindlichkeit der Person generell nicht beantwortet wurde, deswegen beschließt man die Sache diesmal etwas anders anzugehen.)
»Achten sie in jedem Fall darauf, dass sich die Bildpunkte nicht beschleunigen«, die Stimme klang kalt und fast ein wenig automatisch, »ansonsten sollten sie sich darum bemühen, die zeit totzuschlagen.« Ein wenig besorgt beobachtete man die vorbeifliegenden Bildpunkte; alles verhält sich ruhig. zeit genug, sich über die Wirklichkeit dieses Raums Gedanken zu machen ...
... momente vergehen. Teilnahmslos und einen phosphoreszierenden Schimmer hinterlassend, wandern die bildpunkte über die bildfläche. zeit scheint aufgehoben zu sein ...
irgendwann (zwischen einigen momententen, in denen die bildpunkte ihre farbe gewechselt hatten) beginnt die eigene person sich zu wundern. unwillkürlich entstand die frage, ob diese leuchtenden Wesen eine Bedeutung in sich tragen. »Welchen Sinn trägst du in dir«, so der Versuch, einen der vorbeiwandernden bildpunkte zu fragen. wie erwartet, keine reaktion. so dann aber auch.
ein wenig mutiger geworden, beschließt die eigene person zu prüfen, ob das von der Stimme vorgeschlagene Tasten möglich sei. vorsichtig beginnt sie ihre linke hand auszustrecken. die Bildpunkte beschleunigen sich.
»Mir scheint, sie haben ihre Fernbedienung verloren«, die Stimme klang, als ob sie ihre Worte rückwärts sprach. erschrocken zieht man die Handfläche wieder zurück. Immer wenn man glaubte Fortschritte zu machen, passierte etwas Unerwartetes. Erreicht hatte man gar nichts, bis auf die ungewollte Beschleunigung. (Es schien aber noch nicht so schlimm zu sein.) Es war nicht so, dass man irgendetwas zu erreichen gehofft hätte, es war bloß so, dass man doch ganz gerne gewusst hätte, ob man die Augen geschlossen, oder doch geöffnet hatte. Ein Blick auf die vor Augen geführte Handfläche, hätte Gewissheit gegeben, ob die eigene person sich in einem Raum befindet, wo sich die Möglichkeit vom Können unterscheidet. Kein ergebnis, wie so oft, kein ergebnis.
inzwischen hatten die Bildpunkte beständig an Geschwindigkeit zugelegt. Ihre frequenz war mittlerweile beunruhigend geworden, der gesamte Raum schien gefährlich zu flackern. (es erübrigt sich zu erwähnen, dass der Versuch die Augen zu schließen zu diesem Zeitpunkt scheitern musste.) bald war das einzige was sie sah, ein unangenehmes Flimmern, das sich ins Gedächtnis einzufressen schien. das einzige, was man sah, war irrsinnige geschwindigkeit. es blieb also wenig zeit.
schnell wurde jeder Gedanke, was Herkunft und Wesen der eigenen Person betraf, sorgfältig geprüft und umgedreht. (dieses Verfahren ergab allerdings nichts Neues, außer der Erinnerung, sich im Inneren einer Maschine zu befinden), die zeit war fast abgelaufen. was tun, was nun? es blieb nur noch der letzte versuch, die zeit mit einem gedicht totzuschlagen:
Kann sein,
nicht-sein.
wenn dann, dann;
wenn doch nicht, dann?
Jonas Marosi