Eine queere Frage stellen?
Besprechung von »Queer Denken« von Andreas KraßAndreas Kraß (Hg.)
Queer Denken
Gegen die Ordnung der Sexualität
Frankfurt: Suhrkamp, 2003
240 S., EUR 14,40
Es lässt sich nicht definieren, was denn nun queer ist und was nicht. Die US-amerikanische Philosophin Judith Butler veröffentlichte 1990 ihr Buch Gender Trouble und stellte darin die Natürlichkeit und Einheit von Geschlecht, Sexualität und Begehren in Frage. Homosexualität ist keine bloße Ableitung von Heterosexualität. Die dahinter liegende Philosophie hat ihre politischen Wurzeln in der Gay Liberation und Frauenbewegung der siebziger Jahre und im Schock der Aids-Hysterie der achtziger Jahre. Es ist eine Bewegung aus dem räumlichen und symbolischen Ghetto schwul-lesbischer Identitätspolitik heraus.
Queer denken heißt die Vorherrschaft heterosexueller und bigeschlechtlicher Denkmuster in unserer Kultur hinterfragen. Queer zu fragen heißt auch, den Standpunkt wechseln zu können. Queer Studies sind keine akademische Disziplin, sondern sie bieten eine Frageperspektive, auf die hin politische, historische und kulturelle Systeme zu durchleuchten sind.
Mit dem Sammelband Queer Studies erscheint nun ein Überblickswerk in deutscher Sprache, das eine gute Einführung in Theorien von Wissenschaftsberühmtheiten wie Judith Butler, Eve Kosofsky Sedgwick und Teresa de Lauretis ermöglicht. Der Herausgeber Andreas Kraß wählt drei wichtige Forschungszugänge für die Gliederung des Bandes aus: Queer Theory, Queer History und Queer Reading. Queer Theory setzt sich mit den essenzialistischen Konzepten von Sexualität und Geschlecht auseinander. Welche Mechanismen fordern die Einheit von Sex und Gender? Gibt es einen Weg aus der Dichotomie? Der zweite Teil enthält Beiträge zum historischen Diskurs von Homosexualität. Wie sind die lesbischen / schwulen Identitäten entstanden? Was heißt es, über Homosexualität zu sprechen? Die Beiträge des dritten Teils befassen sich – am Beispiel von Novellen und Romanen aus dem französischen Mittelalter und der Renaissance – mit verschiedenen Typen der Repräsentation gleichgeschlechtlichen Begehrens in der Literatur.
Das Besondere an dem Band ist sicher die breite Auswahl und Zusammenstellung der Texte. Kritisch anzumerken bleibt, dass erstens die ausgewählten Artikel die Dominanz der US-amerikanischen Lesbian and Gay Studies in den Queer Studies widerspiegeln und zweitens diese fast ausschließlich aus der Zeit der wissenschaftlichen Anfänge (1993-94) stammen.
Andreas Kraß (Hg.)
Queer Denken
Gegen die Ordnung der Sexualität
Frankfurt: Suhrkamp, 2003
240 S., EUR 14,40
Thomas J. Vinzenz