» Texte / Eine Stadt muss wie ein Lebewesen betrachtet werden

Anita Witek

Anita Witek ist Künstlerin, sie lebt und arbeitet in Wien.

Barbara Holub

Barbara Holub ist Künstlerin und Mitglied von transparadiso, einer Platform für Architektur, Urbanismus und Kunst.

Paul Rajakovics

Paul Rajakovics ist Urbanist, lebt und arbeitet in Wien.


Demnächst wird von der Wiener Secession eine Edition herausgegeben, die verschiedene Arbeiten von SecessionskünstlerInnen zum Thema The Making of in einer Box versammelt.
Anita Witek bedient sich als Grundlage für dieses Projekt eines Fotobands von Wiener Sehenswürdigkeiten des Fotografen Bruno Reiffenstein aus dem Jahre 1927. Die einzelnen Bilder zeigen großteils verschiedene Profanbauten mit besonderem Augenmerk auf architektonische Merkmale, die vor allem bei den Innenraumfotografien betont werden.
Die Künstlerin schneidet aus diesen Abbildungen jeweils ein zentrales Objekt – ein ganzes Gebäude oder Gebäudeteile – heraus. Der Schnitt setzt sich als Kontur bzw. Lücke auf den folgenden Seiten des Buches fort. Es entstehen so Einblicke in und auf andere Gebäude, die sich auf den darunter liegenden Seiten befinden. Die Perspektiven verschieben sich zu pira-nesischen Räumen, in denen sich Innen- und Außenraum neu und unerwartet verschränken. Es stoßen aber nicht nur altbekannte Versatzstücke von Wiener Sehenswürdigkeiten auf barocke Details und vertikal verlaufende Fensterbänder, sondern es entstehen zudem ganz selbstverständlich Translokationen Wiener Architekturen. Auf der Doppelseite kippt der Außenraum einer Ansicht des Schlosses Schönbrunn in den Innenraum der Hofreitschule. Im dritten Bild führt der Weg durch das Papagenotor zur Kaunitzgasse über die Postsparkasse bis zur Hohen Warte. Der Weg des Schnittmessers schafft also neue geografische Verbindungen und assoziative Wege durch die Stadt.
Das Kunstinsert von Anita Witek zeigt also das »Making of« von »The Making of«. Die hier durch Montagen entstandenen neuen Kontexte sind nur ein Zwischenstadium, bevor das Buch in seine Einzelteile zerlegt und jedes Blatt als eigene Arbeit in die Editionsboxen verteilt wird.
Die Methode der Montage als analoge Collage ist ein wesentliches Prinzip in vielen Arbeiten von Anita Witek, die sich oft mit architektonischen oder stadträumlichen Themen befassen. Die Künstlerin erweitert dabei oft die räumliche Ebene durch das konsequente Einfügen von Leerstellen, dass heißt durch das Weglassen des herausgeschnittenen Materials. Feine Schnittspuren als Ergebnis einer analogen Methode des Zusammenfügens lassen überdies unsere Komplizen- schaft mit der allgegenwärtigen Adobewelt nicht mehr als Kavaliersdelikt erscheinen.
Einige von Witeks Arbeiten basieren auf Fotografien von prominenten Fotografen wie Paolo Roversi oder Julius Shulman. Hier verdichtet Anita Witek die statisch-räumliche Ausgangsposition der Fotografie, sodass neue Zwischenräume in der Bildmontage entstehen. Lichteinfallswinkel, Spiegelungen und Größenverhältnisse werden genau analysiert und präzise mit anderen herausgeschnittenen Elementen ergänzt. Es entstehen verdichtete Bilder, die die ursprünglichen Inhalte durch neue ersetzen und einen Körper aus verschiedenen Versatzstücken zum Leben erwecken.
Die Editionsbox der Secession wird noch diesen Herbst präsentiert (limitierte Auflage von 150 inkl. KünstlerInnen-exemplaren; Kostenpunkt ca. 500 €.) Der Erlös wird dem Sozialfonds der Secession gestiftet).
Außerdem sind Arbeiten von Anita Witek ab 6. Dezember in der Ausstellung Skulptur, Fotografie als Kollision des Materiellen in der Camera Austria (Grazer Kunsthaus) zu sehen.


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