Sabine Pollak


Wie Ethnofood, Eventkultur und Cluburlaub orientiert sich nun auch spätkapitalistisches Wohnen vor allem an Themen. Mit thematisch verdichteten Bauvorhaben wie Golfsiedlungen, Teichsiedlungen, Reitsiedlungen, intelligentem Wohnen, autofreien Siedlungen und Ökodörfern locken InvestorInnen ausgesuchte Schichten an. Das marktgerechte Angebot solcher selbstgewählter Wohnghettos gehorcht dem steigenden Wunsch nach vorgefertigten Lebensmodellen. Die Bedeutung von Themensiedlungen liegt daher weniger im Thema selbst als in der synergetischen Konzeption eines exklusiven Wohnmodells für eine limitierte Anzahl von NutzerInnen, in dem ein konformer Lebensentwurf von vornherein inkludiert ist.
Die Idee eines solchen Themenwohnens stammt aus den USA. Dort gehören ausgesuchte Reservate der Reichen, in die Sport, Shopping und Betreuung inkludiert sind, seit den 90er Jahren zum alltäglichen Bild der Städte und Vorstädte. Hier bedeuten thematische Wohnsiedlungen vor allem die Abgrenzung und das Ausschließen von Anderen. Das Motiv für den Rückzug in Intentional Communities und Common-Interest-Developments liegt in der irreal steigenden und medial dramatisierten Angst vor der Gefahr in amerikanischen Großstädten.[1] Diese Angst bewirkt das Absiedeln all jener aus den Stadtzentren, die es sich leisten können, was wiederum die ohnehin steigende Polarisierung der Gesellschaft verstärkt. Geschlossene Wohngemeinschaften sollen die wohlhabende Klasse vor ethnischen Minderheiten, MigrantInnen, Obdachlosen und Gewalttätigen schützen, artifizielle »Dörfer« und Enklaven des Glücks abseits des potentiellen Verbrechens in der Großstadt.[2] In härteren Varianten werden Exklusivität und Status der Siedlung sowie die Differenz von Orten und Personen auch baulich manifestiert. Über eine Festungsmentalität verwirklicht die thematisch von dem Begriff der Sicherheit dominierte Architektur solcher Gated Communities die Teilung der Gesellschaft in Ein- und Ausgeschlossene. In den von Mauern umgrenzten Wohnghettos mit strategischen Bepflanzungen und Videoüberwachungsanlagen sorgt ein privater, mit Waffen ausgestatteter Sicherheitsdienst für Ordnung. Gated Communities bilden ultimative Wohnfestungen, die an mittelalterliche Städte mit Stadtmauern erinnern, sie verschweißen die von ihr Eingeschlossenen zu einer verschworenen Gemeinschaft und verwandeln ganze Stadtteile in »No go aereas« für Ausgeschlossene.[3] Räumliche Prozesse, die Wohnsiedlungen in Festungen verwandeln, visualisieren Exklusionsprozesse von Minderheiten, die auf sozialer und ethnischer Ebene längst erfolgt sind. Sie schließen also längst aus der Gesellschaft Ausgeschlossene zeichenhaft neuerlich aus.

Amerikanischer Schnitt

Als 1998 der Film The Truman Show in den Kinos gezeigt wurde, waren im »Sunbelt« der USA bereits einige Hunderte thematischer Modellsiedlungen entstanden, die den Stil der im Film gezeigten Architektur zu imitieren schienen. Die Filmstadt Seaheaven Island, im Drehbuch als künstliche Stadtkulisse für den Protagonisten Truman Burbank dargestellt, verkörperte einen Stil, der Erinnerungen an jene Zeit weckte, in denen Straßen noch sicher, Communities noch intakt und Familien noch glücklich gewesen waren. Tatsächlich erwies sich die Realität von Seaheaven Island schneller, echter und authentischer als die im Film dargestellte, hyperreale Illusion. The Truman Show wurde nicht in der Kulisse einer potemkinschen Stadt gedreht, sondern in der soeben fertig-gestellten Stadt Seaside, eine auf 90 Hektar entlang der Küste im Nordwesten von Florida erbaute, nahezu prototypische Themensiedlung, die das Flair einer Feriensiedlung vermitteln soll. Auch wenn Seaside nicht physisch von der Umgebung abgegrenzt ist, vermittelt es dennoch den Eindruck einer geschlossenen Gemeinschaft, die unter sich bleiben will: Häuser wie im Bilderbuch, umgeben von einem weißen Jägerzaun und Symbolen eines vergangen geglaubten Glücks. Im viktorianischen Stil verkörpern sie die Sauberkeit, Moral und Sicherheit einer Kleinstadt der Jahrhundertwende, als die Welt noch in Ordnung schien.[4]
Rund um die vielbeachtete Planung von Seaside entstand die Bewegung des »New Urbanism«. Die Planenden dieses »Neuen Städtebaus« vertreten die Ideologie der intakten, homogenen Kleinstadt, die von keinerlei Verdichtung oder Strip verunstaltet ist und praktizieren Städtebau mit den Paradigmen einer präindustriellen Zeit. Die fiktiven Kleinstädte, die jeden realen Vorbilds entbehren, werben, ähnlich wie die nur für Truman Burbank gebaute Stadt, für eine ausschließliche Klientel, die sich von der Heterogenität normaler Städte der USA abheben soll. Eine solchermaßen homogene, wie aus einem Guss gemachte Gesellschaft erinnert auch an jene Gemeinschaften, die in frühen Utopieentwürfen wie Campanellas »Sonnenstaat« oder Thomas Morus’ »Utopia« beschrieben wurden: eine ausgesuchte, glückliche und homogene Gemeinschaft, aufrechterhalten durch ein rigides und moralisierendes Regelwerk.[5] Die populärste Utopie einer solchen Idealgemeinschaft wurde 1996 in den USA realisiert. Dort errichtete der Disneykonzern nahe Disneyworld in Orlando, Florida die Stadt Celebration, die sich als perfekteste Kleinstadt Amerikas präsentiert. Eine durchgehend postkoloniale Architektur, strikte Verhaltensregeln sowie ein modernstes Überwachungssystem sichern den konformen Lebensstil der Bewohnenden und verwirklichen nach dem Schnittmuster von Disney eine heile, saubere Welt: Mickeys Vorstadthäuschen im Datenhighway als urbanes Prinzip, kontrolliert von einem Unterhaltungskonzern, der auch gleich den eigenen Fernsehkanal ins Haus liefert.[6]

Heimatliche Variation

Auch in Österreich steht seit 1998 ein Celebration nicht unähnliches, geklontes amerikanisches Dorf. 1994 erwarb der kanadische Autozulieferant steirischen Ursprungs, Frank Stronach, 20 km südlich von Wien am Rand der niederösterreichischen Gemeinde Oberwaltersdorf ein 170 ha großes Grundstück, um darauf vorerst die Europazentrale des Magnakonzerns zu errichten.[7] Um seinen GeschäftpartnerInnen ein entsprechendes Ambiente bieten zu können, errichtete Stronach im Anschluss an die Firmenzentrale einen Wohnpark sowie einen der größten Golfplätze Europas: Fontana.
Das Konzept der Siedlung folgt dem amerikanischen Vorbild einer distanzierten Gemeinschaft mit homogenem Bau- und Lebensstil. Siedlungen wie Fontana funktionieren vor allem durch ihre isolierte Lage. Wenn die Stadt selbst keinen geeigneten Lebensraum mehr bietet, der den gehobenen Ansprüchen entspricht, so wird abseits der Stadtzentren das künstliche Modell einer Kleinstadt entworfen, das besser scheint als das Vorbild Stadt selbst, da es spezifische Themen fokussiert und unerwünschte Themen ausschließt. Das Leben kann so fast ausschließlich in »sicheren« Orten organisiert werden: Von der Wohnung kommend steigt man in das Auto, um über die Autobahn direkt zum Arbeitsplatz, in die Shoppingmall oder in das Stadtzentrum zu gelangen, ohne mit unerwünschten Personen und Orten, also mit dem Unbekannten und Fremden der Stadt in Kontakt zu kommen.
In Fontana regelt sich der eingeschränkte Zugang durch den Preis und 2900 Euro pro m2 weisen von vornherein bestimmte Schichten und Personen ab. Der 10 ha große See mit weißem Sandstrand, das exklusive Clubhaus, getarnt als Neoschloss, der professionelle Fitnessclub, die Golfanlage, Tennis, eine Haubengastronomie und klassizistische Häuser im Südstaatenstil verströmen im alltäglichen Wohnen das Gefühl eines exquisiten Urlaubsambientes und weisen jene ab, die sich um profanere Dinge des Lebens kümmern müssen. Die von Peter Marcuse am Ende der 80er Jahre heraufbeschworene »geviertelte Stadt« erhält nun ihr Pendant, ihre Außenstelle, ihre Eremitage mitten im Grünen, über ein strategisches Konzept gleichsam »natürlich« befestigt und wie von selbst isoliert, ein Luxusghetto der Reichen, Schönen und Mächtigen.[8] Bei solcher Exklusivität bleibt die unerwünschte Klientel freiwillig draußen.
Die Bilder, mit denen für die Wohnungen und Häuser geworben wird, gleichen jenen ersten Bildern, mit denen David Lynch im Film Blue Velvet die scheinbar sorglose und heile Welt der Kleinstadt Lumberton vermittelt: leuchtend rote und gelbe Blumen vor einem weiß gestrichenen Zaun unter blitzblauem Himmel. Im beigefügten Text wird Fontana unter dem Slogan des »Paradieses« verkauft: ein »Tennisparadies« mit fünf ganzjährig bespielbaren Hallenplätzen und 9 »bestens präparierten« Freiplätzen, ein »18-Loch-Golfparadies«, das sowohl das »Beste aus dem europäischen« als auch aus dem »nordamerikanischen Raum« zu einem »beeindruckenden Freizeiterlebnis« verbindet und ein »Wohnen wie im Paradies« in 350 Häusern und 65 Apartments, mit »einzigartiger Lebensqualität« inmitten »herrlicher Natur«.[9] Die Häuser dieses paradiesischen Wohnens vermitteln den Eindruck einer Villa aus dem 19.Jahrhundert mit großer Wohnhalle im Erdgeschoss und intimen Schlafräumen unter einem Stabilität und Ewigkeit versprechenden, gewalmten Dach, massiven oder zumindest Massivität vortäuschenden Wänden, klein unterteilten Fenstern und dicken Balustraden an den Balkonen. Auch die Grundrisse der Wohnungen repräsentieren massive Zurückgezogenheit: abgeschlossene, isolierte Zimmer, die über eine Unzahl an Gängen und Fluren erschlossen werden, ein Wohnsalon sowie eine dem herrschaftlichen Stil des Hauses entsprechende, große »Wohnküche«. Die KundInnen von Einzelhäusern können ein Grundstück erwerben und anhand eines Musterhauses aus acht Grundrissen sowie aus einer Farbpalette mit 25 Pastellfarben wählen. Alles Weitere ist vorbestimmt.
Fontana verkörpert ein in eine exklusive Freizeitwelt eingebundenes Wohnen gleich einem Cluburlaub, in dem individuelle Entscheidungen so gering wie möglich gehalten werden. Die Gartengestaltung entwerfen hauseigene GartenarchitektInnen, die Verwaltung erfolgt durch das Facility Management, »Greenkeeper« kümmern sich um das Grün und eine eigene Securityfirma sorgt für die Sicherheit. Eine Studie über den Fontana-Club untersuchte die Auswirkungen der Anlage auf die bestehende Infrastruktur und auf die dort ansässige Bevölkerung. Es hätte, so die Studie, einen Aufschwung für die Gemeinde gegeben, sie profitiere durch die Kommunalsteuer und die gesamte Region erwarte sich »touristische Publicity«, wirtschaftlichen Aufschwung, die Verbesserung der teils tristen Situation des Einzelhandels sowie die Kultivierung der Landschaft.[^10]
Nur wenige Kilometer entfernt erhält diese »kultivierte Landschaft« der ressorthaften Künstlichkeit von Fontana nun ein Pendant. Trotz Proteste, negativer Gutachten der Umweltbehörde und einer Verwarnung durch die EU-Kommission errichtet Frank Stronach in der Gemeinde Ebreichsdorf auf Hunderten Hektar Grünland ein ehrgeiziges Projekt. Hier soll ein dem Golfclub Fontana nicht unähnlicher Pferdesportpark entstehen. Ohne wasserrechtliche Bewilligung wird naturgeschütztes Moorland abgetragen und werden kilometerlange, mehrspurige Fahr- und Rennbahnen errichtet. Das Konzept des »Just do it« funktioniert auch hier.[^11] Nicht nur die Bilder glücklicher Kinder auf autofreien Straßen, der restriktive Verhaltenscodex und das konforme Äußere, nach denen Ressorts dieser Art konzipiert werden, stammen aus den USA. Aus dem goldenen Westen stammt auch die Gewissheit und die Zuversicht einiger weniger, reicher und mächtiger Magnaten, dass mit genügend Geld alles käuflich ist: Land, Utopien, Ideale und auch Architektur.

Fußnoten


  1. CIDs entstehen aus unterschiedlichen Beweggründen. Sie entstehen entweder als vollkommen unabhängige, private Siedlungen abseits der Stadtzentren, als vollkommene Städte oder sogenannte »Gated New Towns«, oder ganze Stadtteile werden als sogenannte »Security Zone Communities« abgegrenzt. ↩︎

  2. Die Großstadt als der Ort, in dem Gefahr und Verbrechen lauern, erinnert an frühe Großtadtphantasmen des 20. Jahrhunderts. So wird etwa in der Literatur und im Film der 20er Jahre die Großstadt wiederholt als »Dschungel« oder »Wildnis« porträtiert, in dem die meist männlichen Helden kämpfen müssen. Als Metapher dieser Phantasmen wird wiederholt das Gefährliche und Verführerische des Weiblichen herangezogen, um die Gefahr der Stadt zu versinnbildlichen. ↩︎

  3. Siehe: Pablo de Marinis: Überwachen und Ausschließen. Machtinterventionen in urbanen Räumen der Kontrollgesellschaft. Pfaffenweiler: Centaurus, 2000 ↩︎

  4. In Peter Weirs Film bildet die Kulisse von Seaside die ideale »fiktive« Architektur für die im Film gezeigte Fernsehserie. Ironischerweise nimmt der Film einiges der Realität aller nach Seaside gebauten Gated Communities vorweg. Seaheaven Island erweist sich als eine künstliche Welt, in der Burbank rund um die Uhr für ein Publikum gefilmt wird. In der Stadt sind in Häuserfassaden, Geschäften und Monumenten eine ganze Reihe von Überwachungskameras montiert, die den Hauptdarsteller rund um die Uhr filmen. Als Burbank versucht, die Grenzen zwischen der künstlichen Welt und der Welt außerhalb der Stadt zu überschreiten, wird versucht, ihn mit den Argumenten der Sicherheit davon abzuhalten. Die Welt draußen sei unsicher, unehrlich und gefährlich, so heißt es, und nur in Seaheaven selbst herrsche Sicherheit. ↩︎

  5. In Campanellas Sonnenstaat wird diese Gleichförmigkeit etwa durch eine für Frauen wie Männer identische Kleidung hervorgehoben, wodurch der Unterschied zwischen den Geschlechtern aufgehoben werden soll. ↩︎

  6. Bereits 1967 stellte Walt Disney einen ähnlichen Utopieentwurf vor, das Projekt einer künstlichen Idealstadt, genannt EPCOT – Experimental City of Tomorrow. Die Stadt sollte von einer ganzen Reihe von Regeln bestimmt sein wie etwa dem Verbot von Haustieren, dem Verbot von unehelichem Zusammenwohnen sowie dem Verweis aus der Stadt bei Trunkenheit. Nach dem Tod Disneys wurde das Projekt EPCOT gestoppt. ↩︎

  7. Die Geschichte Frank Stronachs wird wie ein Märchen kolportiert. 1954 wanderte der Steirer nach Kanada aus. Der mittlerweile zum Milliardär avancierte Stronach besann sich in den 80er Jahren seiner Wurzeln und begann, in österreichische Firmen und Immobilien zu investieren: Autos, Fußball, Pferde und exklusive Wohnparks. Mittlerweile nennt sich Magna International Inc. den größten Automobilzulieferer der Welt mit Billionen Dollar jährlichem Umsatz und mehr als 24.000 Beschäftigten weltweit. ↩︎

  8. Siehe: Peter Marcuse: »Dual City: A Muddy Metaphor for a Quartered City, in: International Journal of Urban and Regional Research, Vol 13, S. 697-708 ↩︎

  9. Siehe: www.fontana.at ↩︎


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