Ferner Liefen
ferner liefen
9 Monate lang lebte ich dann unter den Ameisen. Ich benutzte ihre Wege, entdeckte ihre Aus- und Eingänge, verrichtet mit ihnen gemeinsam ihre Arbeit, aß ihre Brösel und musste schließlich feststellen und erfahren, dass Ameisen keinen Platz zum Schlafen kennen und brauchen.
(sie waren ständig in Bewegung und wenn es ihnen dann doch zuviel wurde, gingen sie einfach ein Stück rückwärts, so als ob das die Zeit auflöste.)
9 Monate lebte und arbeitete ich bei den Ameisen. (Im Winter, als sie alle starben, verließ ich sie.)
Ich benutzte ihre Gänge, um zur Arbeit zu gehen und ich schlief in ihren unterirdischen Höhlen.
Langsam und allmählich lernte ich ihre Sprache. Es stellte sich heraus, dass Ameisen für ihre Kommunikation keine gesprochenen Worte gebrauchten. Unterhalb wie oberhalb der Erde, bewegten und verhielten sich diese Tiere vollkommen lautlos. (Das gehörte zu ihrer Taktik.)
Ihre Anweisungen, Informationen und Bedeutungen vermittelten sie, indem sie mit ihren Füllern auf den Rücken ihrer Gesprächspartner klopften. (Von äußerster Wichtigkeit, so stellte sich heraus, war es, einer Ameise die herzhaft auf den Rücken der eigenen Person klopfte, mit einer ähnlichen Geste zu begegnen.)
Am Anfang machte mir ihre Arbeit Spaß. Sie bestand darin, innerhalb eines bestimmten Gebietes und auch nur dort und auf bestimmten Wegen, alles was sich nicht mehr bewegte, oder flüchten konnte, in das Innere ihres Baus zu bringen. Eine weitere Logik gab es da nicht. (Irgendwo dort, wo das Innerste am Innerlichsten ist, so sagte man, soll es eine Königin geben. Ich habe mich einige Male, als es draußen regnete, auf die Suche nach ihr begeben – erfolglos. Ich wage zu bezweifeln, dass jemals eine der Ameisen ihre Königin zu Gesicht bekommen hat, geschweige denn ihr auf den Rücken klopfen durfte.)
Meine Lieblingsbeschäftigung bestand darin neue Wege zu erkundschaften. Ich machte mich frühmorgens auf und suchte, so wie jede der Ameisen, nach Unordnung. Das ging eine Weile lang gut. Ich lebte als eine von ihnen.
Zwar ging ich meine Wege nicht rückwärts, (meine Zeit löste ich dadurch auf, dass ich spazieren ging), im Großen und Ganzen aber verhielt ich mich ihnen gleich.
Tagein, tagaus.
Nach einer Weile, nachdem ich die Welt um mich herum erkundet und entdeckt hatte, wurde ich trübsinnig.
Die Welt der Ameisen begann mich zu ermüden und ihre Arbeit, ich muss gestehe, erdrückte mich. (sie waren, wie gesagt ständig in Betrieb und ohne Pause. Vorbildlich. das begann mich zu lähmen.) Einmal verfolgte ich eine einen ganzen Nachmittag lang, nur um festzustellen, dass ich gegen ihre ununterbrochene Unermüdlichkeit nicht anzukommen wusste.
Es wurde Sommer und ich beschloss, mich in einen der unterirdischen Gänge zurückzuziehen. Es war ein sehr ruhiger Tunnel, in den nur selten eine Ameise kam. Ich konnte mich dort in Ruhe entspannen und hängte sogar ein Bild an die Wand.
(So kam es, dass ich oft in meinem Dunklen gang saß und mir Gedanken über das Unterirdische und die Ameisenwelt machte.)
Die nächste Zeit (ich glaube es müssen so etwas 3 Monate gewesen sein – es kam mir vor wie eine Ewigkeit) lebte ich, nahezu ohne Kontakt zu der Außenwelt, in meiner unterirdischen Höhle. Ich versuchte es mir dort, soweit es ging, bequem zu machen und in Verzweiflung zu leben. Wenn es mir dann einmal doch zu düster wurde, stand ich auf und benutzte einen der Wege nach draußen. Manchmal, wenn ich einfach zu faul und ausgelaugt war, ließ ich mich dabei von den anderen Ameise tragen – sie schienen das nie zu bemerken, oder es kümmerte sie einfach nicht.
Gegen Herbst geschah es immer seltener, dass ich meine Höhle verließ.
Meine Traurigkeit und mein Schweigen vergrößerten sich. Ich war unfähig mich dagegen zu wehren.
Die Ameisen schenkten mir keine weitere Beachtung. Sie schienen sich nicht daran zu stoßen, dass ich das Arbeiten aufgegeben hatte. Hin und wieder kam eine zu mir in den Gang und klopfte, wie mir schien, aufmunternd und freundschaftlich auf den Rücken. (Im nachhinein glaube ich, haben sie nur kontrolliert, ob ich schon tot sei, um mich gegebenenfalls abzutransportieren – ich habe nie erfahren, was mit den toten Ameisen geschieht.)
In dieser Zeit im Sommer, und auch noch im Herbst, habe ich viel über das Ameise-Sein nachgedacht.
Jonas Marosi