» Texte / Fischer von Erlach. Ein Architekt des ›Nova Roma‹

Manfred Russo

Manfred Russo ist Kultursoziologe und Stadtforscher in Wien.


        Der 300. Todestag Fischer von Erlachs im Jahre 2023 bot den Anlass einer Kooperation zwischen dem Salzburg Museum und dem Wien Museum für eine Ausstellung, die nun erfreulicherweise im Wien Museum gelandet ist, um diesen Weltarchitekten in den Fokus einer zeitgenössischen Betrachtung zu rücken. Unter der Leitung des Kuratorenduos Peter Husty und Andreas Nierhaus wird der Erfolgsweg Fischers von seiner Heimat Graz über seinen Aufenthalt in Rom, sein Studium bei Bernini und schließlich sein Wirken in Mitteleuropa, insbesondere in Wien und Salzburg gezeigt.
        Über die frühere Phase seines Lebens und seine Zeit in Rom ist nur wenig bekannt, doch für die Zeit danach sprechen allein schon seine phänomenalen Entwürfe, Bauten und Schriften. So soll die Größe seines Werks vermittelt werden, das uns mit seinen Bauten vielleicht schon zu selbstverständlich als eine Art städtische Requisiten für Tourist:innen erscheint und dem zumindest mancherorts die Gefahr droht, dass der Maßstab in der Einschätzung seiner Architektur verloren geht. Das betrifft paradoxerweise auch das Museum selbst. Durch die benachbarte Karlskirche ist das Verhältnis zu Fischer räumlich wohl so eng, dass man sich offensichtlich auch zu geistiger und schöpferischer Nähe ermächtigt fühlte und dies durch eine selbst ernannte Kongenialität zu unterstreichen suchte, wie der Ausbau mit dem etwas bizarren Obergeschoss beweist, der die Höhe der Kuppel der Karlskirche erreicht.
        Man muss aber auch einsehen, dass diese Art von selbstbestimmter Kongenialität bereits in den 1960er Jahren anlässlich eines von der Gemeinde Wien veranstalteten Wettbewerbs zur Gestaltung des Karlsplatzes durch ein Projekt demonstriert wurde. Ein Wettbewerbsprojekt verstand die Karlskirche vor allem skulptural und man gedachte in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft sechs riesige Zylinder als Parkhäuser, nur etwas niedriger als die Kuppel, zu errichten. Heute muss man über derartige Projekte lächeln, aber man erkennt daran die Schwierigkeit der modernen Architekt:innen, ein derartiges Gebäude mehr als nur morphologisch zu interpretieren und auch symbolisch zu verstehen. Vielleicht kann die Ausstellung hier Nachhilfe leisten. Im Barock geht es im Gegensatz zum Klassizismus nicht um das Herausarbeiten der reinen geometrischen Körper, sondern stets um ein Ineinandergreifen der Körper und Formen, ein ständiges Werden und Wandeln (Heinrich Wölfflin). Die alte Entelechie von Materie und Form wird im Barock zu einem Paar von Materie und Kraft. Diese Kraft drängt aus dem Körper heraus und verformt ihn (so sind auch die merkwürdigen Schlangengebilde der Vasen zu verstehen) Im Barock kann aus einem Bildhauer oder Skulpteur wie Fischer ein Architekt von Palästen und prächtigen Kirchen werden.
        Fischer stand durch die Vermittlung von Carl Gustav Heraeus auch mit dem größten Philosophen seiner Zeit, Leibniz, in Kontakt, der einige Zeit in Wien verbrachte, weil er die Gründung einer Akademie anstrebte und mit Prinz Eugen in freundschaftlichem Kontakt stand. Auch verfasste Leibniz – was kaum bekannt ist – in Wien die berühmte geheimnisvolle Monadologie und man könnte Spekulationen darüber anstellen, ob er mit Fischer darüber gesprochen hat. Jedes Ding wird durch eine Seele, die Monade, ergänzt, sie sorgt für den Zusammenhalt der Atome. Man muss sich zum Verständnis der Monade auf die barocke Architektur beziehen (Gil Deleuze). Die Monade ist eher Zelle oder Sakristei, ein Raum ohne Fenster und Türen, ein reines Innen ohne außen. Analog dazu gibt es im Barock zahlreiche Räume, wo das Licht durch kaum sichtbare Öffnungen eintritt und man nicht nach außen sehen kann. Nach Wölfflin organisiert sich die barocke Welt nach zwei Vektoren, als Einsinken nach unten und als Streben nach oben. Obwohl der eine Vektor metaphysisch ist und die Seelen betrifft und der andere physisch und die Körper betrifft, setzen sie mittels zweier Etagen gemeinsam ein Haus zusammen, ja sogar eine Welt und beziehen sich stets aufeinander. Diese wenigen Zeilen sollen die Phantastik des Barocks andeuten, die von Leibniz durch ein geheimnisvolles System der Monade zusammengehalten wird. Natürlich kann derartigen Fragen in der Ausstellung nicht nachgegangen werden, der an sich lesenswerte Katalog hätte dazu vielleicht mehr Auskunft geben können.
        Ein Gemälde der Ausstellung zeigt Fischer mit der Allongeperücke in der Pose des Gelehrten, der über Architektur spricht und dies mit einer Geste unterstreicht, als wäre er eben der Institutio Oratoria des Quintilian entstiegen. Hier doziert jemand, der die Architektur der römischen Antike und ihre aktuellen Repräsentanten studiert hat und nun seine Worte an die höchsten Vertreter des damaligen habsburgischen Weltreichs richtet. Als Schüler Gian Lorenzo Berninis orientierte er sich an dessen Sinn für das Monumentale und die römische magnificenza. Er wurde zu einer zentralen Ansprechperson des habsburgischen Hofes und Hochadels in Fragen der römischen Bauart als diejenige, die für ein Weltreich, auch wenn der Kulminationspunkt schon überschritten war, als angemessen galt. Wien sollte ein Nova Roma werden. Fischer hat auch Teile seines Werks in sein großes Buch Entwurff Einer Historischen Architectur integriert. Dieses Buch, das er dem neuen Kaiser Karl VI. präsentierte, sollte – ebenso von Leibniz angeregt – einen universalistischen Überblick einer Geschichte die Weltarchitektur geben. Fischer ist davon überzeugt, dass Geschichte in ihren Gründen und Ursprüngen nur durch die Monumente zu begreifen ist und stößt damit auf großes Interesse. Das Buch zeigt die Weltwunder der Architektur von den Pyramiden über Jerusalem bis Stonehenge, Bauten aus dem nahen und fernen Orient bis nach China und schließlich die eigenen Werke der Kaiserstadt Wien, die Monumente mitsamt den Vasen, die den Barock zu einem besonderen Ausdruck bringen.
        Insofern ist es auch schlüssig, dass die Stiche dieses Buches einen optischen Schwerpunkt der Ausstellung bilden und allein durch ihre Fülle eine Aura des Barocks erzeugen. Es liegt in der Natur der Sache, dass Architekturausstellungen die Bauwerke nicht real in ihrer Wirkung vermitteln können, sondern auf das Medium des Bildes angewiesen sind. Hier sind es großformatige Fotografien von Werner Feiersinger, aber auch andere Formate wie kleinere Installationen, wie etwa jene, die die erste Nachkriegsausstellung von 1956 unter der Leitung von Clemens Holzmeister in Erinnerung rufen. Einige Modelle und Objekte ergänzen die Sammlung. Bemerkenswert auch die zahlreichen Triumphbögen, die in verschiedenen Zusammenhängen der Festarchitektur errichtet wurden und die in der römischen Tradition eine reiche psychologische und anthropologische Bedeutung aufweisen, worauf aber nicht eingegangen wird. Auch die Trauergerüste mit dem schönen Namen castra doloris erinnern an die barocke Kunst der Installation. Stereometrische Studien von Martin Feiersinger widmen sich verschiedenen Typen von Lustgebäuden, eher Follys avant la lettre und deren Kombination von ovalen Elementen im Grundriss. Auch dies erinnert an die Kegelschnittstudien des Leibniz. Der Kegelschnitt bildet bekanntlich die Grundlage einer Geometrie des Ovals. Was aber zählt ist, dass hier der Versuch unternommen wird, einen zentralen Teil der Baugeschichte des österreichischen Barocks, der so sehr durch die Größe Roms inspiriert wurde, dem Publikum zu präsentieren, um ein neues Interesse für das allzu Selbstverständliche hervorzurufen.


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