Christoph Laimer

Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.


Als »Rohmaterial« oder »völlig formlos« empfanden deutsche Raum- und Stadtplaner die von der Wehrmacht gerade eroberten polnischen Landschaften und Städte und sahen endlich eine Möglichkeit, ihren Wunschtraum, rücksichtslos gestalterisch eingreifen zu können, zu verwirklichen. Vom »Abbau der Polenstadt« und dem »Aufbau der deutschen Stadt« oder von der »Eindeutschung« polnischer Städte ist da z. B. die Rede. Niels Gutschow beschreibt in seinem Buch Ordnungswahn – Architekten planen im »eingedeutschten Osten« 1939 – 1945 am Beispiel der Städte Oswiecim/Auschwitz, Lódz/Lidzmannstadt und Poznan/Posen das Wüten und Wirken deutscher Architekten und Raumplaner und ihre Rolle im Eroberungs- und Vernichtungskrieg der Nationalsozialisten. Wie sehr sich Architekten und Raumplaner als Teil der Kriegs- und Eroberungsmaschinerie begriffen, verdeutlicht vielleicht am prägnantesten der Umstand, dass eine Ausgabe der Zeitschrift Der deutsche Baumeister 1943 unter dem Motto »Bauen/Rüsten/Kämpfen« erschien. In einer Erläuterungsschrift zum Generalbebauungsplan für Krakau hieß es: »Der Osten Europas soll dem Deutschtum gewonnen werden. Eines der stärksten und am längsten anhaltenden Mittel wird dabei der deutsche Städtebau sein.« »Die deutsche Stadt« sollte »als wesentlicher Repräsentant deutscher Macht und deutschen Wesens« zwischen den »Abwehrlandschaften« und dem »hochkultivierten deutschen Volksboden« Bedeutung gewinnen.
Gutschow beschreibt sehr detailliert die geplanten und verwirklichten Bauvorhaben für die drei Städte und nennt auch die verantwortlichen Architekten. Einige von ihnen hat er in den 80er- und 90er-Jahren interviewt. Unrechtsbewusstsein konnte er dabei keines feststellen. Werner Gabriel, der Autobahnen in der Sowjetunion plante und für diese befestigte Stützpunkte (»Trutzburgen«) vorsah, um sie gegen PartisanInnen verteidigen zu können, entfuhr bei einem Gespräch ein »Ja, das waren noch Aufgaben.« Äußerst interessant ist auch der Umstand, dass zahlreiche Pläne und Ideen das Ende des Nationalsozialismus fast unbeschadet überstanden haben. Gutschow erinnert z. B. daran, dass das Buch Die gegliederte und aufgelockerte Stadt, das 1957 unter der Autorenschaft von Johannes Göderitz, Hubert Hoffmann und Roland Rainer erschienen ist und weithin als »bedeutende Publikation« gilt, ursprünglich bereits im Jänner 1945 an der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung erschienen ist. (Bis auf wenige Exemplare wurde die komplette Auflage wenig später verbrannt.) Der einzige Unterschied der 1957er Ausgabe zur 1945er Ausgabe, die »als Zusammenfassung der zu dieser Zeit gültigen städtebaulichen Ordnungsvorstellungen« (Gerd Albers) einzustufen ist, sind geringfügige Änderungen und ein entnazifiziertes Vokabular.
In Auschwitz war eine große Zahl von Architekten, Stadt- und Raumplanern und Baufirmen im Einsatz, um das KZ und die Fabriken der IG Farben zu bauen. Erschütternd, mit welcher Sachlichkeit die Bauvorhaben in Auschwitz diskutiert und geplant wurden, wie die Verantwortlichen in unmittelbarer Nähe der Gaskammern über z. B. die Tiefe von Grünstreifen debattierten. Fritz Ertl, einer der Baumeister des KZ in Auschwitz, schreibt in seinem »Erläuterungsbericht zum Neubau des Wäscherei- und Aufnahmegebäudes mit Entlausungsanlage und Häftlingsbad im K.L. Auschwitz O/S«: »Der Haupttrakt liegt an der Westseite des Appellplatzes und enthält die Entlausungsanlagen mit den rückwärts eingebauten 19 Blausäurevergasungszellen. Ferner die erforderlichen Räume und Badeanlagen für die Zugänge. Der südliche Flügel enthält die Wäscherei, die nochmals zwei Seitentrakte zum Innenhof enthält. Die Grundrißgestaltung ist derart, daß innerhalb der Anlage ein Fließbetrieb ermöglicht wird, so daß sich keine Arbeitsgänge kreuzen.« So nebenbei trachtete Ertl eine »einheitliche architektonische Wirkung« zu erzielen, in dem er eine einheitliche Dachneigung von 45 Grad befürwortete. Gegen Ertl und seinen Kollegen in Auschwitz Walter Dejaco wurden zwar in den ersten Nachkriegsjahren im Gegensatz zu fast allen anderen Architekten und Planern ein Prozess geführt und auch die Frage der Mitschuld bei Evakuierung, Vertreibung und Mord gestellt, dieser endete jedoch mit einem Freispruch. Bei einem zweiten Prozess 1971 in Wien, der gegen die beiden, die in der Zentralbauleitung in Auschwitz saßen, konkret wegen des Umbaus der Krematorien angestrengt wurde, gab es ebenfalls einen Freispruch. Walter Dejaco wurde im Prozess von einigen ZeugInnen beschuldigt, persönlich gemordet und gefoltert zu haben.
Neben den zahlreichen Fakten kommt die Theorie in Gutschows Buch leider etwas zu kurz. In einem kurzen Kapitel am Schluss des Buches schreibt der Autor zwar über die »Kontinuität des Leitbildes ‚Stadtlandschaft’« und in den anderen Kapiteln tauchen auch immer wieder Stellen auf, die auf den Antiurbanismus der Nazis schließen lassen, im Vergleich mit den penibel recherchierten Fakten kann dieser Teil des Buches aber nur als Nebenprodukt gewertet werden. Das ändert jedoch nichts an der Wichtigkeit des Buches, weist eher auf einen allgemeinen Forschungsmangel hin.

Niels Gutschow
Ordnungswahn - Architekten planen im »eingedeutschten Osten« 1939-1945
(Bauwelt Fundamente 115)
Basel 2001 (Birkhäuser)
244 S., EUR 25,70


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