Ursula Maria Probst


Jede urbane Ökonomie benötigt ihr konstitutives Außen, das laut Jacques Derrida als eine Sphäre des Nichtökonomischen ein Terrain ausbildet, das für Geld nicht zu haben ist. Derrida kultiviert in diesem Kontext erneut den Slogan von Liebe-Kunst-Gerechtigkeit und erteilt einer konsumorientierten Freizeitgestaltung eine klare Absage. Mit dem Projekt fluctuated images im Fluc am Praterstern verlassen KünstlerInnen die ihnen von der Gesellschaft zugewiesenen marktstrategisch funktionierenden Kunsträume. Kultiviert wird im Fluc erneut jenes Potential, das Pierre Bourdieu als das symbolische Kapital der Kunst bezeichnete. Eine leerstehende Geschäftspassage direkt unter der Schnellbahn vis à vis vom Wiener Riesenrad wird temporär von der elektronischen und autonomen Clubkultur und einem informellen Kunstnetzwerk unter der Koordination des Vereins Dynamo zu einem Veranstaltungsort umfunktioniert.
Ökonomie, Sozialisationsformen und vor allem die Ästhetik von Übergangsformen am Rande der historischen Urbanität wurden in den 90er Jahren, angeregt durch Marc Augés Publikation non lieux, häufig unter der Thematik der Nicht-Orte diskutiert. Nicht-Orte bilden Passagen zwischen dem Konkreten und Bedeutungsvollen und dem Geschlossenen einerseits und dem Abstrakten, Unbestimmten und Offenen andererseits. Nicht-Orte definieren den beschleunigten Ablauf in den für den Personen- und Güterverkehr erforderlichen Einrichtungen, wie Schnellstraßen und Bahnhöfe. Alles Charakteristiken, die auf den Praterstern als einen der frequentiertesten Orte Wiens zutreffen. Die Zunahme dieser Nicht-Orte hängt mit der tiefgreifenden Veränderung der gesellschaftlichen Raum- und Zeitstrukturen zusammen. Das Spezifische der Nicht-Orte in ihrer Unterscheidung zu Orten liegt im Fehlen der drei zentralen Merkmale des Ortes: Identität, Relation und Geschichte. Außer Acht läßt Augé dabei, dass ein und derselbe Ort für den einen ein Nicht-Ort und für den anderen ein Ort sein kann und dass ein Nicht-Ort nie in reiner Gestalt existiert. Immer wieder gelingt es durch widerständige Prozeduren die festgeschriebene Ordnung von Nicht-Orten aufzuweichen und zu zersetzen, wie dies durch die Präsenz des Clubraums Fluc passiert.
Im Teil 2 der Ausstellungsserie fluctuated images setzen sich KünstlerInnen, wie Andrea Ressi, Anita Fricek, Almut Rink, Chikako Urata und Toni Kay mit der Wechselbeziehung zwischen kultureller und ökonomischer Peripherie im und vor dem Fluc auseinander. Integriert ist dieses Projekt in die Infrastruktur eines Barbetriebs, wo ein vielschichtiges Experimentieren mit Labels wie Artonal, Skug und Crossover Formen, wie den KünstlerInnen- und DJ-Kollektiven Dynamo, Viennese Lounge, Female Obsession und Lady Shave im Gange ist. Wenn KünstlerInnen sich aktiv mit virulenten Projekten zu urbanen Umstrukturierungen befassen und sich nicht auf die ihnen zugewiesenen Kunsträume beschränken, sondern ihren Lebensraum unterminieren und modifizieren, tritt eine Dynamik der Alltagsveränderung ein, die durchaus politische Handlungen setzt.
Die Künstlerin Andrea Ressi nimmt in ihrer 20 m langen Außeninstallation eine soziopolitisch süffisante Decodierung einer Logo-Sprache vor, die ansonsten zum Zwecke einer ausgeklügelten Werbestrategie unsere Konsumgesellschaft bedient. Der Praterstern ist ein Durchzugsort, an dem Piktogramme und Logos die Gebrauchsansweisung für die Fortbewegung und den täglichen Konsum liefern. Andrea Ressi hingegen besetzt die mittlerweile automatisch wahrgenommenen Codes mit emotionslosen Phrasen wie ANONYMOUS, TRANSIT, NOWHERE, TEMPORARY, VOID, STRANGE und trifft damit genau jene Empfindungen, die einen überkommen, wenn man zur Rush-Hour den Praterstern überquert. Eine nahe gelegene und in Wien omnipräsente Konditoreikette im 60er-Jahre-Styling wird mit der unpersönlichen Phrase ANONYMOUS belegt. Die typographischen Schriftzüge bleiben unverkennbar, wenn da, wo man gewöhnlich Bankomat liest, nun VACANT signalisiert wird. Wie auf einem Geschäftslokal sind die Logos Ressis auf der Oberlichte der Glasfassade des Fluc montiert. Decodiert und dennoch nicht völlig von ihrem ursprünglichen Ausgangsmaterial verfremdet, versuchen sich die Logos erst gar nicht gegen ihre Umgebung mit grellen Farben zu behaupten, sondern sind in dezenten Grau- und Grüntönen gehalten. Andrea Ressi überträgt ihre Zeichen, die sie der Terminologie der Nicht-Orte entlehnt, auf die Außenfassade des Flucs und nimmt so eine Neubestimmung einer zunehmend dekadenten Ideologie der freien Marktwirtschaft durch eine Sprache der Anonymität und Einsamkeit vor. Dabei mobilisiert sie eine Rhetorik, die der kommerziellen Verwertungsmaschinerie der Logos zuwiderläuft und Kritik am geplanten Umbau des Nordbahnhofs zur Shoppingmall übt. Andrea Ressi forciert so einen politischen Aktivismus, der sie als urbane Anthropologin ausweist und sich auf dem Feld der Verschränkung von bildender Kunst, Design und Architektur bewegt.
Mit dem modernen Kapitalismus ist die Herrschaft des Raumes über die Zeit angebrochen. Der urbane Raum ist so ein Produkt und Produzent von sozialen Widersprüchen und einer Infrastruktur, die sich gegen jegliche ökonomische Homogenisierung wendet. Andrea Ressi stellt jenem psychologischen Druck, den die kapitalistischen Umwälzungen im Subjekt auslösen, ein subversives piktografisches Anagramm gegenüber. Auch nach dem Umbau ist keine Homogenisierung des Pratersterns anzustreben, sondern es sollte die soziale, kulturelle, historische und ökonomische Diversität durch kulturelle Interventionen andauern. Hierin liegt die Logik der Gegenordnung begründet, die mit dem Ephemeren und sozial Anonymen dieser Transiträume bricht und zwischenmenschliche Kommunikationsräume ausbildet. Nur so kann verhindert werden, dass dort, wo durch autonome Räume wie dem Fluc der zunehmenden Gefahr der Anonymisierung entgegengesteuert wird, eine kommerzielle Verwahrlosung hinter blanken Fassaden stattfindet.


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