Christa Kamleithner


Die Projekte der WochenKlausur werden nun erstmals gesammelt vorgestellt, in Buchform, versehen mit einem Vorwort von Wolfgang Zinggl, das das Kunstverständnis der Gruppe erläutert und einem Nachwort, das die obligaten Fragen, das dieses auslöst, zu beantworten versucht. Die Gruppe hat sich 1992 formiert, im Rahmen einer Ausstellung in der Wiener Secession, bei der Zinggl weitere KünstlerInnen eingeladen hatte und deren Ergebnis in der Einrichtung einer fahrenden Ambulanz für Obdachlose bestand. Alle folgenden Projekte folgen diesem Muster: eine Kunstinstitution lädt ein und stellt Raum und ökonomisches wie kulturelles Kapital zur Verfügung, und tritt eventuell bereits mit einem Problem/Wunsch an die Gruppe heran. Falls nicht, wird vor Ort recherchiert und eine Aufgabe abgesteckt, die mit den begrenzten zur Verfügung stehenden Mitteln gelöst werden kann – die Interventionen erfolgen komprimiert, im Zeitraum von ungefähr acht Wochen (Klausur). Seit 1992 waren insgesamt 40 KünstlerInnen an der WochenKlausur beteiligt, heute setzt sich die Gruppe aus Pascale Jeannée, Stefania Pitscheider, Erich Steurer und eben Wolfgang Zinggl zusammen.
Die den einzelnen Aktionen übergeordnete Intervention liegt in einem Eingriff in die Sprache, in der strategischen Verwendung des Wortes »Kunst«. Wie Zinggl erläutert, hat es im Laufe der Geschichte schon verschiedene Bedeutungsverschiebungen erfahren; und wie die Bedeutung jedes Wortes in einem Sprachspiel oder -kampf konstruiert wird, ist auch die Bedeutung von »Kunst« Ergebnis einander widerstreitender Strategien. »Kunst kann immer nur sein, was die Menschen wollen, dass sie ist.« Was die WochenKlausur will, ist die Rezeption von Sozialarbeit als Kunst mit dem Ziel des gesellschaftlichen Aufstiegs der ersteren; und weiter mit dem pragmatischen Hintergrund, dass mit dem Gewinn an kulturellem Kapital meist auch Gewinn an ökonomischem Kapital verbunden ist und der Sozialarbeit so Mittel zufließen, die sonst im immer gleichen Kreis einer kunstinteressierten Klasse verbleiben. Was die WochenKlausur auf diese Art macht, ist die praktische Umsetzung Bourdieuscher Theorien: aktive Politik auf dem Tableau der »feinen Unterschiede«, die Erzielung von Distinktionsgewinnen – Kunst des Managements.
Die Kritik Zinggls an der herkömmlichen Kunstauffassung besteht vor allem in ihrem Festhalten an der Herstellung von Objekten, auch nachdem sich der Begriff des Werks schon längst aufgelöst hat. Der Kunstmarkt und die Kunstinstitutionen bestehen auf einem sichtbaren und verkaufbaren Produkt – das die WochenKlausur strikt verweigert. Was auf dem Feld der Kunst innovativ ist – die Betonung von nicht unmittelbar sichtbaren sozialen Prozessen zuungunsten einfacher wahrnehmbarer Objekte, ist auf dem Feld der Sozialwissenschaften weniger innovativ: hier wird gerade (meist immer noch sehr unentschlossen) versucht, die institutionell bedingte »Sachabstinenz« zu überwinden und zu zeigen, dass soziale Prozesse ihren Niederschlag in sichtbaren Dingen finden und von da aus wiederum Einfluss auf zwischenmenschliche Interaktionen haben. Form und Funktion werden wieder einander angenähert, abstrakte soziale Beziehungen und ebenso abstrakte Wahrnehmungsdaten werden miteinander verknüpft – was ihrer realen und konkreten Erscheinungsform entspricht, schließlich ist diese Trennung ein Produkt menschlicher Fantasie. Wenn die WochenKlausur auch keine vermarktbaren Produkte herstellt, beschäftigt sie sich doch mit greifbaren Dingen, mit wahrnehmbaren Kondensaten sozialer Prozesse und deren Veränderung. Von Formverweigerung kann daher keine Rede sein, die Frage der Form wird aber von der WochenKlausur funktionalistisch angegangen: »Wenn formale Diskussionen notwendig sind, dann immer nur in Zusammenhang mit einer Funktion.« Mit einem solchen Kunstverständnis, das den Anspruch erhebt, Probleme und Fragestellungen nicht nur aufzuwerfen und darzustellen, sondern deren Lösung auch anzugehen, hat die WochenKlausur maßgeblich dazu beigetragen, die österreichische Kunstszene zu politisieren. Und sie hat eine andauernde Debatte darüber entfacht, was Kunst nun eigentlich kann oder können sollte. Mit ihrer sich selbst auferlegten Pragmatik und Programmatik verortet sie sich explizit in einem Feld »angewandter Kunst« oder noch spezifischer: im Umfeld architektonischer Produktion. Die Positionierung der WochenKlausur in Bezug auf die Kunstszene ist damit eine radikale wie konfliktträchtige und insofern vielerorts diskutierte; was hier aber im Zentrum stehen soll, ist ihre Relevanz für die Architekturszene, von der sie bisher lediglich aus den Augenwinkeln wahrgenommen wurde – auch wenn ihre Aufgabenstellungen durchaus als räumliche aufzufassen sind:
Zum Beispiel die erste Intervention. Nicht die medizinische Versorgung Obdachloser an sich war das Thema der Aufgabe – dies ist eine rein politische/ethische Entscheidung, für die es keiner WahrnehmungsexpertInnen bedarf. Die Umsetzung ist allerdings schwieriger: die Versorgung bei praktischen ÄrztInnen oder im Krankenhaus und die umständliche Beschaffung der dafür notwendigen Krankenscheine sorgte dafür, dass das Angebot kaum in Anspruch genommen wurde. Was diese Prozedur für Obdachlose bedeutet, ist auch enorm: abschätzige Blicke und gerümpfte Nasen im Wartezimmer und häufiges Unverständnis der ÄrztInnen machen den Arztbesuch zu einem Spießrutenlauf. Eine fahrende Ambulanz hingegen, die zu den PatientInnen kommt und nicht umgekehrt, nimmt die Situation Obdachloser ernst. Ein anderes Beispiel ist ein jüngeres Projekt mit dem Thema »Verbesserung der Streitkultur«, genauer: die Mediation unterschiedlicher Gruppen und bereits länger andauernder Konflikte im Großraum Nürnberg. Da solche Konflikte meistens in institutionalisiertem Rahmen verhandelt werden, d. h. in eingefahrenen Verhaltensmustern und einseitig besetzten Territorien, hat die WochenKlausur für die Errichtung kleiner Pavillons gesorgt – also »exterritorialer« Räume, die für alle Beteiligten gleichermaßen ungewohnt und unbesetzt sind – und für Einladungen an verschiedene Streitparteien – VertreterInnen von Bürgerinitiativen, PolitikerInnen, JournalistInnen usw., die nun erstmals in intimem Ambiente unter vier Augen diskutieren konnten. Vermittlung und Öffentlichkeitsarbeit sind auch Thema verschiedener anderer Interventionen der WochenKlausur, vor allem im Vorfeld stadtplanerischer Eingriffe. Wesentlich dabei ist die Schaffung des Rahmens, also die Strukturierung von Kommunikationsprozessen, die nie von alleine entstehen, sondern immer erst in Gang gebracht werden müssen.
Ein weiteres Beispiel für Vermittlungsarbeit und die funktional-formalen Interventionen der WochenKlausur ist das Buch selbst: in übersichtlichem Layout und leicht verstehbaren Texten werden die Projekte vorgestellt. Was dabei allerdings unklar bleibt, ist, an wen sich das Buch richtet: an Menschen, die an den Projekten beteiligt waren, an KommunalpolitikerInnen, die für neue Projekte angesprochen werden sollen oder an ein akademisches Publikum mit dem Ziel der Aufarbeitung und Vorstellung der Projekte? Ob erstere durch den Vertrieb erfasst werden und ob von dieser Seite überhaupt Interesse an einer in Buchform gebrachten Darstellung besteht, sei aber in Frage gestellt. Und ob die Einfachheit der Texte für zweitere nicht etwas zu weit geht, ebenfalls ... Dennoch muss eingeräumt werden, dass das Buch in genau diesem Umfeld einen notwendigen Akzent setzt: in einer Umgebung, in der eine zunehmende Verkomplizierung der Sprache und Komplizenschaft der SprachteilnehmerInnen – also die Bildung von Geheimsprachen immer kleinerer Gruppen von Eingeweihten – zu vermerken ist, zeigt es die Möglichkeit und Sinnhaftigkeit einfachen Sprechens auf. Und die Notwendigkeit einer formalen Beschäftigung mit sozialen Aufgaben.

Wolfgang Zinggl (Hg.)
WochenKlausur - Gesellschaftspolitischer Aktivismus in der Kunst
Wien/ New York 2001 (Springer)
200 S., EUR 25,10


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