Alice Pechriggl

Renata Fuchs


Die feministische Theoriebildung hat in den letzten zehn Jahren größere Wandlungen vollzogen und hat dabei auch Auswirkungen auf die Praxis, insbesondere auf das Selbstverständnis von Frauenräumen und -projekten. Wie offen oder wie geschlossen sollen diese sein, wie ist ihr Verhältnis zu einer größeren Öffentlichkeit? Wie lässt sich queer theory leben? Und worin könnten die Gefahren für feministische Anliegen bestehen? Zu diesen Fragen bat dérive Renata Fuchs und Alice Pechriggl in einem Gespräch Stellung zu nehmen.

Alice Pechriggl: Heute diskutieren wir über Frauenräume und neue Konflikte, und wir sind damit einverstanden, unsere Diskussion, die wir als Privatpersonen und Bürgerinnen führen, in dérive abdrucken zu lassen. Das ist vor dem Hintergrund der Problematik zu verstehen, die darin bestand und zum Teil noch besteht, dass Konflikte innerhalb der Frauenszene oder -bewegung nicht nach »außen« getragen wurden bzw. werden sollten.

Renata Fuchs: ... dass es nicht erwünscht war, Konflikte nach außen zu tragen, weil die Konflikte intern diskutiert werden sollten, wobei das Innen nie klarer definiert war denn als »Frauenöffentlichkeit«, also Frauenzeitschriften. Vor allem sollten Konflikte nicht nach außen getragen werden, um die Bewegung nicht zu gefährden.

A.P.: Das war zum einen sehr stark politisch motiviert und natürlich auch eine strategische Überlegung. In einer Lager- oder Kampf-, ja fast Kriegssituation, wo es für die meisten um harte Auseinandersetzungen ging, ist das natürlich nachvollziehbar. Frauenpolitik war ja auch ein ständig sehr hart umstrittenes Feld.

R. F.: Vor allem ein Argument ist immer gekommen: Frauen haben sehr unterschiedliche Lebenszusammenhänge, unterschiedliche Hintergründe, unterschiedliche Wünsche. Diese Einheit, dieses »wir Frauen« ist von Anfang an immer wieder hinterfragt worden. Das war auch der Grund zu sagen: Wir wollen nicht Munition dafür liefern, dass es auch noch von den GegnerInnen der Frauenbewegung und ihrer Anliegen torpediert und gesprengt wird.

A. P.: Und doch war es letztlich nicht haltbar, das Wir. Ich meine mit »das Wir« auch die Vorstellung einer Art homogen-konsensueller Wir-Blase. Diese Vorstellung hat bei den engagierten Frauen auch zu großer Unzufriedenheit geführt und zu einer immer größeren Betonung und Hervorbringung der Differenzen und Konflikte auch zwischen den Frauenräumen und ihren Mitgliedern.

R. F.: Wobei ich auch sagen würde, über Differenzen zu berichten, das wird akzeptiert. Aber über Konflikte ...

A. P.: Ja, im Falle von Konflikten ist es ja auch ein Euphemismus, von Differenzen zu sprechen. Der Rassenkonflikt ist doch keine Differenz. Das ist ein extrem harter Konflikt gewesen, wo es um Leben und Tod ging. Bei Frauenpolitik ist es nicht so heiß zugegangen, da sind nicht sehr viele Tote zu beklagen ...

R. F.: ... jedenfalls nicht in Österreich, doch wenn es um die Frage der Abtreibung geht, ist es nicht mehr so einfach.

A. P.: Das war ja eigentlich einer der Auslöser für die Konstituierung der neuen Frauenbewegung: dass Frauen einfach auch daran starben, dass sie unter medizinisch wie auch psychisch sehr riskanten Umständen eine Abtreibung machen lassen mussten.

R. F.: Das hat auch sicher einen Teil der Kraft der Bewegung ausgemacht. Diese ungeheuerliche Ungerechtigkeit, die da passierte.

A. P.: Dieses »Meinbauchgehörtmir« ist auch ein Ausgangspunkt und Inhalt in der Konstituierung von Frauenräumen. Aber vielleicht ein wenig zur Geschichte der Frauenräume – die sich ja anfangs hauptsächlich über die Abgrenzung von »den« Männern definiert hat. Ich denke, hier ist die Erfahrung von 1968 zentral, dass in höchst fortschrittlich sich gerierenden Projekten, Parteien und Gruppierungen die Männer zwar verbal den Frauen gleiche Rechte zugestanden haben, an sich sozusagen, in der Praxis, die Frauen die subalternen Arbeiten gemacht haben – getippt, Kaffee gekocht, so gut wie nichts zu reden hatten, schon gar nicht politisch zu beschließen. Damit hat gleichsam die neue Frauenbewegung begonnen, eben auch als und mit einer Öffnung und Schaffung von Räumen NUR für Frauen.

R. F.: Virginia Woolfs »A room of one’s own« auf kollektiver Ebene sozusagen. Wenn wir von Wien ausgehen, wo österreichweit die ersten Frauenprojekte entstanden sind, Anfang der siebziger Jahre: Das waren sicher einmal die Frauenbuchhandlung und das Frauenzentrum, das Frauencafé und die Frauenberatungsstelle, und wo es damals ganz wichtig war zu sagen: Das ist ein Frauenraum, von Frauen für Frauen geschaffen.

A. P.: Und das Ganze auch noch mit diesem fast Versprechen, dass hier etwas Neues entstehen wird, auch von kollektiver, politischer Bedeutung.

R. F.: Die man nicht verwischen sollte, und vor allem sollten wir nicht verwischen, wie viel Thematiken diese neue Bewegung auch in die Politik eingebracht hat: neue Betrachtungsweisen, Veränderungen in Gremien ... es war eine totale Aufbruchsstimmung. Und die konnte nur getragen werden von all diesen weiblichen Arbeits- und Lebenszusammenhängen, wie es genannt wurde, also Frauenräumen.

R. F.: Nun ist es auch so, dass so etwas wie Frauenräume und der Versuch, innerhalb eines weiblichen Kollektivs Ermächtigung oder Macht zu beanspruchen, öffentlich obsolet erscheint. Und es wird auch nicht öffentlich als ernsthafter politischer Weg diskutiert. Es gibt zwar so etwas wie Netzwerke, zunehmend auch im professionellen Bereich; »weibliche Netzwerke«, Lobbyismus, Mentoring. Es geht nicht mehr darum, Frauenräume zu schaffen und aus diesen heraus politisch zu agieren. Das ist nicht mehr der Weg, der diskutiert wird.

A. P.: Und doch gibt es also noch einige solcher Orte und Räume.

R. F.: Die meisten deklariert als Bars oder als Discos oder als Freizeiträume.

A. P.: Da werden allerdings Männer zugelassen.

R. F.: Zum Teil. Nicht überall. Im Frauencafé, in der FMLZ-Bar nicht. Und wo der Anspruch politischer ist, also im Frauen- MädchenLesbenzentrum oder in der Frauenhetz, da werden auch keine Männer zugelassen. Das Zentrum selbst ist ja etwas Vielschichtiges, weil dort Freizeitaktivitäten, also auch Selbstverteidigungskurse, und politische Diskussionen sowie Aktionen veranstaltet werden. Sie vereinigen politische Arbeit und Freizeit, Wünsche und Spaß. Dann die Buchhandlung, die ein Betrieb ist. Das sind vordergründig gewerbetreibende Frauen, die sich auch daran orientieren müssen, wie sie ihren Betrieb erhalten können. Die haben ihren Ort sehr bald schon für Männer geöffnet – als Käufer, nicht als Arbeitende.

A. P.: Was mir in den letzten Jahren auch aufgefallen ist, ist eine gelassenere Vermischung von Schwulen und Lesben auch an dieser Schnittstelle von politisch-emanzipatorischer Tätigkeit und Freizeitgestaltung in einem konsumistischeren Sinne.

R. F.: Zu den Frauenorten sind auch noch die Frauenberatungsstellen zu zählen. Es gibt Frauenberatungsstellen, im Bereich der Arbeit, aber vor allem im therapeutischen Bereich.

A. P.: Das sind aber mehr Servicestellen des Wohlfahrtsstaates, würde ich sagen. Das ist noch mal etwas anderes ... auch der Frauennotruf und die Frauenhäuser sind wiederum viel stärker Zufluchts- und Reparationsorte.

R. F.: Aber trotzdem sind es Frauenorte, die von Frauen getragen werden und Frauen zur Verfügung stehen. Natürlich ist das Problem dabei immer, dass es an diesen Orten darum geht, mit dem Opferstatus der Frauen Umgang zu haben. Was politisch natürlich schwierig ist, weil du dann immer in dieser Position bist, für andere, die sich nicht artikulieren können – und oft auch nicht wollen – sprechen zu müssen.

A. P.: Wichtig sind natürlich auch die Frauen, die auf die Straße gegangen sind, über diese Kollektive hinaus, einzelne Frauen, die vielleicht nur sehr sporadisch als Besucherinnen dieser Frauenräume oder -kollektive agiert haben, aber dann doch bei den Demos mitgegangen sind.

R. F.: Aber damals war es schon sehr wichtig, sich zu deklarieren: Bist du eine Feministin oder bist du keine.

A. P.: Die Frauenräume sind heute nicht mehr so präsent in der politischen Auseinandersetzung. Demos gibt es, ja, die 8.- März-Demo, sie sind als öffentlicher Raum aber in ihrer Bedeutung ziemlich geschrumpft. Die 8.-März-Demo hat fast schon etwas Folkloristisches.

R. F.: Genau, diese 8.-März-Demo, die ja in den siebziger Jahren eine enorme Bedeutung gehabt hat. Ich erinnere mich an unglaublich gut besuchte, bunte Demonstrationen, wo sich von den Katholikinnen bis zu den autonomen Frauen und Lesben alle zusammengeschlossen haben. Weil doch der Hintergrund war: Man möchte es so breit wie möglich haben. Und dieser Hintergrund ist nicht mehr wirklich zu sehen. Da geht es meiner Ansicht nach auch stark um einen Prozess der Anpassung (...) Es sieht so aus, als hätten die Schwulen und Lesben diese Rolle der Frauen als emanzipatorische Subjekte innerhalb einer Community, innerhalb eines Staates, innerhalb einer Stadt übernommen.

A. P.: Und die MigrantInnen zum Teil ...

R. F.: Genau, die MigrantInnenpolitik. Auf der einen Seite hat sich in den letzen Jahren sehr viel getan an Diskussionen über Machtverhältnisse, über Positionen ...

A. P.: Gender Mainstreaming, Geschlechterdemokratie. Das ist in aller Munde.

R. F.: Genau. Wie es dann aussieht, ist wieder eine andere Frage, aber es ist auch institutionalisiert worden ... als Bewegung kann man das nicht bezeichnen.

A. P.: Die Frauenräume haben aber weiter bestanden. Und das liegt nicht zuletzt daran, dass sie nicht nur einen politischen Zweck hatten, sondern dass da immer zumindest drei Ebenen aktiv waren. Die eine Ebene betraf mehr das feministische Interesse, die zweite die Zuflucht vor der strukturellen und psycho-physischen Gewalt »der« Männer und last but not least ein explizit sexuell-erotisches, nämlich von lesbischen Frauen, die in diesen Kollektiven auch unter sich ihre Partnerinnen gefunden haben. Das ist etwas, was auf den ersten Blick unpolitisch erscheinen mag, obwohl es immer geheißen hat: Das Private ist politisch. In diesem Fall war aber gerade das nicht wirklich ein Thema, das war tabu, oder? Hast du jemals gehört, dass das irgendjemand so sagte?

R. F.: Interessanterweise nein. Die Problematik der Diskreditierung, Verachtung von Homosexuellen, von lesbischen Frauen wurde lange nicht offen angesprochen. Obwohl das ein hochbrisantes, politisches Thema ist, wie und an welchen Orten PartnerInnensuche stattfinden kann, soll, real stattfindet.

A. P.: Nun war dieser Aspekt auch dort am ehesten thematisierbar, wo Lesben die Mehrheit gestellt haben. Doch Frauen versuchten auch, diese beiden Ebenen, die ich vorhin erwähnt habe, in so einem Begriff wie dem lesbischen Kontinuum zusammenzubringen oder den Konflikt auch zu verdecken, in diesem sehr schwammigen Begriff (...)

R. F.: Aber es gab natürlich ganz viele, die ihr Coming Out in diesen Frauenräumen hatten. Und solche Orte gibt es ja sonst nicht. Was die Frauenhetz betrifft, so war dieser Frauenraum auch Ziel von Angriffen seitens der ÖVP; das sei ein Ort, der von Lesben dominiert ist, die da ihren eigenen Lustvorstellungen frönen und nicht ein Ort, der für die Allgemeinheit zugänglich ist.

A. P.: Der Druck wird größer und die herrschende Ideologie zunehmend funktionalistisch. Politische und autonomiebefördernde Projekte – also die Vorstellung »Wir wollen etwas schaffen, das wir selbst bestimmen und wodurch wir unsere Selbstbestimmung ausbauen können« – bedürfen ja viel Zeit und Muße. Das ist in den letzten zehn Jahren schon weniger geworden ... Gleichzeitig wurde aber doch sehr viel Neues hervorgebracht. Queer, um das Stichwort hereinzubringen, das jetzt natürlich auch die Frauenräume, die noch existieren, beschäftigt und zum Teil auch spaltet. Queer ist ja etwas, was ebenfalls neue Formen von politischer Versammlung, von Identitätsauffassung hervorgebracht hat. Queer heißt quer, seltsam. Es war eine Bezeichnung für Homosexuelle, ein Schimpfwort mehr. Und es ist dann übernommen und positiv besetzt worden, vor alle von Schwulen. In den neunziger Jahren ist es immer bekannter geworden: »queer theory«, »queer identity« (was natürlich schon ein Widerspruch in sich ist, weil queer ja irgendwo quer durch heißt, nirgends festmachbar, sehr stark von poststrukturalistischen, dekonstruktivistischen Weltanschauungen geprägt). Und dieses queer hat natürlich auch den ohnehin schon längst in Gang befindlichen Auflösungsprozess einer starren Gender-Kategorie unglaublich befördert. Nicht so sehr als Klasse, sondern als ein biologisch-anatomisch fundiertes Konzept.

R. F.: Trotzdem hat es natürlich immense Auswirkungen auf die bestehenden Frauenräume gehabt, weil diese Positionierung, die innerhalb der feministischen Politik verlangt wurde, »hier die Frauen, dort die Männer, und dazwischen die Front«, dadurch aufgeweicht wurde. Es musste dann diskutiert werden: Wo sind wirklich Differenzen, und wo ist wirklich Identität, und was gibt es da für alternative Möglichkeiten der Differenzierung?

A. P.: Eine Aufweichung von Geschlecht als substantialistischer oder essentialistischer Kategorie, aber auch des bis dahin diskutierten Problems »Wie definiere ich mich als einer Unterdrückung implizierenden Geschlechterklasse zugehörig, oder wie werde ich, warum werde ich als Frau definiert und was heißt das für meine Libido?« Da kann bei allem Konstruktivismus die Rolle der Anatomie und des Leiblichen nicht außer Acht gelassen werden. Es ist natürlich auch für die Identität solcher Frauenkollektive nicht unwichtig, dass die Mitglieder eben Frauen und keine Männer sind. Und was macht dann eine Transgender-Person da?

R. F.: Das hat sie vor ziemliche Probleme gestellt, weil sie sich einerseits meistens auf einem Frausein als Gender-Sein aufgebaut haben, andererseits aber den weiblichen Körper schon als Ausgangspunkt dafür genommen haben. Und dann war das Auftauchen einer deklarierten Transgender-Person in diesen Zusammenhängen mit einem Eklat verbunden.

A. P.: Ich erinnere mich dunkel an einen Konflikt schon Mitte der achtziger Jahre. Im Frauencafé war eine lesbische, nicht umoperierte Male-to-female-Transgender- Person und sorgte dort für einen Eklat. Die einen haben gefunden, es sei eine Frage der Selbstdefinition und man könne das nicht am Körper festmachen. Und andere haben befunden: Nein, ein Mann ist ein Mann und eine Frau ist eine Frau, und das erkennt man daran, ob sie einen Penis oder nicht hat oder Brüste oder ich weiß nicht was.

R. F.: Genau. Dafür gab es aber erst viel später ein breiteres Bewusstsein, mit der Queer- und Transgenderbewegung. Das war eine neue Möglichkeit, innerhalb der Gesellschaft zu konstatieren: Die Geschlechterpositionen sind keine fixierten, und ich kann, je nachdem, wie ich mich fühle, mich mal da und mal dort zuordnen. Und es war eine große Befreiung, das zulassen zu können, auf der einen Seite. Auf der anderen Seite hat es natürlich die realen Machtverhältnisse ignoriert, musste es auch zum Teil. De facto ist es so, dass, wenn wir an die Ökonomie denken, sich die Situation der Frauen weltweit zunehmend verschlechtert.

A. P.: Bei aller dieser mir durchaus befremdlich erscheinenden Verkennung des physisch-Realen finde ich es noch befremdlicher, dass das Thema »Transgenders in Frauenräumen« so einen Eklat produziert hat. Es ist mir nicht wirklich nachvollziehbar, dass von diesen wenigen Personen eine solche Bedrohung ausgeht ...

R. F.: Auf der anderen Seite fällt mir gerade ein: Ich habe im Radio gehört, dass in den USA jetzt gerade die unglaublich häufig passierenden Vergewaltigungen von Soldaten an Soldatinnen im Irak diskutiert werden. Ich denke das ist so ein Thema: dieses Gewaltpotenzial, das Männer verkörpern.

A. P.: Geschlechterkampf im Kriegslager oder der Frauenleib als zu eroberndes Territorium statt Lager der Frauen.

R. F.: Lager, das ist ein militärischer Begriff.

A. P.: Nicht nur, aber auch. Wir haben ja schon erwähnt, dass es sehr kämpferisch zugehen kann in der politischen Auseinandersetzung. Clausewitz hat ja gemeint, der Krieg sei nur die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Man könnte das umgekehrt genauso sagen: Die Politik ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Ich würde das sogar als historisch passender einsetzen. Die Politik als solche, als explizite und verfasste Gestaltung der Gesellschaft durch ihre Bürger wurde erfunden, da gab’s den Krieg längst ...

R. F.: Als kulturelle Leistung!

A. P.: ... durchaus auch als kulturelle Leistung, gewissermaßen als Sublimierung dieser Zerstörungstriebe, und ich denke auch, dass die Erfindung neuer politischer Umgangsformen durch die Frauenbewegung etwas ganz Wichtiges ist. Das heißt aber nicht, dass nicht auch unglaubliche Grabenkämpfe, Lagerbildungen, »Zerfleischungen« innerhalb dieser Projekte, Kollektive und Räume stattgefunden hätten und immer noch stattfinden.

R. F.: Und das hat ja durchaus eine Parallele mit politischen Parteien: Es muss nach außen hin ein einheitliches Bild gezeigt werden. Es muss eine Meinung vertreten werden, und diejenigen, die andere Vorstellungen haben ... da ist es wirklich selten möglich, damit konstruktiv umzugehen. Frauen haben halt gelernt, moralisch zu denken. Moral ist etwas Wichtiges, auch positiv, das sich aber auch sehr negativ auswirken kann, weil dann Differenz nicht zugelassen wird. Wenn das eine das Gute und das andere das Böse ist, ist alles klar.

A. P.: Das ist es ja, warum ich eine Ethik ohne Politik für völlig daneben halte: weil du gerade in der Politik über das dogmatische Werten hinausgehst und eigentlich die prinzipielle Gleichberechtigung der Argumente anerkennst. Das halte ich für einen großen Fortschritt der Erfindung der Politik gegenüber der Moral, die vorgibt, immer schon zu wissen, was Gut und Böse ist. Die Moral klammert den philosophischen, also erkenntnisbezogenen Skeptizismus aus und wird dogmatisch, die Politik als demokratische hat ihn zu ihrer allgemeinen Bedingung und sollte ihn immer wieder herstellen in Bezug auf die prinzipielle Frage »was sollen wir tun« oder »sind unsere Gesetze für uns alle (noch) angemessen«.

R. F.: Wir haben ja vorhin das Lager auch dem politischen Experimentierfeld gegenübergestellt, und Frauenräume waren immer auch ein Experimentierfeld, um in Diskussionen herauszufinden, was Identität bedeutet.

A. P.: Ja, aber auch Anlass, die eigene kollektive Identität in Frage zu stellen. Das ist etwas, was mich bei der Reflexion und dem einstweilen durchgesetzten Stand punkt in diesem Konflikt um Transgenders auch wieder positiv überrascht hat: dass hier eine Zerfallsangst thematisiert und die kollektive Identität einmal prinzipiell als neu definierbar erscheint. Und ich meine, das ist genau das, was in einem Lagerdenken nicht möglich ist. Weil da nur »dieses Lager« und »jenes Lager« gilt, also die Front, und dann letztlich das Ziel der Überstimmung oder überhaupt der Vernichtung des anderen Lagers.

R. F.: Aber natürlich ist es so, dass unterschiedliche Frauen Unterschiedliches mit Frauenräumen verbinden. Für manche ist es ein Refugium, und das muss akzeptiert werden, weil manche einfach aus ihrer Geschichte heraus zutiefst begründete Angst vor Männern haben. Und auf der anderen Seite ist es ein Ort, aus dem heraus gehandelt werden kann, wo es vielleicht nicht so notwendig ist, diesen Ort ununterbrochen exklusiv zu gestalten. Und ich denke mir, dass diese Diskussion noch am Beginn steht: Dass es Orte geben muss, die Rückzugsorte sind, und dass es Orte geben muss, die Austausch bieten können. Und dass beides seine Existenzberechtigung hat. A. P.: Auch wenn der Grund, warum man sich in diesem und nicht im anderen Frauenkollektiv engagiert, sicher ein politischer ist. Der Schutzcharakter bleibt für einige über die politische Aktualität von Frauenräumen hinaus aktuell. Einfach auch wo arbeiten, handeln, leben, Freizeit gestalten zu wollen, wo Männer eben einmal keinen Zugang haben ...

R. F.: ...die in Summe in unserer Gesellschaft nach wie vor die Mächtigeren sind.

Renata Fuchs ist Psychotherapeutin und Geschäftsführerin des Zentrums für Beratung, Training und Entwicklung in Niederösterreich. Sie war in diversen Frauenprojekten tätig, u. a. als Mitbegründerin der Offensiven Frauen und der Frauenhetz.

Alice Pechriggl ist Philosophin und Sozialwissenschaftlerin und Professorin am Institut für Philosophie und Gruppendynamik der Universität Klagenfurt. Sie engagierte sich in feministischen Projekten sowie für die Implementierung der Gender Studies.


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