Freie Entfaltung im Frauenraum?
Über ein unmögliches VerlangenPrüfung Grundkurs Gender Studies,
Aufgabe 1:
E. hat einen Termin bei ihrer lesbischen Friseuse. Es sind noch drei andere Frauen im Laden anwesend. Während die Chefin und ihre Gehilfinnen die Haare der Kundinnen in Form bringen, unterhalten sich diese angeregt über die neuesten Frisurentrends und andere Beautythemen. Nach einer Stunde zahlt E. eine nicht geringe Summe und geht höchst zufrieden nach Hause.
Frage: War E. in einem Frauenraum?
Frauen in einem Raum machen noch keinen Frauenraum – zumindest für ein feministisches Verständnis des Begriffs scheint die rein körperliche Anwesenheit von Frauen nicht auszureichen. Virginia Woolf forderte in ihrem 1929 erschienenen Buch Ein Zimmer für sich allein einen privaten Raum ein, der die Grundlage für die Erfahrung persönlicher Autonomie darstelle. Die im Zuge der zweiten Frauenbewegung popularisierte Vorstellung vom Frauenraum wandte sich hingegen an die Öffentlichkeit und skandierte selbstbewusst:
*Frauen brauchen Raum. Auf Grund gemeinsamer Diskriminierungserfahrungen würden Frauen kollektive Orte benötigen. Erst in diesen Enklaven des Patriarchats werde es möglich, Frauenbezüge herzustellen, aus der Vereinzelung herauszutreten, gemeinsame Erfahrungen zu thematisieren und frauenspezifische Umgangsformen zu entwickeln. Dass Frauenräume Orte seien, in denen sich Frauen frei entfalten können, ist ein feministischer Gemeinplatz.
Heute existieren Frauenräume – ebenso wie die feministische Theorie – diffus im Plural. Im Wiener Kulturzentrum »kosmos.frauenraum« dürfen Männer als Konsumenten »solidarischen Anteil« an kulturellen Produktionen von Frauen nehmen – mit dem erklärten Ziel, den Dialog der Geschlechter zu fördern. Andererseits sind Räume entstanden, die den strategischen Separatismus in einen essenziellen wandelten und die Kommunikation mit der bürgerlich-patriarchalen Öffentlichkeit abgebrochen haben. Diese Gegenwelten, die scheinbar abgekoppelt von der gesellschaftlichen Totalität existieren, simulieren eine abgetrennte, »ganz andere« Frauenwelt. Therapie- und Wohlfühlfunktion haben die Kritik an der Gesellschaft abgelöst. Ein weiteres Beispiel für die gegenwärtige Vielfalt an Konzeptionen: Unter dem Einfluss der dekonstruktivistischen Theorie wird die Begründung des »Frauenraums« infrage gestellt. Wenn die Kategorie »Frau« vieldeutig wird, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es auch ans »Eingemachte« der Frauenräume geht: Worauf sollen sich nun separatistische Strategien gründen? Die Kriterien des Ein- und Ausschlusses werden fragwürdig.
Während sich Genderforscherinnen mit Fragen der Umdeutung und Neuaneignung beschäftigen, bezeichnen sich heute selbst Büros von Frauenbeauftragten kühn als Frauenräume. Sind die Frauenräume letztlich an dem Ort angekommen, dessen Gegenentwurf sie zu sein beanspruchen – im kapitalistisch-patriarchalen Staat, in der bürgerlichen Öffentlichkeit? Diese genuin staatlichen Einrichtungen machen deutlich, was die separatistische Rhetorik gerne vergisst: Tatsächlich existieren Frauenräume niemals im gesellschaftlichen No-Mans-Land.
Nicht nur im Fall von Kürzungsdrohungen tauchen staatliche Bürokratinnen mit schlechten Botschaften in den weiblichen Welten auf. Dass dem Staat feministische Räume kaum mehr ein öffentliches Anliegen sind, ist freilich zu kritisieren. Allerdings sollte – unabhängig von aktuellen Betroffenheiten – auch der gute alte Wohlfahrtsstaat einmal unter die Lupe genommen werden. Seine Strategie war die der Integration und Kooption. Wie sonst konnten aus temporären Frauenräumen die heutigen Institutionen entstehen?
Die Frauenbewegung war als Modernisierungsphänomen und Dienstleisterin durchaus willkommen, und auch sie selbst ist vielfältige Beziehungsformen mit »Vater Staat« eingegangen. Dass Frauenräume – so begriffen – als »erweiterter Staat« existieren, macht klar, dass es sich bei diesen Zonen beileibe nicht um Orte außerhalb des Vergesellschaftungsprozesses handelt.
Es gibt kein richtiges Leben im falschen, sagte Adorno. »Frei entfalten« können wir uns weder im Frauenraum noch beim Friseur. Aber an beiden Orten kann mit der Kritik an den bestehenden Verhältnissen begonnen werden. – Also, sollte E. nicht wieder mal zur Friseuse gehen?
Jutta Sommerbauer hat an der Universität Wien Politikwissenschaft studiert und lebt derzeit in Bulgarien. Ihr Buch Differenzen zwischen Frauen. Positionsbestimmung und Kritik des postmodernen Feminismus ist im Unrast-Verlag erschienen (Münster 2003).
Jutta Sommerbauer hat an der Universität Wien Politikwissenschaft studiert und lebt derzeit in Bulgarien.