Barbara Holub

Barbara Holub ist Künstlerin und Mitglied von transparadiso, einer Platform für Architektur, Urbanismus und Kunst.

Paul Rajakovics

Paul Rajakovics ist Urbanist, lebt und arbeitet in Wien.

transparadiso


Wir, transparadiso, arbeiten gerade an einem urbanen »Forschungs«projekt, welches weniger einer »Lösung« für innerstädtische Brachflächen (zu diesen würde man in einer traditionellen Begrifflichkeit auch leerstehende Geschäftslokale hinzuzählen) nachgeht, sondern das vielmehr aus diesen urbanen Symptomen eine neuartige Interpretation der jeweiligen »brachen Orte« zulassen soll. Wir nennen dieses Forschungsprojekt »Indikatormobil«. Es handelt sich um die Entwicklung eines urbanen Einsatzfahrzeuges, das urbane »Notfälle« aufspüren und zur Behandlung derselben eingesetzt werden soll. Außerdem dient das Fahrzeug Zwecken der urbanistischen Forschung und gezielter Projektrecherche. Dies ist jedoch nur möglich, wenn das Fahrzeug sich sowohl tarnt, als auch programmatisch von seinem eigentlichen Einsatz ablenkt. (Tarnung sollte hier auch auffällig gemeint sein.) Jedenfalls agiert es nicht vorrangig in strategisch abgezirkelten städteplanerischen Überlegungen, sondern versucht Orte unmittelbar über Kommunikation zu erobern bzw. die Notwendigkeit von Einsatzorten aus vielfältigen und Genreübergreifenden Aspekten herauszudestillieren. Dies setzt voraus, einerseits mit Autoritäten zu kooperieren, gleichzeitig aber auch das Potenzial des Unvorhergesehenen und Spontanen als grundlegende Triebkraft zu nutzen. Das Indikatormobil soll neben einer permanent bespielbaren Videowand auch mit einer Bar, »urbanen Analysegeräten« und einem Kommunikationsraum mit angeschlossenem Radiostudio und -sender ausgestattet werden.

Ein Einsatz mit dem »Indikatormobil« sollte also von der Einsatzzentrale genau überlegt werden. Auch nicht jeder Feuerwehreinsatz ist hilfreich und notwendig. Allzu oft wird ja auch viel zu viel Löschwasser über kleine Brände geschüttet. Die zentrale Frage ist: Wann ist eine urbane Intervention wirklich sinnvoll? Oder unter welchen Umständen sind traditionelle Ausstellungsräume für gesellschaftlich relevante Projekte nicht wesentlich aussagekräftiger, da ja mittlerweile eine Kommunikation über mediale Räume oft präziser eingesetzt werden kann als jene über den 1:1 Stadtraum. Manchmal drängt sich auch bei den mittlerweile im Überfluss entstehenden Kunstprojekten im öffentlichen Raum der Verdacht auf, dass diese gar nicht spezifisch den damit verbundenen Fragen von Öffentlichkeit nachgehen, sondern sich verstärkt dieser Räume bedienen, weil sie leichter zugänglich sind und/oder die Kunstprojekte ansonsten nicht oder nicht in dem Maße wahrgenommen werden würden.

Die Wahl der verschiedenen Orte in Bezug auf verschiedene Öffentlichkeiten ist also ein wesentlicher Aspekt bei der Konzeption eines Projektes. Kann sich Öffentlichkeit denn nur an leeren Orten entwickeln? Bedeutet dies automatisch Wahrnehmung? Und: Auf welche Art der Wahrnehmung / Rezeption zielt das jeweilige Projekt denn ab? Barbara Holub entwickelte für den steirischen herbst 2003 das Projekt »zwischen rollen« (im Rahmen der Ausstellung »enactments of the self«, kuratiert von Maia Damianovic), das über post-its (Haftetiketten) und Postkarten wurde zu einem Casting in einem amerikanischen station wagon für Zaungespräche eingeladen, die in einer für die Ausstellung adaptierten Fabrikshalle stattfanden. Dort wurden die »Zaungäste« zu AkteurInnen in der modellhaften Idylle eines Gartens, der durch einen Zaun geteilt war. Das leer stehende Fabriksgebäude wurde temporär zum Kunstspielraum – allerdings versteckt in einem Hinterhof gelegen. »Zwischen rollen« entzog sich somit der Falle des Spektakels und schonte auf diese Weise das schon knapp gewordene Gut des allzu »öffentlichen Raums« (mit dem verkürzt ja meistens der Stadtraum gemeint ist). Dieser lief als Hintergrund in den Köpfen der AkteurInnen während der Zaungespräche aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen mit. Die Videoaufzeichnungen der Gespräche wurden parallel dazu in der Auslage des Möbelhauses Leiner als Teil der üblichen Auslage gezeigt – in der hypermerkantilen Illusion wird die Projektion in den Konsum integriert. Begleitet wurde das Projekt vom medialen Raum mit Interviews in »Radio Helsinki« als integralem Projektteil von »enactments« sowie berichten in Printmedien.

Freistellen sind das notwendige Atmen einer Stadt

Die Frage ist also, ob eine Leerstelle nicht genau in der Überdetermination (wie z. B. in der Auslage des Möbelhauses) eher sichtbar ist, als dort, wo man sie vermutet, oder glaubt, sie leicht als solche benennen zu können – nämlich im sich der kapitalen Verwertung entziehen. Wir möchten also leerstehende Geschäftslokale nicht per se als Leerstellen und schon gar nicht als Brachflächen betrachten. Wir wollen sie als »Freistellen« bezeichnen, da sie eigentlich Orte des Wünschens sind. Zu oft sind diese Lokale ja in Wirklichkeit »besetzt«, da für potenzielle InteressentInnen, aufgrund zu hoher »kalkulatorischer Mieteinnahmen« der jeweiligen EigentümerInnen, eine Anmietung immer noch nicht möglich erscheint.

Andererseits lassen Leerstellen Wünsche für den konkreten Ort zu – entweder, weil man selbst glaubt, diese Orte irgendwann besetzen zu können, oder weil ein Stellvertreter die eigenen Projektionen realisieren könnte. Freistellen sind also das notwendige Atmen einer Stadt – eine »poetische Reserve«. Schon über den bloßen Wunsch kann diese Reserve aktiviert und somit von ihrem bisherigen »Kontext« freigestellt werden. (Auch ein freigestelltes Bild im Photoshop wird aktiviert und so für einen neuen Kontext vorbereitet).

Welche Werte werden aber nun den Freistellen zugeteilt? Reduzieren wir die Werte auf rein ökonomische, so harren die »freien« Orte in ihrer scheinbaren Verfügbarkeit in der Hoffnung auf bessere Zeiten. Lassen wir aber zuerst einmal die Notwendigkeiten beiseite und denken wir nochmals nur an das Wünschen. Wer kennt nicht auch den Lustgewinn, sich eine Wohnung anzuschauen, ohne wirklich auf dringlicher Wohnungssuche zu sein, und sich an der Möglichkeit, diesen Raum zu besetzen, zu erfreuen? Der/die UrbanistIN hat hier die Chance, kollektive Wünsche zusammenzuführen, um Orte temporär zu beund zu entsetzen – z. B. mit Aktionen des Indikatormobils. Abgesehen vom Wünschen gibt es natürlich auch eine utilitaristische Herangehensweise: Temporäre Programme können tatsächlich monetär-ökonomisch zu Synergien führen. Kurzfristige neuartige Nutzungen, die sich aus veränderten gesellschaftlichen Strukturen ergeben wie Veränderungen in der Arbeitsmarktsituation, führen zu schnell wechselnden Anforderungen an Raumprogramme, die dadurch viel kurzfristiger wirksam werden als ÖkonomInnen es voraussagen. Man denke nur an die Forderung, sich an neue Arbeitsplätze anzupassen, oder – positiv formuliert – an den verstärkten Drang, Hobbys zu kapitalisieren, oder an den dringlichen Wunsch von Frühund »Jung«pensionistInnen nach einem »dritten Leben«, welches nach der Abarbeitung der Jahre für die Pensionsversicherung nun endlich ein »erfüllteres« Arbeiten zulässt. Trotzdem werden diese Möglichkeiten aufgrund neoliberaler Wirtschaftsverhältnisse, die den alt gewohnten Sicherheiten den Boden entziehen, oft zur Notwendigkeit.

Unser Verständnis einer veränderten urbanen Praxis heißt also, dass die UrbanistInnen ein neues Selbstverständnis entwickeln könnten, das weniger vom Planungsprocedere ausgeht, sondern vielmehr über Kommunikation und Verhandeln agiert, d. h. also Handlungsräume mit einbezieht – wie es in der bildenden Kunst schon seit den 1970erJahren üblich ist. Gleichzeitig sollte dieses Gut der Freistellen sinnvoll und präzise verwaltet werden, um der Gefahr einer Hyper- und Überdeterminierung des Öffentlichen doch noch entkommen zu können. Oder führen uns all diese Überlegungen nicht gar schon wieder Richtung Wunschfalle, die da wäre, alles beplanen zu müssen?

transparadiso: 1999 initiiert von Paul Rajakovics und Barbara Holub, Plattform für beabsichtigte und unkalkultierte Zwischenfälle zwischen Kunst, Architektur und Urbanismus mit regelmäßigen Ausflügen in Randgebiete.


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