Für die Vögel
Kunstinsert von Claudia MärzendorferClaudia Märzendorfer befasst sich seit vielen Jahren mit dem Ephemeren und Flüchtigen. Ihre Skulpturen von Möbeln, die sie in einem modularen System aus Eis baute (Als er das Messer warf, 2009) sind ebenso legendär wie die Frozen Records – Viel Lärm um Nichts (2005), auf denen die Künstlerin vergängliche Klänge in Eis geschrieben erzeugte. Das Unbeständige, Unkontrollierbare, das außer Kontrolle Geratene, sind Themen, die Claudia Märzendorfer in ihren narrativ-poetischen Installationen konsequent verfolgt – und damit auch das Kunstobjekt als Begierde des Sammelns in Frage stellt. Die Titel ihrer Projekte muten oft wie Filmtitel an, sodass sich den BetrachterInnen weitere Erzählstränge eröffnen, die die Arbeiten aus dem oft scheinbar bekannten Alltagskontext hinaustragen.
Im dérive-Insert zeigt Claudia Märzendorfer Ausschnitte aus Für die Vögel (www.forthebirds.at) – ein Projekt, das sie im Juni 2019 anlässlich des 20-jährigen Bestehens der sozialpsychiatrischen Abteilung im Landesklinikum Hollabrunn im Rahmen von Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich realisierte. Dieser »aeronautische Skulpturengarten«, zu dem sie mehr als 40 Kunstschaffende (im Insert sind die Objekte von Ruth Cerha, Regula Dettwiller, Elektro Guzzi, Anne Hardy, Edgar Honetschläger und Toni Schmale / Wally Salner zu sehen) quer über Generationen und geografische Grenzen hinweg einlud, hinterfragt subtil die sprichwörtliche Aussage »einen Vogel haben«. Die Grenzen von Normalität und deren Abweichungen werden über die harmlose und ausufernde Ansammlung von Vogelhäuschen im Park der Psychiatrie, die sich in einem breiten Spektrum zwischen funktional und absurd anmutend auch der zunehmend geforderten Funktionalität von Kunst widersetzen, ausgelotet.
Claudia Märzendorfer schafft mit dieser stillen Installation ein Setting, das uns mit den grundlegenden Fragen unseres Daseins konfrontiert: Wo wohnen wir, wo lebt »unser Vogel« (in uns), und wie können wir diesem entkommen oder mit ihm leben? Bezugnehmend auf die gesellschaftlichen Ideale der Werkbundsiedlung präsentiert die Künstlerin hier innovative Modelle für ein zukunftsträchtiges Zusammenleben aller.
Auch in ihrer aktuellen Ausstellung A Blazing World im Kunsthaus Wien ist das Zusammenleben im globalen Kontext und die damit verbundenen ökologischen Aspekte Thema ihrer Arbeit. Claudia Märzendorfer konterkariert hier die Verschmutzung der Meere durch Plastikmüll in einer poetischen Installation: Die 22 kg Plastikmüll, die im April 2019 in einer daran verendeten, schwangeren Walkuh in Sardinien gefunden wurden, goss die Künstlerin als Gipsskulpturen nach, die begleitet werden von France. Dieses fiktionale Protokoll der Obduktion eines Wals von Mrs. Microsoft (ver)führt die BetrachterInnen durch seine sprachliche Raffinesse in die komplexen Gefilde von aktuellen politischen und ökologischen Befindlichkeiten. Der Titel France bezieht sich dabei auf die Fläche Frankreichs, die lange als Maß für die Menge des Plastiks galt, das im Meer schwimmt. Heute geht man von der dreifachen Menge aus.
Mit dem subtilen Humor, der Claudia Märzendorfers Arbeiten eigen ist, gelingt es der Künstlerin immer wieder von neuem, uns aus der Verzweiflung angesichts scheinbar unlösbarer Probleme herauszuführen – und uns dadurch zum Handeln anzuregen.
A Blazing World war bis Ende September 2019 im Kunsthaus Wien zu sehen. Weitere Arbeiten von Claudia Märzendorfer sind u. a. in den Ausstellungen Der Hände Werk in der Schallaburg (bis 03.11.2019) und in Sinnesrausch im OK Linz (bis 13.10.2019) vertreten. Informationen: claudiamaerzendorfer.com
Claudia Märzendorfer ist Künstlerin, Mitglied der Wiener Secession und studierte an der Akademie der bildenden Künste in Wien.
Barbara Holub ist Künstlerin und Mitglied von transparadiso, einer Platform für Architektur, Urbanismus und Kunst.
Paul Rajakovics ist Urbanist, lebt und arbeitet in Wien.