Für wen, warum und wie weiter?
Die Rolle von Kunst im Kontext urbaner Entwicklungen zwischen Freiraum und AbhängigkeitIn den letzten Jahren wurden in Europa Kunst und künstlerische Praktiken im urbanen Raum zunehmend von Regeneration-Prozessen geprägt und gezielt zur Image-Findung in neuen Stadtentwicklungsgebieten, zur Schaffung einer neuen Identität in Umstrukturierungsprozessen oder zur Problemlösung vorhandener (oftmals sozialer) Defizite herangezogen. Damit einhergehend fand eine immer stärkere Kategorisierung der KünstlerInnen und der jeweiligen künstlerischen Praxis statt. Ist es für die KünstlerInnen sowie für die gesellschaftliche Entwicklung erstrebenswert, Kunst wieder von den konkreten Wirkungshoffnungen der Stakeholder zu befreien? Sollten KünstlerInnen, die im Rahmen von Stadtentwicklung funktionalisiert werden bzw. sich auch aktiv um diese erweiterten Operationsfelder künstlerischen Handelns bemühen, nicht den anderen ExpertInnen gleichgestellt werden, d.h. den gesamten Prozess begleiten, anstatt punktuelle Aufgaben zu übernehmen? Wo liegen die Risiken aber auch die Vorteile, seine Arbeit dafür einzusetzen, „to make the world a better place“? Wie kann Kunst ihr kritisches Potenzial entfalten, ohne dass dieses sofort vereinnahmt wird? Was ist die „Funktion von Kunst“ und welche Auswirkungen hat Kunst auf die Rolle von UrbanistInnen?
200.2.11 Public Art
Public Art refers to the practice of making artwork consisting of objects or interventions in, to and/or for public or semi-public spaces.[1]
Wenn die Politik keine Verantwortung mehr für Stadtentwicklung und damit für einen Bereich, der großteils gesellschaftliche Entwicklungen mitdefiniert, übernimmt, muss Kunst diese übernehmen. Dieser Anspruch von KünstlerInnen wie FOS erhält eine neue Aktualität, in einer zweiten Runde, nach der Debatte um sozial engagierte Kunst der 1990er Jahre (die dann oft als Sozialarbeiterkunst abgestempelt wurde). Der Markt habe die politische Rhetorik so infiltriert, dass es nur noch darum ginge, KundInnen und AbonnentInnen anzuziehen, ...[2]
Welche Rolle nehmen KünstlerInnen in der Gesellschaft ein? Dies ist eine Frage, die immer wieder neu und aus verschiedenen Perspektiven gestellt werden muss. Bis in die 1980er Jahre war das Selbstverständnis des Architekten als dem „Gestalter von Gesellschaft“ noch fast ungebrochen. Heute wissen wir, dass Gesellschaft (und eben auch das urbane Leben) zu stark von ökonomischen Interessen geprägt ist und die PPP (Public-Private-Partnerships) in den letzten Jahren zusehends das Public dem Private (Interesse) unterordnen mussten. Viele Städte haben Finanzprobleme und können oder wollen es sich nicht mehr leisten, ihre eigensten Aufgaben zu erfüllen. ArchitektInnen und UrbanistInnen agieren entsprechend der veränderten Rahmenbedingungen: Aufgaben werden erfüllt und gleichzeitig in einem Parallel-Leben, das sich urbane Interventionen nennt und meist auf Eigeninitiative basiert oder von Kunstprogrammen initiiert wird, hinterfragt.
Das bedeutet, Notwendigkeiten und Möglichkeiten klaffen auseinander. KünstlerInnen übernehmen Aufgaben zur Verbesserung der Kommunikation in sozialen Konfliktsituationen, arbeiten mit der Community, treten als ProblemlöserInnen auf, stellen Budgets auf, prekär, und auf einmal gibt es einen Stop – weil kein neues Budget mehr aufzutreiben ist.[3] Hier gilt es sehr genau zu differenzieren, wo KünstlerInnen tatsächlich Aufgaben übernehmen, die eigentlich von anderen ExpertInnen behandelt werden sollten, bzw. wo das Potenzial von Kunst liegt, über Notwendigkeiten hinaus eine künstlerisch eigenständige Positionierung zu entwickeln, die mit den Parametern und auch konkreten Funktionen (siehe auch den Text von Céline Condorelli) arbeitet, und gleichzeitig aber unabhängig von konkreten Erwartungshaltungen agiert. Parallel dazu entwickeln UrbanistInnen Zwischennutzungen, temporäre Projekte, urbane Interventionen für Kulturhauptstädte, Biennalen etc. – ein Engagement zur Aktivierung von Räumen, das immer noch darauf hofft, irgendwann einmal womöglich doch Eingang in aktualisierte Planungsstrategien zu finden. Das heißt, beiden Gruppen gelang es bis dato nicht, in einem größeren Zusammenhang von Stadtentwicklung, abseits der jeweiligen konkreten Situation, das heißt auch an politischen Strukturen anzusetzen.
Diese Fragestellungen bildeten den Ausgangspunkt für ein Symposium, das am 11. März 2010 im Kunstraum Niederösterreich in Wien unter dem Titel Für wen, warum und wie weiter? Die Rolle von Kunst im Kontext urbaner Entwicklungen zwischen Freiraum und Abhängigkeit stattfand.[4]
200.2.11.1 Collecting Material
Eine Standortuntersuchung des deutschen Begriffs »Kunst im Öffentlichen Raum«
Ziel des Symposiums war es nicht, Antworten oder Lösungsansätze zu suchen, sondern eine Standortbefragung zu diesen Themen zu präsentieren, indem konkrete Situationen (aus der Perspektive von KünstlerInnen, KuratorInnen, Kunstinstitutionen, Akademien und UrbanistInnen) in verschiedenen kulturellen, politischen und geografischen Kontexten in Europa untersucht wurden.
Durch die konkreten Beispiele sollte eine differenzierte Debatte zu dem Thema des Symposiums ermöglicht und somit Verallgemeinerungen, die immer noch die Diskussionen um den sehr allgemeinen und oft undifferenziert verwendeten Begriff Kunst im Öffentlichen Raum (in weiterer Folge als KiöR abgekürzt) prägen, entgegengewirkt werden. Das, was gemeinhin unter KiöR subsumiert wird, hat mittlerweile eine ähnliche Bandbreite an Herangehensweisen und Output zwischen künstlerischem Produkt/Objekt und künstlerisch-urbaner Praxis wie beispielsweise Fotografie oder Malerei. Die Begriffsklärungen und Bedeutungsanpassungen finden in regelmäßigen Abständen (parallel zu den sich verändernden Bedingungen des urbanen-gesellschaftspolitischen Raums) statt – in den letzten Jahren jedoch meist vom anglo-amerikanischen Diskurs geprägt, d.h. bezogen auf englische Begriffe.[5] Die sprachliche Differenzierung im Deutschen hinkt derzeit etwas hinterher, was einiges über den Stand des Diskurses aussagt, da sich dieser ja über Sprache abbildet – oder sind wir es schon so gewöhnt, nur mehr die englischen Begriffe zu verwenden? Wenn wir also immer noch den langwierigen und pauschalen Begriff Kunst im Öffentlichen Raum bemühen, so wird dieser den vielfältigen Handlungsweisen und -feldern nicht mehr gerecht.
Es gibt vielfältige Aspekte, nach denen Projekte, die sich mit dem urbanen Raum befassen, differenziert werden können: nach ihrer Zeitdauer – temporäre, mittelfristige und permanente Projekte – bzw. nach ihrer Intensität; nach den verschiedenen Intentionen der AdressatInnen und AuftraggeberInnen; nach der Form der Materialisierung (zwischen ephemeren Kommunikationsprojekten, Kunst als Behebung mangelnder Infrastruktur, »Spaziergangskunst«, bis zu Skulpturen); als Aspekt des Kunstdiskurses im Spannungsfeld zwischen Kunst im institutionellen Kontext und Kunst im öffentlich-urbanen Raum (Darf Kunst eine Funktion haben?), bzw. zwischen Kunstproduktion (als sinnlich erfahrbare ästhetische Materialisierung) und Theorieproduktion bzw. künstlerischer Forschung.
200.2.11.2 Thinking
Die Grenzen verschwinden. Nicht nur zwischen den Rollen, sondern auch zwischen den Räumen, in denen KünstlerInnen handeln. Francis Alÿs’ Spaziergänge, die er im urbanen Raum scheinbar beiläufig inszeniert, haben die größere Wirkungskraft, wenn er sie danach nochmals gezielt (für die Kunstinstitution) nachstellt.[6]
Das Wechseln der Rollen je nach Notwendigkeit hat zur Folge, dass künstlerische Produktion eine vielfältigere wird, zu der dann auch selbstverständlich das Kuratieren, das Schreiben, das Leiten eines Ausstellungsortes etc. gehören. Dies wird uns in Wien derzeit sehr lebendig von diversen Initiativen von KünstlerInnen vorgeführt, die sich nicht mehr auf alte Rollenmodelle des/der KünstlerIn reduzieren lassen, wie z.b. Clubblumen von Flora Neuwirth, Salon für Kunstbuch von Bernhard Cella, Coco von Christian Kobald und Severin Dünser, oder das Fluc. Sie alle haben als Teil ihrer Kunstproduktion öffentlich nutzbare Räume geschaffen und damit eine Auswirkung auf das Stadtleben, die über das übliche Kunstpublikum hinausgeht. Dieses veränderte Handlungsfeld von KünstlerInnen/ KuratorInnen/ TheoretikerInnen/ Lehrenden ist die programmatische Basis von jungen, internationalen Institutionen wie Casco in Utrecht, Eastside Projects in Birmingham oder der GradCAM (Graduate School of Creative Arts and Media) in Dublin, die ich u.a. zum Symposium Kunst im öffentlichen Raum im Kunstraum Niederösterreich im März 2010 eingeladen hatte, um von ihren Erfahrungen, Anliegen und Problematiken aus ihrem jeweiligen Kontext zu berichten. Sie alle haben einen dezidierten Fokus auf die Grenzüberschreitung zwischen Kunst, Theorie und urbanem Raum.
Casco wurde 1990 als Plattform für experimentelle Kunst gegründet. Seit 1996 hat Casco ein Programm entwickelt, das Kunst im öffentlichen Kontext (public realm) untersucht und die Beziehung zwischen Kunst und ihrem physischen, sozialen und politischen Umfeld hinterfragt. Binna Choi (Direktorin von Casco) präsentierte Cascos Programmatik und die Offenheit und Flexibilität in der Programmierung, in welcher die Projekte vielfältige Formen annehmen können: Sei es im öffentlichen Raum, als Publikation, Diskussion, Workshop, Ausstellung, Symposium oder Event. Seit 2005 nennt sich Casco Office for Art, Design and Theory um eine weiter reichende Agenda einer interdisziplinären Praxis zu propagieren, vor allem in Bezug auf die Beziehung von Praxis zu Forschung. Seit Oktober 2009 läuft ein einjähriges Programm mit dem Titel User’s Manual/The Grand Domestic Revolution, benannt nach einem 1980 erschienenen Buch der Architektin und Stadthistorikerin Dolores Hayden. Im Rahmen dieses Programms mietete Casco ein Apartment an, um den evolutionären und kollaborativen Prozess von „lebendiger“ Wohnforschung* (im Originaltext »living« research ) in der zeitgenössischen Wohn- und Privatsphäre vor allem in Bezug auf die räumliche Vorstellung bzw. die gebaute Umgebung zu thematisieren. Das Projekt möchte die Auffassungen des Sozialen, des Öffentlichen und womöglich der Commons unter dem Aspekt: Die Straße als Korridor/Gang, die Stadt als gemeinsamer Wohnraum[7] neu erproben und bestimmen.
Eastside Projects wurde 2008 von der Architektin-Künstlerin Céline Condorelli, den KünstlerInnen Simon & Tom Bloor und Ruth Claxton sowie dem Grafiker James Langdon und dem Künstler-Kurator Gavin Wade, der nun auch die Galerie leitet, inmitten einer Regeneration-Area in Birmingham als artist-run space gegründet. Die Programmatik von Eastside Projects definiert sich als neues Modell einer öffentlichen Galerie, in welcher sich Raum und Programm miteinander verweben: Ein komplexes, sich kontinuierlich entwickelndes Programm von Arbeiten und Veranstaltungen, die auf radikalen historischen Positionen basieren. Die KünstlerInnen sind aufgerufen, die Bedingungen für die Galerie zu setzen. »Work may remain. Work may be responded to. The gallery is a collection. The gallery is an artwork. The artist-run space is a public good. We aim to support the cultural growth of the City.«[8]
Die Graduate School of Creative Arts and Media in Dublin hat einen speziellen Fokus auf creative research development. GradCAM bietet den »Rahmen für kritischen, interdisziplinären Dialog und operiert als durchlässige Institution von Befragung und künstlerischer Forschung, die die Interaktion zwischen kultureller Praxis, Bildungspraxis und der Alltagswelt von Arbeit und Innovation über die Grenzen der Akademie hinaus ermöglicht und transportiert.«[9]
Der Wechsel der Felder und die Überschreitung normierter Feldvorstellungen hat nicht etwa ein Verwischen von Positionen zur Folge, sondern ermöglicht es, den aktuellen Fragestellungen von Gesellschaft und urbanem Raum mit Wendigkeit zu begegnen. Je nach Kontext in einer Mischung aus lang angelegter Strategie, einem Gesamtkonzept, das sich aus diversen Partikeln zusammensetzt, und kurzfristigen Möglichkeiten, auf Veränderungen, Konflikte, Defizite etc. zu reagieren. Es geht nicht mehr um ein Entweder-Oder, sondern um ein Sowohl-Als-Auch: Wo ist es sinnvoll aus welcher Position heraus zu agieren?
200.2.11.3 Talking
Dementsprechend liegt der Fokus der eingeladenen Beiträge auf der Vorstellung von Projekten, die längerfristige Auswirkungen von Kunst auf den öffentlich-urbanen Raum und die gesellschaftspolitische Entwicklung der Stadt haben, sowohl aus der Perspektive von KünstlerInnen und UrbanistInnen, als auch aus jener der Institutionen. Künstlerisches Handeln ist in diesen Beispielen ebenso politisches Handeln und erfordert ähnlich längerfristig angelegte Strategien, wie wir sie aus der Stadtplanung kennen.
Céline Condorelli behandelt in ihrem Beitrag Talks on Public Art: Three Support Structures für diesen Schwerpunkt von dérive die Institution als Support Structure für die Community/Gesellschaft.[10] Sie hat dafür ein eigenes Format entwickelt, das ihre multiple Rolle zwischen Architektin, Künstlerin und Kuratorin widerspiegelt.
Paul O’Neill präsentiert einen Überblick über die jüngere Entwicklung des Diskurses von der Kunst öffentlicher Partizipation, von relational Art (Nicolas Bourriaud) über den social turn, und führt dann »Partizipation als mittelfristige (durational) Erfahrung von öffentlicher Zeit« ein. O’Neill bezieht sich dabei auf sein Forschungsprojekt Locating the Producer, in welchem er anhand von fünf ausgewählten, längerfristig angelegten (durational) internationalen Projekten im urbanen Raum, die für konkrete Kontexte neuer Stadtentwicklungen bzw. für sich verändernde urbane Strukturen (Regeneration) geplant wurden, das Potenzial und die Bedingungen untersucht, unter welchen diese Projekte und die daraus resultierenden künstlerischen Prozesse tatsächlich in urbane Entwicklungen eingreifen können.
In Prag gibt es bis dato kein spezielles Programm zu Kunst im öffentlichen Raum. Die Bedingungen von künstlerischer Produktion sind immer noch geprägt von dem Erbe eingesessener Machtstrukturen in der post-kommunistischen Situation und kaum zur Verfügung stehenden öffentlichen Förderungen. Somit kommt privaten Initiativen wie dem 2008 gegründeten DOX eine noch verantwortungsvollere Rolle zu. Jaroslav Andeˇl, Kurator von DOX, präsentiert in seinem Text Urban Renewal: The Case of DOX die Entstehungsgeschichte von DOX (das allein auf Privatinitiative eines Prager Unternehmers, der nach Australien emigriert war, basiert) und die Rolle dieser Kunstinstitution im Kontext der aktuellen kulturellen Situation von Prag – vor dem Hintergrund von zwanzig Jahren postkommunistischer Strukturen.
Paul Rajakovics diskutiert in Die dritte Ebene: Ambulanter Urbanismus die Gaps zwischen aktuellen Problemen und Aufgabenstellungen von urbaner Entwicklung und der zunehmenden Schwächung von Stadtplanungsämtern und populistisch agierenden Stadtpolitikern aus der Perspektive des Urbanisten und Architekten – als Vertreter jener ArchitektInnengruppen, die in den letzten zehn Jahren als wesentlichen Aspekt ihrer Praxis experimentelle Zugangsweisen zu Urbanismus entwickelt haben. Er behandelt dabei die Differenzierung der Begriffe und Rollen von Urban Planning, Urban Design (im deutschen Sprach- und Begriffsgebrauch vereint als Stadtplanung) und ambulantem Urbanismus, und dessen Hintergrund über den unitären Urbanismus und Aktivismus. Wer sind die jeweiligen AkteurInnen und wie kann deren Handeln parallel zu künstlerisch-urbanen Praktiken gelesen werden? Abgründe bzw. Gefahren hinsichtlich Vereinnahmung und Gentrifizierung werden dabei ebenso angesprochen wie die Potenziale des Wünschens als Produktivkraft für (ungeplante) urbane Entwicklungen.
Mick Wilson, Dean der GradCAM in Dublin, untersucht in Cultural Research for New Urbanisms wie aktuelle Forschung durch kulturelle Praxis einen Einfluss über den akademischen Kontext hinaus haben und sich in der urbanen Situation vermitteln kann. Er untersucht den Begriff des Neoliberalismus nach David Harvey und dessen Auswirkungen auf die Möglichkeiten von Öffentlichkeit – und führt One & Other, ein Projekt, das Antony Gormley 2009 für das leere vierte Podest auf dem Trafalgar Square in London realisierte, als populistisch angelegtes und damit das Konzept von Öffentlichkeit desavouierendes Projekt an. Anhand der im Februar 2010 von Mick Wilson kuratierten Konferenz Arts Research: Publics and Purposes an der GradCAM, die das Symposium auf Ausstellungen ausweitete, führt Mick Wilson ein Plädoyer für die Notwendigkeit, wie Lehre und Forschung in und durch kulturelle Praxis das Feld akademischen Agierens auf Galerien, die Straße, auf Baustellen und angezweifelte urbane Räume erweitern können.[11]
200.2.11.4 Execution
Die meist multiplen Rollen, die die AutorInnen in ihrer Praxis einnehmen, spiegeln das Feld ihres Agierens wieder, das nicht auf einfache Lesarten reduziert werden kann und somit den Begriff von Öffentlichkeit und Schaffen von Räumen bzw. Situationen[12] für vielfältige Entwicklungen entsprechend des spezifischen Kontexts für eine differenzierte Betrachtung öffnen. Die Dichotomie zwischen Kunstinstitution und öffentlichem urbanem Raum ist ein ausgedientes Modell. Längst ist es Alltag künstlerischer Praxis, das Ineinandergreifen von KünstlerInnen und UrbanistInnen, die sich mit urbanen Fragestellungen beschäftigen, zwischen Arbeiten für Institutionen und dem öffentlich-urbanen Raum zu forcieren. Der Schwerpunkt fokussiert also urbanes Handeln, das sich nicht auf ein kurzfristiges Event in der überstrapazierten urbanen Sphäre von Biennalen, Kulturhauptstädten oder Kunst-im-öffentlichen-Raum-Programmen reduziert, sondern längerfristig angelegt ist und tatsächlich in urbane Entwicklungen eingreifen möchte. Hier übernehmen KünstlerInnen oft Aufgaben, die ursprünglich das Feld von UrbanistInnen waren, die diese jedoch aufgrund überkommener Planungsstrategien nicht mehr ausfüllen können. Wir sind also mit einer Kollision von Notwendigkeiten, wie wir einerseits den aktuellen Herausforderungen urbaner Entwicklungen begegnen, und andererseits von konventionellen starren Rollenbildern, von KünstlerInnen und UrbanistInnen geprägt, konfrontiert.
Weder das Symposium noch dieses Heft können oder wollen eine Handlungsanweisung sein. Dies wäre zu einfach und würde sich der Komplexität der Fragen entziehen. Eher gilt es, eine Bestandsaufnahme nach zehn oder fünfzehn Jahren experimenteller urbaner Interventionen der jüngeren ArchitektInnen-Generation zu machen, die als veränderte urbanistische Praxis keinerlei Auswirkung auf die konventionelle Stadtplanung hatten, sondern wie Kunstprojekte dazu eingekauft, geordert wurden oder unter meist selbstausbeuterischen Bedingungen von engagierten ArchitektInnen initiiert wurden.
Den Kunstprojekten im öffentlichen Raum wiederum wird vorgeworfen, sie würden sich für die Interessen von DeveloperInnen instrumentalisieren lassen, sie wären keine gute Kunst, weil zu sozial orientiert und zu wenig ästhetisch-künstlerisch wahrnehmbarer Output. Sie mischten sich in Agenden ein, die sie nichts angehen, und erzeugten damit neue Konfliktzonen mit ExpertInnen anderer Sparten (LandschaftsplanerInnen, SoziologInnen etc.) … »Kunst im öffentlichen Raum sei wie Schnee in der Stadt: Zuerst erfreut, dann nervt sie«.[13]
200.2.11.5 Traveling
Georges Perec hat in Espèces d’espace[14] Übungen vorgestellt, die die Alltagswahrnehmung verändern, beginnend bei der Seite als kleinstem Partikel, über das Bett, den Schlafraum, die Wohnung, das Wohngebäude, die Straße, die Nachbarschaft, die Stadt, die Landschaft, das Land, Europa, die Welt bis zum Weltraum. Eine Übung zum Kapitel Straße lautet: »Note down what you can see. Anything worthy of note going on. Do you know how to see what’s worthy of note? Is there anything that strikes you? Nothing strikes you. You don’t know how to see. You must set about it more slowly, almost stupidly. Force yourself to write down what is of no interest, what is most obvious, most common, most colorless.« Diese Übungen beziehen sich auf keinen konkreten Ort und können daher das Parallel-Lesen zu den spezifischen Kontexten der Thematiken, die das Leben im urbanen Raum, die Frage von Gemeinschaft und öffentlichem Leben betreffen, umso mehr anregen. Solche Vorstellungen, die von Funktionen freigestellt sind, sind notwendig, wenn wir künstlerisches und urbanes Handeln als Verantwortung über einen konkreten Ort hinaus begreifen und Vorstellungen von gesellschaftlichen Entwicklungen und Visionen als Grundlage des Handelns betrachten.
Let’s Make it Worse[15]
Was bleibt, soll etwas bleiben, und wenn ja, was? Wie kann man den Moment oder den Anlass nutzen, um über die meist eventhaft aufgebaute Gesamtsituation der Außergewöhnlichkeit Anliegen zu platzieren, die eine längerfristige Wirkung entfalten?
Was bleibt von permanenten Installationen (an Input für die Gesellschaft, abgesehen von der Manifestierung, dass dies Kunst ist), bis zu längerfristig angelegten Projekten,[16] oder von temporären Projekten, die im Zusammenhang mit Biennalen, Triennalen oder Kulturhauptstädten produziert werden, d.h. ein Fokus auf diese Art von Arbeiten für eine bestimmte Zeitdauer.
Wenn man die überkommene Differenz von Kunstmarkt-orientierter Kunstproduktion und KiöR-Projekten noch aus einem anderen Winkel betrachtet, so kann man sagen, dass sogar Kunstmessen als temporäre Ballung von Kaufinteressen Energien an den Rändern produzieren, die die Messen wiederum brauchen. Finden doch im Rahmen von Kunstmessen meist Rahmenprogramme statt, die ausgelagert im urbanen Raum angesiedelt sind und die genau jene Energie freisetzen, die im abgezirkelten Rahmen einer Kunstmesse nicht möglich sind. So fanden wir z.B. auf der Art Rotterdam[17] eine Zeitung, in der Rob Hornstra/Arnold van Bruggen ihr Sochi Project[18] vorstellen und für Unterstützung werben. Das Sochi Projekt dokumentiert fortlaufend die urbane Veränderung und die Veränderung der Identität der BewohnerInnen in der zukünftigen Olympia-Stadt, die bis 2014 in Russland (nur 20 Kilometer entfernt von der Grenze zu Abchasien) realisiert werden wird. Weiters wurden wir zu von KünstlerInnen initiierten Projekträumen wie De Player geführt – eine Institution für experimentelle musikorientierte Kunstproduktion in Rotterdam, die sich dezidiert mit urbanen Themen und ihrem urbanen Umfeld befasst,[19] und die sich derzeit in der Ausstellung Leerraumzentrale im AFO Linz als Teil von Reclaiming Space – Temporäre Zwischennutzungen präsentiert.[20]
Paul McAree200.2.11.6 Waiting
Was also, wenn KünstlerInnen sich den ihnen gestellten Aufgaben auf ihre eigene Weise entledigen, dies heißt aber nicht ohne Verantwortung? Was, wenn sie nicht die Erwartungshaltung to make the world a better place in einer direkt nachvollziehbaren Weise verfolgen, sondern Widerstände einbauen, Konflikte offenlegen und womöglich provozieren und somit das Leben sichtbar machen, das ansonsten in Neurosen endet und eine Situation schafft, die dann irgendwann als Scheitern eines Stadtviertels tituliert wird? In welchen Räumen agieren KünstlerInnen, UrbanistInnen, KuratorInnen, Stadtplanungsämter, Galerien, Kunstinstitutionen, Kunstmessen, KiöR-Programme heute? Gibt es die Trennungen zwischen diesen Funktionen und den Communities, die sie ansprechen, noch? Grant Kester definiert Community[21] als notwendigerweise komplex. Er warnt vor einer vereinfachenden Beschwörung von Community, vor allem wenn eine Person im Namen von anderen spricht. Dies bedeutet in weiterer Folge, dass niemand die Rolle und Verantwortung für jemand anderem übernehmen kann – sondern Fragestellungen nur in einer neuen, Disziplinen überschreitenden Komplizenschaft verhandelt werden können.
Die komplexe Theoriebildung (aktuell vor allem im englischen Raum), die all die Projekte, die unter Kunst im öffentlichen Raum subsumiert werden, analysiert und begleitet, erneuert sich in einer Geschwindigkeit, mit der die behäbigen Instrumentarien der Stadtplanung und langwieriger politischer Prozesse, die einerseits oft von Legislaturperioden bestimmt werden und deshalb auf kurzfristig sichtbare Erfolge abzielen, und andererseits aufgrund der Langwierigkeit politischer Entscheidungsfindung den akuten Fragestellungen hinterherhinken, nicht mithalten können. Es wäre also eine Chance, die engagierte und oft unter schwierigen bis selbstausbeuterischen finanziellen Bedingungen[22] agierende Praxis, den Planungsinstrumentarien zur Seite zu stellen und als gleichwertig zu positionieren, damit die künstlerisch-urbane Praxis offiziell die eingangs beschriebenen Aufgaben aktueller urbaner Entwicklungen wahrnehmen kann, die sie ohnedies wahrnimmt, und somit anderen an Stadtentwicklung beteiligten ExpertInnen gleichgestellt wird.
Ob und unter welchen Rahmenbedingungen dies möglich wäre, und welche Auswirkungen dies wiederum auf die Rollen von KünstlerInnen und UrbanistInnen hat, ja ob die diversen Rollen aller an urbanen Prozessen Beteiligten nicht viel mehr in ein neues Selbstverständnis eines urban practitioners münden könnten, untersuche ich derzeit auch in einem Forschungsprojekt an der TU Wien,[23] das 2013 abgeschlossen sein wird.
Fußnoten
Gerber, Alison (2006): Artist’s Work Classification. Künstlerhaus Büchsenhausen. Alle Zitate in kursiv sind dieser Publikation entnommen; S. 61 ff. ↩︎
In: FOS (2007): Liquid Chain Into The Vapour Wall: The Fall. S. 133. ↩︎
So wurde der Trekroner Art Plan, den Kerstin Bergendal 2000 begann und der bis 2012 konzipiert war, auf Warteposition geschickt – bis wieder Gelder kommen (sh. auch Text von Paul O’Neill). ↩︎
Das Symposium wurde von Kunst im Öffentlichen Raum Niederösterreich veranstaltet und von Barbara Holub konzipiert. TeilnehmerInnen waren: Jaroslav Andeˇl, Kurator, Theoretiker, DOX, Prag; Binna Choi, Kuratorin, Theoretikerin, CASCO, Utrecht; Céline Condorelli, Künstlerin, Architektin, Eastside Projects, Birmingham; Christine und Irene Hohenbüchler, Künstlerinnen, TU Wien, Wien; Paul O’Neill, Künstler, Theoretiker, Kurator, Situations, Bristol; Paul Rajakovics, Urbanist, Architekt, transparadiso, Wien; Mick Wilson, Künstler, Theoretiker, GradCAM, Dublin. ↩︎
Paul O’Neill beschreibt in seinem Beitrag genau die Entwicklung der Begriffe und deren Widerspiegelung veränderter Kontexte und Handlungsfelder von Kunst, die im öffentlich-urbanen Raum agiert. ↩︎
Am 4. November 2000 versetzte er die BewohnerInnen Mexiko Citys in Angst und Schrecken, als er mit einer Pistole, die er sich am gleichen Tag gekauft hatte, durch die Innenstadt rannte, bis er schließlich von vier Polizisten überwältigt wurde. Glück für Alÿs, dass mexikanische PolizistInnen offensichtlich KunstfreundInnen sind. Denn anstatt ihn festzunehmen, erlaubte man ihm sogar, das Ganze am nächsten Tag noch einmal nachzustellen. Zu sehen war die filmische Dokumentation des realen Amoklaufs und der nachgestellten Situation Ende 2001 in der Ausstellung Loop - Alles auf Anfang in der Hypo-Kunsthalle in München. Erstaunlich dabei: Nicht die realen Szenen, die das instinktive Verhalten der erschreckten PassantInnen zeigten, sondern die nachgestellte Version war spannender. Damit führte Alÿs den BesucherInnen vor Augen, dass ihr Blick auf Gewalt und Kriminalität durch Fernsehen und Kino so geprägt ist, dass sie gestellte, dramaturgisch bearbeite Szenen realer empfinden als die nüchterne Realität. ↩︎
Siehe: http://www.cascoprojects.org ↩︎
Siehe: http://www.gradcam.ie ↩︎
Support Structure von Céline Condorelli ist 2009 bei Sternberg Press erschienen. ↩︎
Weitere Informationen unter: http://www.gradcam.ie ↩︎
Siehe: http://www.situations.org.uk. Situations ist ein Kunst- und Forschungsprogramm, das 2003 von Claire Doherty an der University of the West of England (UWE), Bristol, gegründet wurde. Der Fokus liegt auf der Beauftragung von Werken, die sich außerhalb des konventionellen Galerien- oder Ausstellungskontextes platzieren und die eine Involvierung von Öffentlichkeit propagieren. ↩︎
Siehe: Matthias Dusini(2010): Friedhof der steinernen Kuscheltiere. In: Falter 8/10, S.26-27. ↩︎
Espèces d’espace, Georges Perec, Editions Galilée, 1974. ↩︎
Titel geborgt von einem Projekt von De Player, Rotterdam. Siehe: http://www.deplayer.nl ↩︎
»Durational projects«, siehe Text von Paul O’Neill, aber auch Grant H. Kesters Analyse der Artist Placement Group und ihren Einfluss auf die Entwicklung einer durational und dialogische Kunstpraxis. Grant H.Kester (2004): Conversation Pieces. Community + Communication in Modern Art. University of California Press, S. 63. ↩︎
Die Art Rotterdam findet im Süden der Stadt, einem ehemaligen Stadtentwicklungsgebiet am Wilhelma-Pier statt, das sich mittlerweile in ein elegantes Ambiente verwandelt hat. ↩︎
De Player befindet sich nur ca.500 m von der Art Rotterdam entfernt, liegt aber in einer Brache. Dieses sich Ansiedeln in Brachen oder auch in Gebieten, die in einer Transformation begriffen sind, ist Programmatik von De Player, die sich ihrer Rolle im urbanen Umfeld sehr bewusst sind und auch schon von Wohnbaugesellschaften gefördert wurden – allerdings nicht, um sich in der Community zu involvieren, sondern um radikales Programm zu machen, das dann ja auch wieder auf den Ort zurückstrahlt; siehe Com.Post, #1-6, 2008. ↩︎
Die Ausstellung Leerraumzentrale eröffnet am 16.4.10 und dauert bis 18.9.2010; http://www.afo.at ↩︎
Grant H.Kester (2004): Conversation Pieces. Community + Communication in Modern Art. University of California Press, S. 130. ↩︎
Damit ist nicht das Volumen von Regeneration Projekten wie z.B. in GB gemeint, die große Summen für Kunstprojekte zur Verfügung stellen, um ein neues Image zu erzeugen. sondern damit sind all jene Projekte gemeint, die Kommunikation involvieren, die die Bevölkerung miteinbeziehen und längerfristige urbane Prozesse initiieren, sie sind meist unterfinanziert und erfordern ein enormes Energie-Potenzial der beteiligten KünstlerInnen und UrbanistInnen, die in Feldern von urbanen Interventionen agieren. Diese prekären Produktionsbedingungen konterkarieren die oft noch vorherrschende Auffassung, dass KiöR-Projekte ein gutes Geschäft für KünstlerInnen seien. ↩︎
Mit Christine Hohenbüchler, Inge Manka und Karin Harather, Institut für Kunst und Gestaltung/Zeichnen und Visuelle Sprachen, realisiert im Rahmen von Innovative Ideen, 2010-2013. ↩︎
Barbara Holub ist Künstlerin und Mitglied von transparadiso, einer Platform für Architektur, Urbanismus und Kunst.