Furor und Rumor des Reformgeistes
Architekturfakultät auf dem PrüfstandEines steht fest. Der Reformgeist, der zurzeit an der Architekturfakultät und freilich auch anderswo (wo eigentlich nicht?) sein Unwesen treibt, ist ein Geist ohne viel Geist. Wer von ihm erst einmal in Besitz genommen ist, ist dauerhaft infiziert, im Grunde zur Unfähigkeit verdammt, besonnen und vernünftig zu handeln. Er ist ein Geist, der, wie die Neugliederung der Fakultät für Architektur und Raumplanung beweist, vor allem den Geist der Autoritäten lahm legt. Immerhin hat er es mit seiner Unwiderstehlichkeit geschafft, den (kraft ihres Amtes selbstredend) klugen Köpfen den Kopf zu verdrehen und sie zu einer Reform zu zwingen, ohne dass sie so genau sagen könnten, wofür und warum. Aber das gehört eben zu den besonderen Kniffen des Reformgeistes, dass er Menschen zum Reformieren verleitet, ohne dass sie sich groß darüber Gedanken machen, was der eigentliche Grund und das Ziel der Reformen sind.
Ob man nun gleich vorweg – wie in der Liebe, wo man bisweilen ja auch Dummheiten macht – mildernde Umstände für jene beantragen soll, die den Reizen des Reformgeistes erlegen sind? Auch wenn das Verstehen einer Situation, d. h. die Kenntnis der sozialen Voraussetzungen und Mechanismen, unter denen bestimmte Handlungen in gewisser Weise »logisch«, ja geradezu »notwendig« erscheinen, grundsätzlich milde stimmt und davor bewahrt, sich in die Niederungen boshafter Kritik zu begeben, ist es durchwegs angebracht, diejenigen, die, ohne viel zu fragen und nachzudenken, dem Geist der Zeit und der Gunst der Stunde folgen, zur Rechenschaft zu ziehen und sie daran zu erinnern, dass sie – gemäß den Normen wissenschaftlicher Vernunft – nicht ihrer Pflicht zum argumentativen Dialog enthoben sind.
Zur Erinnerung: Das UG 02, mit 1. 1. 2004 »implementiert«, wie das so schön heißt, hat den Universitäten betriebsähnliche Organisationsformen und weitgehend autokratische Leitungsstrukturen bei gleichzeitigem Abbau demokratischer Teilhabe an Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen beschert und dabei die ProfessorInnen in ihren Positionen paradoxerweise zugleich bestärkt und geschwächt. Gegenüber den anderen UniversitätslehrerInnen haben sie an Autorität gewonnen, gegenüber dem Dekan und übermächtigen Universitätsräten nehmen sie nun eine dominierte Stellung ein. In jedem Fall hat es das neue Gesetz für die ProfessorInnen unnötig gemacht, mit den anderen Universitätsangehörigen offen und wie mit Gleichgestellten zu verkehren. Sie können es sich nun ganz ungeniert leisten, gegenüber den anderen gleichgültig zu sein. Was sich nicht zuletzt in der Vorgangsweise zeigt, die zur (zwar provisorischen, doch nichtsdestotrotz bereits chaotische Zustände nach sich ziehenden) Neugliederung der Fakultät geführt hat. Der Mittelbau wie die Studierenden sahen sich jedenfalls nach den Weihnachtsfeiertagen mit einer neuen Fakultätsstruktur konfrontiert, d. h. mit zusammengelegten Instituten, neuen Institutsnamen, neuen Chefitäten, ohne dass jemand genau sagen hätte können, wie es zu dieser »Lösung« gekommen war. Einigen von Reformgeist erfüllten Autoritäten schien es offensichtlich völlig überflüssig, den Umbau von Strukturen auf breiter Basis zu entwickeln. Womit sich der so plötzlich hinter verschlossenen Türen aufschwellende Reformwille unverhüllt als ein Wille zur Macht geriert. Ein von Blindheit geschlagener Wille, insofern er (wahrscheinlich ohne sich dessen bewusst zu sein) ein vertrauensvolles Klima aufs Spiel setzt. Aber offensichtlich bestätigt sich hier nur eine aus der Geschichte bekannte Tatsache, dass Krisen das universitäre Feld immer entlang bereits bestehender Bruchlinien teilen, wie sie eben durch die von der Schule verliehenen Titel vorgegeben sind.
Der Reformgeist ist also ein Geist, der bestehende Unterschiede bestärkt, diese aber auch neu schafft. Schließlich folgt er dem reduktionistischen Unterscheidungsprinzip, nach dem das Neue per se gut und das Alte immer schlecht ist. Weil er die Befürwortung ganz automatisch auf seiner Seite hat, drückt er jenen, die sich ihm nicht unhinterfragt unterwerfen bzw. eine Modernisierung nach einem wohlüberlegten Regiebuch den unüberlegten Hüftschüssen einiger machtbewusster Akteure vorziehen, den Stempel des Alten, Unflexiblen und Staubigen auf. Er produziert ein Feindbild, die Kaste der Besitzstandwahrer. »Der Reformgeist ist«, so Konrad Paul Liessmann in seiner anatomischen Studie des Phantoms (Der Standard vom 31.12.2003/1.1.2004), »die allesumspannende und allesumfassende politische Ideologie unserer Tage. Er ersetzt alle anderen politischen Programme, Konzepte und Ideen. Und er ersetzt auch die Moral. Tugendhaft ist heute, wer Reformbereitschaft signalisiert, einem Laster ist verfallen, wer Reformen verweigert, die Reform ist das Gute, die Blockade das Böse, (...) und wie jede gute Ideologie kann auch der Reformgeist auf Begründungen seiner selbst verzichten.«
Dass dem Reformgeist von allen Seiten die Türen aufgerissen werden, dürfte niemanden verwundern, ist er doch ein Abkömmling des neoliberalen Geistes, der auf der Begeisterung für das Neue basiert. Der Reformgeist ist eindeutig ein Optimist: Wandel steht für Wachstum, Effizienz, gesteigerte Produktivität und Marktfähigkeit. Selbst schon das Signal für Veränderung vermag auf die Welt einzuwirken. Aktien steigen bekanntlich schon bei der Ankündigung einer Umstrukturierung, als stellte jede Form von Wandel schon an sich einen Wert dar, als wäre jede Form der Veränderung erstrebenswerter als eine Weiterführung des Bisherigen.
Angesichts des verjüngenden Charmes und der Faszinationskraft, die der Reformgeist allerorts versprüht, fühlt man sich wirklich schnell alt und marode. Menschen, die meinen, es wäre um die bestehende Universitätsstruktur nicht so schlecht bestellt, sind für den Reformgeist bemitleidenswerte Wichte, dazu verurteilt, von einer herannahenden Katastrophe vernichtet zu werden. Aber das gehört eben zu den Tricks des Reformgeistes, dass er, weil er eben die Kunst des Einschüchterns und Beeindruckens beherrscht, Menschen nicht nur schlechte Dinge über sich selbst glauben macht, sondern sie auch zu Anhängern und Fürsprechern seiner Programme macht, die im Eigentlichen jene Werte unterminieren, um die im universitären Universum gekämpft werden sollte – jene der Autonomie.
Muss man wirklich in Erinnerung rufen, dass die Universität, eine Fakultät und ihre Autoritäten erst dann autonom sind, wenn sie selbst darüber entscheiden, ob eine Reform, die sich momentan einzig durch Sparzwang begründen lässt, überhaupt sinnvoll ist, und wenn sie sinnvoll ist (also begründeter Handlungsbedarf zur Modernisierung besteht), selbst festlegt, in welchem Zeitraum und unter welchen Bedingungen eine solche sinnvoll entwickelt werden kann? Wie die Dinge liegen, haben es die ProfessorInnen der Architekturfakultät völlig verabsäumt, sich für jene Werte einzusetzen, die ihnen das Ethos eines autonomen Produktionsraumes auferlegt. Hat man je eine öffentliche Stellungnahme, eine Petition, irgendeine Form der kollektiven Anstrengung vernommen, die sich der politischen Einflussnahme gegenüber zur Wehr gesetzt hätte?
Selbst der naivsten Kritik dürfte nicht verborgen geblieben sein, dass der Reformgeist ein Blender ist, der neue Formen der Abhängigkeit als »Freiheit« verkauft. Mitnichten verfolgt er jene Ziele, die er vorgibt. Nicht nur, dass er den Begriff der Autonomie verdreht – ist es nun nicht Wirtschaftsbossen überlassen, in einem autonomen Produktionsraum für »Selbstbestimmung« zu sorgen? –, er führt auch Ressourcenverteilung nach marktähnlichen Prinzipien ein und verschleiert unter den Programmen der Profil- und Schwerpunktbildung auch die »Politik der leeren Kassen«, die es offensichtlich selbst für die Betroffenen zu einer Selbstverständlichkeit werden lässt, Einsparungen im Bildungsbereich zu akzeptieren, ja sogar als Herausforderung anzunehmen.
Weil der Reformgeist keinen rechten Sinn für Geschichte hat, kann er auch nicht sehen, dass die in einem kollektiven Arbeitsprozess von der Geschichte hervorgebrachten Strukturen über Qualitäten verfügen. Sein spezifisches Geschichtsverständnis, das die Genese der Strukturen vergessen hat, und sein mangelndes verantwortungsvolles Zukunftsbewusstsein sind eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass er sich auf dem Acker der Universität ganz wilden Pflügungen hingibt, die jedoch, obschon zunächst ganz oberflächlicher Natur, die Eliminierung bestimmter Erkennungszeichen bedeuten. Was könnte der Umstand, dass es den neuen Institutsbezeichnungen nach an der TU Wien etwa keinen Hochbau mehr gibt, anderes bedeuten, als dass eben die vom Reformgeist beschworene Profilbildung im ungünstigsten Fall dazu führt, dass gerade jene Eckpfeiler unsichtbar gemacht werden, die bislang die Fakultät getragen haben? Andererseits erklärt das mangelnde historische Verständnis aber auch, dass der Reformgeist die Universität nicht als Institution lesen kann, die ohnehin einem permanenten Wandel unterliegt. Was ist die Universität mit ihren Fakultäten anderes als eine im geschichtlichen Verlauf sich stets überformende Einrichtung? Aber eine wohlüberlegte und deshalb Zeit in Anspruch nehmende, schrittweise Veränderung, die sich aus der Anpassung der Unterrichtsinhalte an die Entwicklungen der Gesellschaft und Wissenschaft ergibt, genügt dem Reformgeist eben nicht. Deshalb setzt er willkürlich an der Oberfläche der Strukturen an.
Der Annahme der allerobersten Reformbetreiber aus Politik und Wirtschaft folgend, die sich der Ideologie des Neoliberalismus und des new public management verschrieben haben, können die Universitäten nur einen Schritt nach vorne machen, wenn sie sich, wie zurzeit alle Konzerne, die etwas auf sich halten, einem re-engineering unterziehen (oder welch flott klingende Anglizismen sich hier auch immer anbieten). Die Aufforderung zur Reorganisation birgt die Gefahr, mit übereilten Konzepten einen Bumerang zu landen. Dies um mehr, als Veränderung nicht von einer kritischen Überprüfung der Lehrinhalte und einer Besinnung auf den Ausbau bereits vorhandener Qualitäten abhebt, sondern einfach von der Pflicht zur Reform. Nicht dass überall alles beim Besten wäre und es keinen Bedarf zu Verbesserungen gäbe, doch wie kann eine Neugliederung der Institute gelingen, wenn sie keinen Grund und kein Ziel vor Augen hat, wenn Institutszusammenlegungen von Einzelinteressen, subjektiven Befindlichkeiten, persönlichen Sympathien oder Antipathien, insgesamt von sozialen Gesetzen getragen sind?
Doch warum sollte eine Reform von bestehenden, möglicherweise von zur (Selbst-)Reflexion auf die Institution befähigten Geistern ans Licht gehobenen Kritikpunkten abheben, wenn doch die unter dem Druck der Reform auftretende Verwirrung für viel originellere Lösungen sorgt – wie etwa jene, dass sich nun unter dem Institutstitel »Technik und Theorie« so artfremde Bereiche wie die Tragwerkslehre und die Architekturtheorie vermählen. Hat sich der Reformgeist erst einmal ziellos und spontan ausagiert, kann er nur jenen Zustand bescheren, den er vorgeblich bekämpft. Deshalb verschafft uns die Reform um der Reform willen nun auch einen echten Grund zur Reform. Zu hoffen bleibt, dass sich nun endlich jene unbeschadeten souveränen Geister mobilisieren, denen der fabelhafte Verlauf der Reformbestrebungen nun doch ein wenig zu weit gegangen ist, um auf breiter Basis die Krise, die wir der zerstörerischen Kraft des Reformgeistes verdanken, zu einer Chance werden zu lassen.
Anita Aigner ist Assistenzprofessorin an der TU Wien. Ihr Forschungsschwerpunkt ist Architektursoziologie.