Genossenschaftliche Wohnungswirtschaft und Sozialpolitik
Besprechung von »Genossenschaften und die Wohnungsfrage« von Joscha MetzgerJoscha Metzger
Genossenschaften und die Wohnungsfrage. Konflikte im Feld der Sozialen Wohnungswirtschaft
Münster: Westfälisches Dampfboot, 2021
310 Seiten, 30 Euro
Joscha Metzgers Buch Genossenschaften und die Wohnungsfrage geht der Frage nach, welche Rolle Wohnungsgenossenschaften im heutigen Feld der sozialen Wohnungswirtschaft in Deutschland und insbesondere in Hamburg spielen. Auf den Punkt gebracht könnte man sagen behandelt das Buch die Frage, inwiefern Genossenschaften dazu beitragen, die kapitalistische Ordnung zu überwinden oder den Fortbestand derselben zu ermöglichen. Damit verbunden ist die Frage, ob Wohnungsgenossenschaften heute einen Beitrag zur Dekommodifizierung des Wohnens leisten können und wollen. Der Autor zieht zur Beantwortung dieser Frage sowohl historische als auch empirische Ergebnisse heran, die im Rahmen einer qualitativen Forschung erhoben wurden. Den methodischen und analytischen Rahmen bildet dabei Pierre Bourdieus Theorie des Feldes, was auch den Untertitel des Buches »Konflikte im Feld der Sozialen Wohnungswirtschaft« erklärt.
Bourdieus konzeptioneller Rahmen ermöglicht es Metzger, die Positionen und Logiken der interviewten Akteur*innen (Vorstände von Genossenschaften, Genossenschaftsmitglieder, Vertreter*innen von politischen Parteien) bzw. deren Strategien in eine soziologische Gesellschafts- und Handlungstheorie einzubetten. Lohnend ist dabei auch Metzgers Blick in die Vergangenheit und seine Einordnung der Sozialen Wohnungswirtschaft in die drei Phasen Paternalismus, Fordismus und Postfordismus, wobei jede Phase von einer bestimmten Orthodoxie (i. e. vorherrschenden Gewissheiten) beherrscht war bzw. ist.
Die Schilderung der Gründungsphase der ersten Genossenschaften im 19. Jahrhundert macht deren Ursprünge im liberalen und christlich-sozialen Milieu deutlich. Deren Ziel war nicht die Überwindung der damaligen industriellen Ordnung, sondern die »Besserstellung individueller Marktfähigkeit durch den Zusammenschluss in der Gruppe« bzw. der Selbsthilfe, wie es die Idee des Liberalen Schulze-Delitzsch war. Erst die Genossenschaften der 1920er Jahre hatten dann auch klassenkämpferische Ziele. Die zweite wesentliche historische Phase der sozialen Wohnungswirtschaft in Deutschland ist jene des Fordismus der Nachkriegszeit. Diese Phase war vor allem von einer großmaßstäbigen Versorgung breiter Bevölkerungsschichten durch gemeinnützige Wohnbaugesellschaften geprägt. Diese breite Orientierung schaffte einen Ausgleich zwischen unternehmerischer Wirtschaftlichkeit und ausreichender Wohnversorgung. Seit den 1980er Jahren kamen die Fundamente des Fordistischen Regimes zunehmend unter Druck.
Im Rahmen des Neoliberalismus bzw. des Postfordismus fand eine neue Ausverhandlung über die Rolle von Staat, Markt und Individuum statt. Selbstverwaltungsorientierte Ansätze und mitunter auch stadtpolitische Entscheidungen über die Errichtung von Großwohnsiedlungen im Stadtumland stellten zunehmend auch die gemeinnützige Wohnungswirtschaft in Frage. Der Skandal um das gemeinnützige Unternehmen Neue Heimat, welcher den Vorständen eine Bereicherung auf Kosten des Unternehmens vorwarf, führte dann in weiterer Folge zur folgenreichen Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit in Deutschland.
Das neue (neoliberale) Paradigma war dem Autor zufolge jenes der gemischten Quartiere und funktionierenden Nachbarschaften. Der (Fordistische) Ansatz der Dekommodifizierung von Wohnraum mittels Gemeinnützigkeit und Belegsbindung wurde dabei aufgegeben. An dessen Stelle tritt die ›Aktivierung‹ der Bewohner*innen (Selbsthilfe) bzw. der Versuch, kaufkräftigere Haushalte dazu zu bewegen, in bisher benachteiligte Gebiete zu ziehen. Mit dem Ende der Wohnungsgemeinnützigkeit 1989 kam es in den 1990er Jahren in Folge zu einer Vielzahl von Privatisierungen ehemals gemeinnütziger Wohnungsunternehmen. Diese Vorgänge verhalfen auch mittlerweile bekannten und vielkritisierten Unternehmen wie Deutsche Wohnen und Vonovia zu beträchtlichen Wohnungsbeständen.
Diese historischen Entwicklungen treffen, wie Metzger in seinem Buch darstellt, zum Großteil auch auf die Stadt Hamburg zu. Während große Teile Hamburgs noch in den 1970er Jahren von Deindustrialisierung, Bevölkerungsverlust und Suburbanisierung gekennzeichnet waren, sind diese Quartiere heute von Reurbanisierung, Bevölkerungszunahme, Gentrifizierung und rasch steigenden Mieten betroffen. Vor allem seit dem Beginn der 2000er Jahre verstärkte sich der Aufwärtstrend bei den Mieten.
Besonders stark ausgeprägt war dieser Umschwung in Hamburgs Osten zu erleben. Die Wohnungskrise ist präsenter denn je und kann auch von Seiten der Politik nicht mehr geleugnet werden.
Neben der Beschreibung der Akteur*innen kommt auch das breite Spektrum an wohnungspolitischen Interventionen nicht zu kurz, mit denen versucht wird, die Wohnungskrise in den Griff zu bekommen. Diese reichen von der Mietpreisbremse, der Kappungsgrenze bei Mietsteigerungen bis hin zur Sozialen Erhaltungsverordnung für bestimmte Quartiere, welche Mietsteigerungen oder auch die Umwandlung einer Wohnung von Miete auf Eigentum genehmigungspflichtig macht. Das Buch macht aber auch deutlich, dass diese diversen Instrumente bisher nicht ausgereicht haben, um Gentrifizierung und Verdrängung zu unterbinden.
Die aktuelle Rolle der Genossenschaften beurteilt Metzger als zwiespältig. Zum einen bleiben Genossenschaften die zentralen Garanten für die Bereitstellung von leistbarem Wohnraum. Zum anderen agieren sie dem Autor zufolge auch als »nachträgliche Gentrifizierer«, indem sie eine mittelschichtsorientierte Aufwertungsstrategie betreiben. Auch Förderungen werden zunehmend nicht mehr in Anspruch genommen, um Belegsbindungen zu umgehen.
Metzgers Analyse der Sozialen Wohnungswirtschaft Hamburgs aus dem Blickwinkel von Bourdieus Feldtheorie ermöglicht einen erfrischenden soziologischen Blick auf den Wohnungsmarkt, der die diversen Akteur*innen und deren »materiellen und symbolischen Kämpfe um die Praxis des Wohnens« miteinbeziehen. Gemeint sind damit insbesondere die Genossenschaften. Und obwohl Metzgers kritische Zeitdiagnose der Genossenschaften in Deutschland einen wichtigen Beitrag zur Rolle der Sozialen Wohnungswirtschaft liefert, so sind manche Schlussfolgerungen, die gezogen werden, weniger überzeugend. Darunter etwa die Forderung nach einer Abkehr der Genossenschaften von einer kostenbasierten Kalkulation, hin zu einer sozial differenzierten und somit einkommensbasierten Miete. Das mag zwar ein auf den ersten Blick einleuchtender Zugang sein, der aber Genossenschaften in eine finanzielle und politische Abhängigkeit von staatlichen Geldgebern manövrieren und für eine nachhaltige Bewirtschaftung Probleme mit sich bringen kann (man siehe das Beispiel Großbritannien). Gerade im Sinne eines Zurückdrängens von neoliberalen Tendenzen bedarf es auch einer Verantwortung von staatlichen Akteur*innen am Wohnungsmarkt. Genossenschaften können zwar einen wichtigen Beitrag leisten, aber sicherlich nicht Sozialpolitik ersetzen.
Gerald Kössl ist Soziologe und Referent beim österreichischen Verband gemeinnütziger Bauvereinigungen, wo er sich u. a. mit der Leistbarkeit von Wohnen und deren ökonomischen und gesellschaftlichen Auswirkungen beschäftigt. Er studierte Soziologie in Wien und Kopenhagen und schrieb sein Doktorat am Goldsmiths College der Universität London. Bis 2018 arbeitete er beim Englischen Dachverband für Housing Associations (National Housing Federation) in London.