Gentrification –
ein langer angloamerikanischer DiskursDer Begriff der Gentrification geht auf die soziologische Beschreibung eines Prozesses in Großbritannien während der 60er-Jahre zurück, als der niedere Adel (gentry) in aufgewertete Stadtviertel zurückkehrte. Im angloamerikanischen Raum wurde der Begriff in der Folge an den Beispielen New York (SoHo), Baltimore (Waterfront) und Philadelphia (Society Hill) heftig diskutiert und erweitert. Es entstand eine Vielfältigkeit an Deutungen und Interpretationen, die es schwer macht, dem Begriff einen bestimmten Erklärungsansatz zuzuweisen. Hier folgend soll anhand einer zwar alten, aber in ihren Fassetten für das Verständnis der unterschiedlichen Erklärungsansätze und Gefahren aufschlussreichen, Debatte ein Einblick gegeben werden.
Der Begriff der Gentrification geht auf die soziologische Beschreibung eines Prozesses in Großbritannien während der 60er-Jahre zurück, als der niedere Adel (gentry) in aufgewertete Stadtviertel zurückkehrte. Im angloamerikanischen Raum wurde der Begriff in der Folge an den Beispielen New York (SoHo), Baltimore (Waterfront) und Philadelphia (Society Hill) heftig diskutiert und erweitert. Es entstand eine Vielfältigkeit an Deutungen und Interpretationen, die es schwer macht, dem Begriff einen bestimmten Erklärungsansatz zuzuweisen. Hier folgend soll anhand einer zwar alten, aber in ihren Fassetten für das Verständnis der unterschiedlichen Erklärungsansätze und Gefahren aufschlussreichen, Debatte ein Einblick gegeben werden.
Der Begriff Gentrification beschreibt den Prozess der Stadterneuerung durch die Umwandlung von preisgünstigem Wohnraum in aufgewertete Wohnungen für die gehobene Mittelklasse. Der Aufwertungsprozess kann dabei unterschiedliche Formen annehmen: von der Entwicklung eines ganzen Stadtviertels mit Altbestand als Neubaugebiet bis zu kleinteiliger Sanierung und Ausbau des Altbestandes. Jedenfalls ist der Prozess verwertungsgeleitet und transformiert die BewohnerInnenstruktur von Vierteln mit günstigen Mieten stetig in eine der kaufkräftigen Mittelklasse bei gleichzeitiger Verdrängung der vorherigen BewohnerInnen und Erhöhung der Mietpreise im Umfeld. Üblicherweise findet dieser Prozess in älteren Stadtvierteln statt, die von ihrer Mietenstruktur her den Immobilienfirmen und Investoren die Möglichkeit bieten, durch eine Erneuerung einen Mietsprung zu erreichen. Da diese Vorgänge jedoch immer auch mit einer Konsumveränderung und einer Veränderung der Arbeitsverhältnisse einhergehen, lassen sich die Ursachen nicht auf nur eine Ebene reduzieren. Der Prozess der Gentrification hat sowohl eine politische, ökonomische wie auch planerische Dimension.
Gentrification wird meist als ein gleichzeitig physisches, ökonomisches und soziales (vgl. Smith, 1987) sowie weiters auch kulturelles (vgl. Harnnett 1984) Phänomen begriffen, welches aufgrund seiner Symptome immer die Aufmerksamkeit auf den Einfluss der sozialen AkteurInnen im Rahmen der Stadterneuerung lenkt.
Die Erklärungsmuster unterscheiden sich jedoch nach zwei sehr verschiedenen Ansätzen, welche in unterschiedlichen Gewichtungen als Einflussfaktoren auf Gentrification gewertet werden. Der angebotsorientierte Ansatz (production theory) legt seinen Schwerpunkt auf die Beschreibung des Phänomens aufgrund der Verbindungen zwischen dem Kapitalfluss und der Produktion von Stadtraum (Neil Smith). Der zweite Ansatz, der sich an der Nachfrage orientiert (consumtion theory), versucht, das Phänomen über die Veränderungen des Konsumverhaltens und die individuellen Gentrifiers als ProtagonistInnen des Prozesses zu beschreiben (David Ley). Diese Ansätze zielen beide auf das Verhalten der sozialen Akteure als Basis der Gentrification ab. Sie verstehen diese als eine Option einer Klasse, auf eine andere Macht auszuüben.
Der angebotsorientierte Ansatz
(Neil Smith – Professor and Director of the Center for Place, Culture and Politics, The City University of New York, USA)
Neil Smith beschreibt den Prozess der Gentrification als eine sichtbare räumliche Komponente sozialer Transformationsprozesse. Er beruht einerseits auf Investitionsveränderungen in der Immobilienbranche als zentralem Schlüsselprozess, und hängt andererseits mit den veränderten Lebensmustern der neuen Mittelschichten zusammen. Mit seiner Forderung nach einer Erklärung, warum an manchen Orten Gentrification stattfindet und an anderen nicht, orientiert sich seine Argumentation an der Produktionsseite, was bedeutet, dass diese für ihn bei diesem Prozess im Vordergrund steht. (vgl. »A back to the city movement by capital, not by people«, Smith 1979) Neil Smith benannte den »rent-gap« als zentralen langfristigen Motor der Stadtviertelveränderung mit anschließender Gentrification. Ist dieser groß genug, realisieren die Baufirmen, Bauträger, Immobilienhändler und HausbesitzerInnen sowie die kommunalen Stadterneuerer die potenziell möglichen Profite mittels eines Re-Investments in verlassene innerstädtische Besitze aufgrund vorangegangenem Dis-Investment. Das bedeutet, wenn die Wertminderung so weit fortgeschritten ist, dass der lukrierte Bodenzins des Grundstücks tiefer liegt als der potenzielle im besten Wertzustand, wird aufgewertet. »mortgage capital is a prerequisit« (Smith 1979). Zentrale Bedeutung als AkteurInnen spielen bei diesem Prozess die »occupier developers«, welche aktiv Besitz erwerben und erneuern. Diese AkteurInnen integrieren Produktion und Konsumtion in ihrer Vorgehensweise. Entscheidend bleiben jedoch die folgenden großflächigen Erneuerungen und Umbauten. Bei fortschreitender Aufwertung in einer Nachbarschaft steigen die angrenzenden Bebauungen ebenfalls im Wert, und die Verdrängung beginnt.
Der nachfrageorientierte Ansatz
(David Ley – Professor University of British Columbia, Canada)
Die Diskussion um die Wertigkeiten der unterschiedlichen Einflussfaktoren wurde durch die Beiträge Leys um einen kulturdominierten Ansatz erweitert. Für ihn stellt die Immobilienwirtschaft nur einen sekundären Einflussfaktor auf den Gentrification-Prozess dar. Zentral ist in seinen Theorien die Frage des Konsums, die den Lifestyle der »class in emerge« als die treibende Kraft hinter den Veränderungsprozessen sieht. Damit werden die in Folge des Aufkommens der unternehmensorientierten Dienstleistungsindustrien (vgl. Sassen, 1996) entstandenen kaufkräftigen Schichten angesprochen, die sich nicht nur durch ihren exponiert konsumorientierten Lebensstil auszeichnen, sondern ebenso durch ihre besondere Ausstattung mit sozialem und kulturellem Kapital. Die Bewegungen zum Re-Investment in die innere Stadt werden als Effekt dieser entstandenen neuen Mittelschicht beschrieben. Die Gemeinsamkeiten mit den Ansätzen Smiths liegen in den ökonomischen Ausgangsbedingungen und der Feststellung, dass Klassenunterschiede im Prozess wirksam werden. Der Konsum (Kauf einer innerstädtischen, renovierten Wohnung) wird nicht nur als eine individuelle Entscheidung einzelner gesehen, sondern als gesellschaftliches Phänomen.
Ein integrativer Ansatz als verdeckte Ideologie des Individualismus
(Chris Hamnett – Professor Kings College London Geography Department, Great Britain)
In seiner Kritik an Smiths »rent-gap«-Theorie zur Erklärung der Gentrification vermutet Hamnett (1991) einen Mangel an Gesamtbetrachtung und fordert die Kombination beider Ansätze ein. Er beschreibt den angebotsorientierten Ansatz als marxistischen, rein ökonomischen Ansatz und den nachfrageorientierten als »liberal humanistischen« Ansatz, die beide nicht der Gesamtbeschreibung Genüge tun. Er kritisiert die »rent-gap«-Theory von Smith als eine, die die Individuen, welche ProtagonistInnen der Gentrification sind, als passive HandlangerInnen von Kapitalbedürfnissen definiert. Die bedarfsorientierte Beschreibung des Phänomens durch Hamnett stellt die Gentrifiers als AuslöserInnen der Gentrification in den Vordergrund (»Gentrification without gentrifiers does not exist«, Hamnett 1991 S. 182) und gleichzeitig die zentrale Rolle des rent-gaps infrage. »The existence of a rent-gap can lead to a variety of different results including redevelopment or further decline« (Hamnett 1991, S.181). In der Konzentration auf das Einfordern der Schlüsselposition der Gentrifiers, wird jedoch das Augenmerk von den politischen und staatlichen Verantwortungen sowie den treibenden ökonomischen Prozessen abgelenkt. (Ein gutes Beispiel für die Gefahr, die sich dahinter verbirgt, zeigt auch ein Artikel von Carol Lloyd der unter dem Titel »I am the enemy« bei salon.com erschienen ist, in welchem sie ihre eigene Rolle in einem Stadtviertel San Franciscos plötzlich verändert sieht.) Die Anwesenheit von Gentrifiers wird zum konstituierenden Element der Gentrification erhoben. Damit werden die Versuche, Konsumverhalten wissenschaftlich zu beschreiben und deren räumliche Auswirkungen zu dokumentieren, als individualkritische Erklärungsstrategien verwendet, welche die komplexen Strukturen der Gesellschaft und des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage auf die Entscheidungen Einzelner reduzieren. Gleichzeitig wird übersehen, wie Nachfrage durch Werbung und Marketing produziert werden kann, und zu einem maßgeblichen Anteil auch ein gesellschaftliches Produkt ist. Die Kritik richtet sich bei diesem Ansatz daher an die individuellen AkteurInnen. Gleichzeitig übersieht der Ansatz den Entstehungszusammenhang der neuen Mittelschicht, welcher wiederum auf einen Umwälzprozess am Arbeitsmarkt zurückgeführt werden kann. Allerdings besteht auch Hamnett in seiner Kritik an Smith darauf, die »consumtion theory« nicht als die alleinige Erklärung für Gentrification anzusehen. Die Polarität der oben angeführten Ansätze wurde jedoch durch Hamnett selbst konstruiert und in seiner Argumentation als gegensätzlich simplifiziert. Die Gefahr dieser Simplifizierung und Orientierung der Kritik an den Individuen zeigt sich dann auch weiters in einem auf die Spitze getriebenen ontologischen Individualismus.
Auf die Spitze getriebene Individualismuskritik
Als Extrembeispiel des personalisierten nachfrageorientierten Ansatzes existiert noch der »sozialökologische Naturalismus« (Falk 1994 beschreibt zum Beispiel Wohnpräferenzen als messbar). Die ist eine konservative Beschreibung des Phänomens, die Prozesse der Segregation und Gentrification lediglich als quasi natürliche Vorgänge der Stadt festsetzt. In sich birgt dieser Ansatz die Gefahr diese Prozesse bestimmten Gruppen der Gesellschaft zuzuordnen und diese als die Gentrifiers zu stigmatisieren. Schon die Verwendung des Wortes bezieht sich lediglich auf die nach bestimmten Kriterien beschriebenen Individuen. Damit werden die ökonomischen und politischen Prozesse verschleiert und die komplexen Vorgänge extrem simplifiziert. Besonders sexistisch entwickelt sich diese Argumentation, wenn alleinstehende arbeitende Frauen und Homosexuelle als Beispiele maßgeblicher Gentrifier beschrieben werden, und so den Handlungen dieser Individuen das Auslösen von Gentrification zugeschrieben wird. (Tom Slaters gentrification net). Die konservativen Ängste vor den Anderen werden zum definitiven wissenschaftlichen Revanchismus in Form eines ideologischen Individualismus umformuliert.
Warum es ein angloamerikanischer Diskurs ist
Die Anwendung des Gentrification-Konzeptes auf europäische Verhältnisse muss neben den unterschiedlichen national- und lokalstaatlichen Regulationsweisen auch die unterschiedlichen Grundbedingungen des Bodenmarktes berücksichtigen. Diese Unterschiede haben maßgeblichen Einfluss auf Art und Ausmaß von Gentrification. Nicht zuletzt hat beispielsweise die vergleichsweise mieterInnenfreundliche Mietgesetzgebung in Wien bislang Gentrification-Prozesse im angloamerikanischen Maßstab verhindert.
Einen wesentlichen Unterschied bildet die Grundbedingung des Bodenmarktes in den USA, dass das Eigentum an Grund und Boden nicht das Eigentum an der Bebauung und Nutzung beinhaltet. Dadurch wird im Vergleich zu den Verhältnissen hierzulande eine zusätzliche Ebene eingezogen, um Verwertungsinteressen geltend zu machen. Das Interesse der GrundstückseigentümerInnen an einer möglichst hohen Grundrente wird an die HauseigentümerInnen weitergegeben, die diese auf die Hausnutzung umlegen.
Zudem findet die verwertungsgeleitete Aufwertung aufgrund der liberalen Grundgesetzgebung nur in einem marginalen Regulationsrahmen statt. Instrumente wie der 1984 eingerichtete WBSF (Wiener Bodenbereitstellungs- und Stadterneuerungsfonds), der als Kontrollinstanz für die Preise der verkauften Liegenschaften fungiert, wären in den USA undenkbar. Ein ähnlich geringer regulatorischer Rahmen wie in den USA ist in Europa nur in Großbritannien zu finden.
Die Rolle des lokalen Staates als Bereitsteiler von dauerhaft preisgünstigem Wohnraum hat in Wien seit den Jahren des Roten Wiens eine lange Tradition. Wie stark diese Rolle wahrgenommen wird, ist zum einen von den aktuellen politischen Kräfteverhältnissen abhängig. Zum anderen wird dieser preisgünstige Wohnraum, der in Wien Eigentum der Gemeinde ist, beispielsweise in Deutschland nach Ablauf eines mittelfristigen Zeitraums auf den Wohnungsmarkt geworfen. Damit kann dieser Wohnraum in oft zentralen Lagen dem Zugriff der marktwirtschaftlichen Verwertungslogik nicht dauerhaft entzogen werden.
Die Unterschiede, die auf verschiedenen Ebenen zu finden sind und stark von lokalen Kräfteverhältnissen und AkteurInnen bestimmt sind, müssen bei der Adaption des Gentrification-Konzepts entsprechend berücksichtigt werden. Der Grad von Gentrification kann durch regulatorische Eingriffe maßgeblich beeinflusst werden.
Die nachstehenden Artikel sollen die Bedeutung des Prozesses sowohl im Hinblick auf die Stadt Wien wie auch auf einer internationalen Ebene beleuchten.
Erik Meinharter
Philipp Rode
Hamnett, Chris. Gentrification and residential location theory: a review and assessment, in D. Herbert and R.J. Johnston (Hrsg.). Geography and the Urban Environment: Progress in Research and Applications, Wiley and Sons Verlag, New York 1984.
Hamnett, Chris. The blind men and the elephant: the explanation of gentrification, Transactions of the Institute of British Geographers 16 (2), 1991, S.173-189.
Hamnett, Chris. Gentrifiers or lemmings? A response to Neil Smith, Transactions of the Institute of British Geographers 17 (1), 1992, S. 11 6-119.
Ley, David. Alternative explanations for inner-city gentrification: a Canadian assessment, Annals of the Association of American Geographers 76 (4), 1986, S. 21-535.
Sassen, Sakia. Metropolen des Weltmarkts, Campus Verlag, Frankfurt / New York, 1996.
Smith, Neil. Towards a theory of gentrification; a back to the city movement by capital not people, Journal of the American Planning Association 45, 1979, S. 538-548.
Smith, Neil. Blind man's buff, or Hamnett's philosophical individualism in search of gentrification, Transactions of the Institute of British Geographers 17 (1), 1992, S. 110-115.
Smith, Neil. Gentrification, the frontier and the restructuring of urban space, in N. Smith and P. Williams (Hrsg.). Gentrification of the City, Unwin Hyman Verlag, London, 1986, S. 15-34.
Smith, Neil. Gentrification and the rent-gap, Annals of the Association of American Geographers 77 (3) 1987 S. 462-465.
Smith, Neil. The New Urban Frontier: Gentrification and the Revanchist City, Routledge Verlag, London and New York, 1996