Geschichte der Hausbesetzungen und autonomen Bewegungen in Europa
Besprechung von »The City Is Ours. Squatting and Autonomous Movements in Europe from the 1970s to the Present« herausgegeben von Bart van der Steen, Ask Katzeff und Leendert van HoogenhuijzeHausbesetzungen dürften neben Demonstrationen die bekanntesten wie wirkungsvollsten Praktiken linksradikaler Politik sein. Die Herausgeber postulieren einleitend, es gebe seit 1968 eine Kontinuität radikaler jugendlicher städtischer Bewegungen, in denen sich radikale Politik mit Untergrundkultur und libertären Prinzipien verbinde und in der die Methode der direkten Aktion weit verbreitet sei. Hinzu komme, so die Herausgeber später, eine ausgesprochen lokale Situierung des diesbezüglichen politischen Handelns. Konkret finden sich in dem Buch Beispiele aus acht Städten in sieben Ländern, die alle eher den Zeitraum ab 1980 als den ab 1968 behandeln. Die Beiträge enthalten jeweils kommentierte Literaturhinweise; haben aber sehr unterschiedlichen Zuschnitt und Tiefe. Der Beitrag zu Berlin, wo 1990 allein in Ost-Berlin 130 Häuser besetzt waren, thematisiert in seiner zweiten Hälfte nur ein Haus als konkretes Beispiel, der zu Griechenland streift das Thema Hausbesetzungen nur und hat vielmehr die Geschichte anarchistischer Politik zum Inhalt. In etlichen Beiträgen wird die Bedeutung des soziokulturellen »Humus« oder auch »Hinterlandes« von Besetzungen und Hausprojekten deutlich, diese sind in Wien ebenso wichtig wie in Posen. Der Leser und die Leserin bekommen damit keine Enzyklopädie zum Thema, aber lesenswerte Eindrücke aus Barcelona und Amsterdam, aus Kopenhagen und Brighton. Manchmal mangelt es an einer empirischen Fundierung und die AutorInnen verfallen in einen Plauderton. Dies dürfte auch, aber nicht nur, der diffizilen Quellensituation geschuldet sein. Bemerkenswert ist, dass die in Deutschland sehr virulente und ausdifferenzierte Debatte, inwieweit urbane Kämpfe und damit verbundene kreative Praktiken willentlich und unwillentlich zur Gentrifizierung beitragen, in dem Buch jenseits der Einleitung wenig Erwähnung findet. Die weitere Erforschung des Themas, die Zusammenstellung der Ereignisse und die Prüfung, was im europäischen Kontext überhaupt systematisier- und sinnvoll vergleichbar sein könnte, bleibt eine Aufgabe: Nur ein Beispiel: Die Herausgeber schreiben zum Beispiel, die 1990er-Jahre seien in der radikalen Linken in Europa von einem neuen Optimismus gekennzeichnet gewesen, eine Beschreibung, die so für Deutschland falsch ist.
Bernd Hüttner ist Politikwissenschaftler und Referent für Geschichtspolitik bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.