Ghetto-Realness
Einer der am häufigsten festgelegten Orte der zeitgenössischen kulturellen Landschaft ist das so genannte Ghetto. Von der jüdischen Diaspora in der europäischen Renaissance bis hin zur Erfahrung der Schwarzen in der US-amerikanischen Großstadt Fords bezeichnete das Konzept des Ghettos immer schon eine räumliche Umgebung, die durch Gefangenschaft und Abgeschiedenheit begrenzt war. Das Konzept des so genannten Ghettos diente als sozial-organisatorische Einrichtung, die den Raum dafür einsetzte, zwei einander widersprechende Aufgaben in Einklang zu bringen: wirtschaftliche Ausbeutung und soziale Verbannung. Die so genannte Ghettobildung war nie, wie manche Soziologen behaupteten, ein »natürliches Gebiet« (Louis Wirth) oder ein »ungeplanter und unkontrollierter« (Robert Park) Prozess, sondern das Produkt von kollektiver Gewalt, die im städtischen Raum Form annahm.
Einer der am häufigsten festgelegten Orte der zeitgenössischen kulturellen Landschaft ist das so genannte Ghetto. Von der jüdischen Diaspora in der europäischen Renaissance bis hin zur Erfahrung der Schwarzen in der US-amerikanischen Großstadt Fords bezeichnete das Konzept des Ghettos immer schon eine räumliche Umgebung, die durch Gefangenschaft und Abgeschiedenheit begrenzt war. Das Konzept des so genannten Ghettos diente als sozial-organisatorische Einrichtung, die den Raum dafür einsetzte, zwei einander widersprechende Aufgaben in Einklang zu bringen: wirtschaftliche Ausbeutung und soziale Verbannung. Die so genannte Ghettobildung war nie, wie manche Soziologen behaupteten, ein »natürliches Gebiet« (Louis Wirth) oder ein »ungeplanter und unkontrollierter« (Robert Park) Prozess, sondern das Produkt von kollektiver Gewalt, die im städtischen Raum Form annahm.[1]
Aufgrund dieser vorbelasteten Geschichte spielte das so genannte Ghetto jene Rolle, die Loïc Wacquant als »kollektive Identitätsmaschine« bezeichnete: Gegenüber der Außenseite vertiefte es die soziokulturelle Kluft zwischen der Gruppe der Außenseiter und der sie umgebenden Bevölkerung; gegenüber der Innenseite verstärkte das Ghetto ein Gefühl von Kollektivität und Stolz, das auf dem von der Außenseite auferlegten Stigma beruhte. Das so genannte Ghetto ist deshalb durch eine grundlegende Dualität gekennzeichnet: Es beschützt genauso wie es trennt, das heißt es wirkt gleichzeitig als Waffe und Schild.[2]
Heutige Formen des so genannten Ghettos deuten darauf hin, dass die Zeit diesem aufgestellten Dualismus eine dritte Dimension hinzugefügt hat: Angesichts der populären Ghetto-Wirklichkeit, also der Zelebrierung von mythologisch verklärten Ghetto-Eigenschaften, ist das so genannte Ghetto nicht mehr nur Waffe und Schild, sondern es stellt auch eine Massenware dar. Die räumliche Abgeschiedenheit ermöglichte eine Bedingung, unter der die Narrative des so genannten Ghettos völlig von jeglichem geografischen Kontext getrennt werden können; sie sind frei in Umlauf befindliche Märchen zur Unterhaltung, verlockende Abenteuergeschichten von gesetzloser Gewalt und purem Überleben.
Zwei bekannte Orte illustrieren die verschränkte Beziehung zwischen der Ausübung von Identität, den Relationen von Räumlichkeit und den Kräften des globalen Kapitalismus: Kazimierz, ein Bezirk, der als früheres Ghetto von Krakau bekannt ist, ist ein Beispiel dafür, wie Geschichte, Kommerz und das tägliche Leben unbarmherzig um den Raum im Wettstreit liegen; South Central, ein Stadtviertel von Los Angeles, zeigt die komplexen Wechselbeziehungen zwischen geografischem Ort, gelebter Erfahrung und dem hohen Stellenwert mythologischer Währung. Beide Orte verweisen auf eine unausgeglichene Beziehung zwischen der Ausübung von Identität und der Konstruktion von Raum; sie deuten auf die Anwesenheit von mächtigen Mittelsmännern hin, die die schillernden Bilder und Narrative, die dem so genannten »Ghetto« zugeschrieben werden, hinsichtlich ihres Image-Wertes verwalten.
Die Wiederholung des Ghettos in Krakau
1993 brachte das Holocaust-Drama Schindlers Liste Kazimierz, einen Bezirk der polnischen Stadt Krakau, auf die internationale Touristen-Landkarte. Nachdem Steven Spielberg die Ghetto-Szenen in Kazimierz gedreht hatte, wurde der Ort oft mit jener Stelle verwechselt, an der sich das jüdische Ghetto von Krakau während des Krieges wirklich befand. Tatsächlich beruhte Spielbergs Wahl des Drehorts auf einem poetischen Übersetzungsfehler: Kazimierz war eigentlich eines der lebendigsten jüdischen Stadtviertel Polens, in dem vor der Invasion der NationalsozialistInnen in Krakau mehr als 70.000 Juden lebten. Nach 1939 wurde allerdings der größte Teil der Bevölkerung von Kazimierz gewaltsam in ein Ghetto umgesiedelt, das einen Kilometer weiter über der Weichsel lag. Alle Spuren dieses Ghettos – und seines Schreckens – wurden nach dem Krieg durch kommunistische Wohnbau-Projekte und prunkvolle Glaspaläste beseitigt. Als Antwort auf diese Auslöschung drehte Spielberg seine Darstellung der Vertreibung in Kazimierz.[3]
Nach der Veröffentlichung von Schindlers Liste stieg der Tourismus in Krakau um mehr als achtzig Prozent.[4] In die im internationalen Tourismus gängige Unterteilung in regionale Teilmärkte gedrängt, erkannten die Geschäfte in Kazimierz das kommerzielle Potenzial einer selektiv zusammengestellten Vergangenheit: Kazimierz’ Vergangenheit vor dem Krieg. Heute sind Überreste der sieben Synagogen, ein Badehaus, ein Marktplatz und ein Stadthaus den BesucherInnen bei ihrer Vorstellung davon behilflich, wie das jüdische Leben vor seiner Zerstörung gewesen sein mag. Was einmal das kulturelle und religiöse Zentrum des jüdischen Lebens war, hat sich nun nach der Öffnung Polens zu einer Drehscheibe für den Handel mit Waren im jüdischen Stil entwickelt. Heutzutage bieten die Restaurants des Bezirks koscheres Essen an, aus den Bars dringt Klezmer-Musik, und auf einem Schild in einer gut sortierten jüdischen Buchhandlung wird vorgeschlagen: »Besuchen Sie die Schauplätze von Schindlers Liste.« Reiseleiter führen unzählige TouristInnen durch die Straßen und verflechten Geschichten aus Spielbergs Film mit historischen Schauplätzen aus dem Zweiten Weltkrieg. Jüdische Schilder und Totems sind in Kazimierz öffentlich präsent; die Ironie daran ist, dass heute kaum mehr Juden und Jüdinnen dort leben.
Von den 70.000 Juden und Jüdinnen, die 1929 in Krakau lebten, haben nur 600 den Krieg überlebt. Das Trauma des Holocaust wurde durch die fortdauernden Übergriffe auf jüdische Überlebende in der Zeit direkt nach dem Krieg noch verschlimmert.[5] Die meisten Juden flohen aus dem Friedhof, zu dem Polen geworden war. Unter dem kommunistischen Regime vervollständigte eine Serie von antisemitischen Kampagnen die Zerstörung jüdischen Lebens. Heute besteht die jüdische Gemeindeorganisation in Kazimierz aus ca. 150 Menschen, die meisten davon sind über sechzig Jahre alt. Kann in Ermangelung einer signifikanten Zahl von Juden und Jüdinnen die Nachstellung von jüdischen Traditionen Einblicke in eine lebendige Kultur ermöglichen?
KritikerInnen verurteilen Kazimierz als eine gefälschte Stadt im Disney-Stil, aber die Simulation hat auch einige sehr handfeste Konsequenzen hervorgerufen. Tausende jüdische TouristInnen besuchen Kazimierz jedes Jahr – orthodoxe Juden und Jüdinnen behandeln die Stadt wie eine Pilgerstätte, Schulklassen aus Israel studieren sie als Beispiel ursprünglichen jüdischen Lebens und seines vernichtenden Endes, Überlebende des Holocaust besuchen ihr Zuhause wieder, weltliche Juden und Jüdinnen beschäftigen sich mit der Geschichte. Heute deuten Zeichen jüdischer Kultur, die auf den Straßen von Kazimierz zu finden sind, auf alles hin – vom orthodoxen Glaubenssystem bis hin zu kultureller Radikalisierung und kosmopolitischen Lebensweisen. Junge Mitglieder der örtlichen Gemeinde haben begonnen, ihre jüdischen Wurzeln wieder zu entdecken – oder neu zu erschaffen. Angeleitet von einem Rabbi der Lauder Foundation, die ihren Sitz in den USA hat, beschäftigt sich eine Gruppe von Teenagern mit etwas, was dort als »Mission« angesehen wird, nämlich dem Jüdischsein in Polen. Zusammen lesen sie an drei Abenden pro Woche den Talmud und beginnen schüchtern die Grundlage einer religiösen Gemeinschaft wiederaufzubauen.
Die polnischen BesitzerInnen von Geschäften im jüdischen Stil vertreten die Auffassung, dass Kazimierz gelebter Raum ist, wo Polen einen Ort finden, um ihrer kollektiven Amnesie zu begegnen und sich ihre Vergangenheit wieder vor Augen zu halten. Wenn dies der Fall ist, so verschiebt sich der Fokus von der Frage nach Authentizität zu jener nach der Art der Erzählung. Hier argumentieren KritikerInnen, dass, da Kazimierz im Kielwasser von Schindlers Liste bekannt wurde, die Rückentwicklung des Gebietes zu einem großen Teil von genau dem Hollywood-Blockbuster beeinflusst wurde, der es weltbekannt machte. Das heutige Kazimierz wurde zum Inbegriff eines multikulturellen gehobenen Lebensstils. Die Juden und Jüdinnen, die im historischen Kazimierz vor dem Krieg lebten, waren allerdings sehr arm; wohlhabendere und besser integrierte Juden und Jüdinnen lebten in der Nähe des Zentrums von Krakau.[6]
Im neuen Kazimierz haben die »Ghetto-Qualität« und der Schick des Verfalls seit Mitte der neunziger Jahre eine neue KünstlerInnenschicht und zahlungskräftige InvestorInnen angezogen; Gentrification hat manche der Grundstückswerte beinahe verdoppelt. Dies verursachte eine außergewöhnlich ironische Laune des Schicksals: Viele jener polischen Familien, die nach Kazimierz gezogen waren, nachdem die Nationalsozialisten die Juden und Jüdinnen vertrieben hatten, fürchten nun die Verdrängung durch die von Kazimierz zur Schau gestellte »Ghetto-Realness« .
Ghetto-Mythologie in Los Angeles
Die »Ghetto-Realness« hat die Stadtviertel der US-Großstädte in einer grundlegend anderen Art beeinflusst. Hier wurde Mitte der neunziger Jahre die Darstellung der ärmsten Viertel zu einem der profitabelsten Schauplätze für die Unterhaltungsindustrie. Vermarktet von den zynischen Repräsentanten der Musikindustrie, schufen die Erzählungen über das so genannte Ghetto eine lukrative imaginäre Alternative zur Langeweile der Vorstädte. Die Abenteuergeschichten schlugen Kapital aus einem Bilder-Pool, der in den siebziger Jahren aufkam, als nationale Kommentatoren afrikanisch-amerikanische Viertel wie South Central Los Angeles, Compton und Watts genauso wie Newark oder South Side Chicago als »tödliche Gang-Gebiete«, die von willkürlicher Gewalt, Verbrechen und Erbarmungslosigkeit heimgesucht werden, darstellten. Indem diese Orte mit den so genannten »Ghetto-Attributen« verknüpft wurden, fand der niederschmetternde Entzug des Wahlrechts, den die afrikanisch-amerikanische Arbeiterklasse während dieser Zeit erfuhr, in der Berichterstattung kaum mehr Erwähnung: Die Gewerkschaften waren geschwächt, und es herrschte massive Arbeitslosigkeit, Martin Luther King und Malcolm X wurden bei Attentaten ermordet, die Bürgerrechtsbewegung wurde zersprengt und die Black Panther-Partei verfolgt und mit Gewalt vom COINTELPRO des FBI zersplittert. In Los Angeles füllte eine Gang namens »Crips« die zurückgebliebene kulturelle und soziale Leere, und einige Jahre später erhielt eine aufkommende kulturelle Bewegung namens »Gangsta Rap« die rebellischen Begriffe von Militanz und Widerstand auf den Ebenen von Stil, Habitus, Sprache und dem entsprechenden Soundtrack aufrecht.[7]
Hip Hop entstand während einer grundlegenden Neuordnung des Arbeitsmarktes in den achtziger Jahren; demgemäß spiegelt Westküsten-Gangsta Rap wieder, was Robin Kelly als »kulturelle Logik der Postindustrialisierung« bezeichnet: Während Förderungen für den kulturellen Sektor radikal gekürzt wurden, begannen große Betriebe ihre Produktion in mexikanische Grenzstädte auszulagern. Zwischen 1978 und 1982 verlor South Central Los Angeles 70.000 stabile gut dotierte Arbeitsplätze; die Arbeitslosenrate unter männlichen Schwarzen betrug ungefähr fünfzig Prozent.[8] Laut dem Urbanisten Ed Soja war der Aufstand in Los Angeles die erste Erhebung der Antiglobalisierungsbewegung.
Als die Arbeiterklasse-Jobs in Los Angeles verschwanden, erreichte Westküsten-Hip Hop internationale Anerkennung. Das Konzept des Ghettos versorgte die Unterhaltungsindustrie mit einer räumlichen Verankerung für ein hochgradig rassenspezifisches Kultur-Paket. Es ermöglichte der Mittelklassejugend aus den Vorstädten eine imaginäre Exkursion zu einem Schauplatz, der mit Konnotationen von Gefahr, Bedrohung und Sexualität aufgeladen war. Eigentlich erfanden die Rapper die Symbolik des Ghettos wieder neu und »ghettoisierten« in manchen Fällen ihren gesellschaftlichen Hintergrund. Ironischerweise wurde für manche KünstlerInnen das Verkaufen des Ghettos auch zu einer Möglichkeit, aus wirtschaftlich benachteiligten Vierteln aus- und aufzusteigen.
Der Populärmythologie zufolge stieg Tupac (2Pac) Amaru Shakur aus dem Ghetto auf und wurde schließlich zum community-statesman. Tatsächlich wurde sein Leben zu einer Geschichte, deren Moral der ihm innewohnende Zynismus war, der das Marketing des Ghettos bestimmte. 1971 in Brooklyn, NY, als Sohn des Black Panther-Mitglieds Afeni Shakur geboren, wuchs der zukünftige Sprecher des so genannten Ghettos in Baltimore, MD, auf und übersiedelte während seiner späten Teenager-Zeit nach Oakland, Kalifornien. 1991 produzierte Tupac sein erstes Soloalbum 2Pacalypse Now. Im Laufe der nächsten fünf Jahre basierte der Aufstieg seiner Selbstdarstellung im Wesentlichen auf seiner Musik, aber auch auf seinen öffentlichen Auftritten als Outlaw und Märtyrer des Gangsta Rap.
1996, nachdem Shakur neun Alben veröffentlicht, in fünf Filmen die Hauptrolle gespielt und drei Haftstrafen abgesessen hatte, wurde er im Alter von 25 Jahren erschossen. Die Polizei tat den Mord als Rivalität zwischen Ost- und Westküsten-Rappern ab, niemand wurde in dem Mordfall angeklagt. Das FBI brauchte sieben Jahre, um Vorwürfen nachzugehen, denen zufolge ein Polizeibeamter aus Los Angeles die Morde gemeinsam mit Rap-Mogul Marion »Suge« Knight, dem Gründer von Death Row Records, ursprünglich instrumentiert hatte, um Shakur dafür zu bestrafen, dass er gedroht hatte, seine Plattenfirma zu verlassen.[9]
Ein Jahr nach Tupacs Tod stellte die Sound-Scan-Erhebung fest, dass zwei Drittel aller Hip Hop-Tonträger von weißen KonsumentInnen gekauft wurden, von denen die meisten unter 18 Jahren alt waren. 2002 hatte Hip Hop höhere Verkaufszahlen als Country-Musik und wurde zum zweitbeliebtesten Musiksteil nach Rock, der hauptsächlich die Generation der Baby-Boomer bediente.[10] Bis zu diesem Zeitpunkt beschäftigten sich viele Jugendliche aus den Vorstädten mit »parasitärer weißer Coolness« , wie bell hooks es bezeichnete. Sie hörten nicht nur »blackness« und »Ghetto Chic« , sondern verkörperten sie auch – in Musik, Mode, Sprache und Habitus. Vielleicht hatte Shakur dies schon 1991 in seiner Nummer »All You Want to Be – A Soldier Like Me« vorhergesagt. Seit der Minstrel-Kultur, die ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert hat, bis hin zur heutigen Rap-Kultur haben weiße ImitatorInnen allgemein das Schwarzsein als rein semiotischen Signifikanten gefeiert. Ihre Liebe zur schwarzen Kultur bewahrte sie davor, ihre Vormacht und das Trugbild des so genannten »Ghettos« in Frage zu stellen.
Making it real
Sowohl in Kazimierz als auch in Los Angeles ist die Ausübung von Identität mit der Politik des Ortes verbunden, aber die Beziehung folgt keinem vorhersehbaren Muster. Die Ausübung von Jüdischsein und Gangstatum sind weit von einer natürlichen Einbettung in eine vorherbestimmte Örtlichkeit entfernt, stattdessen ist die Ausübung ein wichtiger Bestandteil in der Verhandlung einer bestimmten Bedeutung des Ortes. Tatsächlich werden beide Arten der Artikulierung – Identität und Ort – hergestellt, rückgängig gemacht und wiederhergestellt, basierend auf nicht notwendigen Beziehungen und so auch auf Kontext.
Ebenso wie die Geschäftsführer der Mainstream-Kultur die Schauplätze von Marginalität als Quellen von Coolness definiert haben, haben die EinwohnerInnen von Kazimierz und South Central LA die Währung der Ghetto-Realness mit der alltäglichen Kultur sowohl in Frage gestellt als auch bestätigt. Ein Erkennen der Kontext-gebundenen Abhängigkeit von Geografie, Geschichte und Subjektivität befreit eigentlich die Begriffe von Identität von vorgeschriebener räumlicher Einschränkung und umgekehrt. Es öffnet den Raum für Verhandlung, Neuanordnung und Neu-Formulierung. In Krakau soll der riesige Einkaufszentrums- und Bahnhofs-Komplex Nowe Miasto die Modernität der Stadt hervorheben, und Kazimierz läuft Gefahr, ein historisierendes Open-Air-Museum zu werden. In Los Angeles hat der Stadtrat 2003 beschlossen, die Bezeichnung »South Central Los Angeles« von der Landkarte zu streichen und durch »South Los Angeles« zu ersetzen. Denn letztlich, so die Argumentation des Stadtrats, ist das Ghetto nur ein mythologischer Ort.
Fußnoten
Loïc Wacquant, What is a Ghetto? Constructing a Sociological Concept. In: Eurex Lecture Nr. 5, 2003; http://www.lboro.ac.uk/gawc. ↩︎
Loïc Wacquant, 2003. ↩︎
Anette Baldauf, Selling the Shtetl, Industries of Prosthetic Memory, in: Architektur Aktuell, März 2002. ↩︎
Laut dem Cracow Real Estate Institute stieg die Zahl der TouristInnen von 1992 bis 1993 von 1,3 auf 2,3 Millionen. 1993 waren ein Viertel der TouristInnen AusländerInnen; im Vergleich zu 1991 stieg die Zahl der internationalen TouristInnen um 100 Prozent (Cracow Real Estate Institute 1995, S. 16). ↩︎
Eugeniusz Duda, The Jews of Cracow. Wydawnictwo Hagada und Argona Jarden-Jewish Bookshop. Krakau 1999, S. 115. ↩︎
Henryk Halkowski, Kazimierz Yesterday and Tomorrow. In: Judaica Foundation, Center of Jewish Culture. The Jews in Poland. Vol. II. Jagiellonian Univeristy Printing House Krakau 1999, S. 227–234. ↩︎
Brian Cross, It’s not About A Salary. Rap, Race and Resistance in Los Angeles. London/New York: Verso, 1993; Katharina Weingartner, Die Bullen haben mit allem angefangen. In: Spex 10/93, S. 22. ↩︎
Melvin L. Oliver et al., Anatomy of a Rebellion. A Political-Economic Analysis, in: Robert Gooding-Williams (Hg.). Reading Rodney King. Reading Urban Uprising. New York: Routledge, 1993, S. 122. ↩︎
Chick Philips, Former officer investigated in rapper’s death. In: The Los Angeles Times, 24. März 2004. ↩︎
Marc Weingarten, Large and In Charge. In: The Los Angeles Times, 26. Juli 1998, S. 8; Recording Industry Association of America, 2000 Consumer Profile. ↩︎
Anette Baldauf