Die globale Wohnungskrise als Motor von Ungleichheit
Besprechung von »The Asset Economy – Property Ownership and the New Logic of Inequality« von Lisa Adkins, Melinda Cooper und Martijn KoningsLisa Adkins, Melinda Cooper, Martijn Konings
The Asset Economy – Property Ownership and the New Logic of Inequality
Cambridge, UK: Polity, 2020
176 Seiten, 18,90 Euro
Die zentrale These von Asset Economy ist, dass Immobilienbesitz ein wichtigerer Faktor in der Frage der Zugehörigkeit zu sozialen Klassen geworden ist als die Stellung im Arbeitsprozess. Das Buch stellt somit eine der zentralen Thesen der Soziologie und der politischen Ökonomie in Frage, und zwar, dass sich soziale Ungleichheit primär aus unserer Position im Arbeitsverhältnis, der Verfügungsmacht über Arbeitsmittel bzw. dem Einkommen erklären lässt. Dieses Verständnis floss auch in zahlreiche Konzeptualisierungen von Klassenschemata ein, wie etwa jenem von John Goldthorpe, das auch EU-weit etwa von Eurostat in Form des ESeC (European Socio-economic Classification) als Referenz herangezogen wird.
Den Hintergrund für die in Asset Economy aufgestellte Kernthese bildet die Diskussion über die generationenübergreifenden Auswirkungen der Wohnungskrise. Die Tatsache, dass die Wohnungskrise in erster Linie jüngere Haushalte betrifft, hat den Begriff der Generation Rent in populär-wissenschaftlichen Debatten geprägt und im Bewusstsein der breiten Bevölkerung verankert. Im Gegensatz dazu konstatieren zahlreiche Soziolog*innen, dass die Wohnungsfrage nicht eine Generationenfrage ist, sondern eine Frage der sozialen Klassenunterschiede. Adkins et al. schlagen eine Synthese dieser zwei Positionen vor. Ein Teil der Argumentationslinie ist dabei in der Wohnbauforschung gut bekannt: Begünstigt durch eine Politik der Deregulierung der Finanzmärkte, der bewusst induzierten Steigerung von Immobilienpreisen bei gleichzeitigem Abflachen oder gar Absinken der Realeinkommen ist es zu einem immer stärkeren Auseinanderdriften zwischen Einkommen und Häuserpreisen gekommen.
Insbesondere in angloamerikanischen Ländern repräsentierte Immobilienbesitz bzw. dessen Wertsteigerung ein politisches Versprechen auf gesellschaftliche Teilnahme und ökonomischen Aufstieg. Mittlerweile kristallisieren sich jedoch die tatsächlichen Folgen dieser Politik heraus. Die globale Wohnungskrise hat gezeigt, dass Wohnen zunehmend zum Motor von Ungleichheit wird, anstatt integrativ zu wirken, wie das politische Versprechen gelautet hatte. Die Ungleichheit, die Adkins et al. im Buch beschreiben, ist allerdings in erster Linie die Ungleichheit im Zugang zu Immobilienbesitz und somit die Möglichkeit, von Wertzuwächsen zu profitieren. Für jüngere Generationen bedeutet dies, dass Zugang zu Immobilienbesitz zunehmend von den finanziellen Reserven der Elterngeneration abhängt und weniger vom eigenen Einkommen bestimmt wird.
In diesem Spannungsverhältnis versuchen die Autor*innen die Frage zu klären, inwiefern sich die Wohnungskrise eher anhand der Kategorie Generation oder soziale Klasse beschreiben lässt. Adkins
et al. argumentieren zwar einerseits klar, dass die Wohnungskrise die sozialen Ungleichheiten nach Klassen verstärkt hat, aber kommen andererseits auch zum Schluss, dass die Millennials (also die Generation, die seit 1981 geboren wurde) die erste Generation ist, die »die Bruchlinien der neoliberalen Fiskal- und Finanzpolitik« am Wohnungsmarkt voll zu spüren bekommt. In Kombination mit der erwähnten stärkeren Rolle der sozialen Herkunft bzw. von Erbschaften im Zugang zu Eigentum führt die Wohnungskrise auch zu einer langfristigen Verstärkung der sozialen Ungleichheiten.
Das Buch weist aber auch auf die (neoliberalen) Zusammenhänge zwischen der Ausrichtung der Wohnungspolitik, insbesondere der Forcierung des Eigentums, auf der einen Seite und der Umstrukturierung des Sozialstaats auf der anderen Seite hin. Die Ausweitung von Haus- bzw. Wohnungseigentum auf breite Bevölkerungsschichten wurde seitens der Politik als Kompensation für niedrige Einkommen und Pensionen verkauft, unberücksichtigt ob dies durch eine hohe Überschuldung vor allem von unteren Einkommen möglich gemacht wurde. Die fatalen Folgen dieser Politik sind spätestens seit der Globalen Finanzkrise 2007/08 bekannt: Überschuldung, die in vielen Fällen bis zur Zwangsräumung führte. Die ständig steigenden Immobilienpreise galten lange Zeit als Versprechen eines sozialen Aufstiegs für untere und mittlere Einkommen. Umso bitterer daher die Situation vieler jüngerer Menschen, die nicht nur einen prekären Wohnungs- und Arbeitsmarkt vorfinden, sondern dadurch auch eine schlechtere soziale Absicherung erfahren. Vor diesem Hintergrund schlagen Adkins et al. ein konkretes neues Klassenschema vor, in dem die Kategorie Immobilienbesitz zum wesentlichen Bestimmungsfaktor der sozio-ökonomischen Stellung in der Gesellschaft wird. Mieter sind demnach automatisch am unteren Ende dieser Klassenschemata angesiedelt.
Jener Fokus auf Immobilienbesitz bzw. dessen Nichtbesitz, sowohl in Bezug auf das Klassenschema als auch in der Analyse der Wohnungsmärkte ist angesichts der rasant angestiegenen Wohnungspreise in den vergangenen Jahren sicherlich ein wichtiger. Allerdings ist die empirische Evidenz, die zur Untermauerung dieser Theorie geliefert wird, recht spärlich. Dies trifft vor allem auf das detaillierte Klassenschema und dessen Ausformulierung in Gruppen und Untergruppen zu. Des Weiteren verstellt der Fokus auf Immobilienbesitz auch den Blick auf die Veränderungen im Mietsektor. Unter dem Schlagwort Generation Rent wird der Miete als Rechtsverhältnis per se eine Prekarität eingeräumt, die zwar in großen Teilen des angloamerikanischen Raums zutreffen mag, aber für Aussagen darüber hinaus doch nur begrenzt geeignet sind. Auf die Rolle von Kommunen, gemeinnützigen Bauträgern beziehungsweise genossenschaftlichen Eigentumsformen wird so gut wie gar nicht eingegangen. Obwohl also das Buch aus jener (angloamerikanischen) Perspektive heraus verstanden werden muss, sind viele der darin beschriebenen Entwicklungen auch für die Situation in Europa und auch für Österreich hochaktuell. Gerade was die Debatten der Finanzialisierung und Gentrifizierung betrifft, ist das Buch eine wichtige Ergänzung, um diese Veränderungen auch aus der Sicht der Soziologie besser zu beleuchten und darüber hinaus ein wichtiger Beitrag, um die Veränderungen am Wohnungsmarkt auch in die Klassentheorie einzubringen.
Gerald Kössl ist Soziologe und Referent beim österreichischen Verband gemeinnütziger Bauvereinigungen, wo er sich u. a. mit der Leistbarkeit von Wohnen und deren ökonomischen und gesellschaftlichen Auswirkungen beschäftigt. Er studierte Soziologie in Wien und Kopenhagen und schrieb sein Doktorat am Goldsmiths College der Universität London. Bis 2018 arbeitete er beim Englischen Dachverband für Housing Associations (National Housing Federation) in London.