Graz aus stadtökologischer Perspektive
Besprechung der Ausstellung »Habitat Graz« im Graz MuseumIm Rahmen ihres Jahresthemas Stadt Natur präsentiert das Graz Museum die Ausstellung Habitat Graz. Das Museum kontextualisiert mit seinem Jahresthema den Klimawandel und seine Anforderungen an städtische Ökosysteme und will den Multispezies-Ansatz in Ethnologie und Urbanismus dem Publikum näherbringen. Der Einleitungstext zu Habitat Graz verspricht denn auch eine prozessorientierte Sichtweise auf verändernde Stadtökologien und der Stadt als lebendigen Organismus, bei der die Ver-antwortung für die Erde als Heimat für alle und die Gerechtigkeit zwischen den Spezies adressiert wird.
Die Ausstellung ist in sieben Räumen an- geordnet, wovon drei Mitmach- und Partizipationsformaten gewidmet sind (kartographische Werkstatt, Raum der Träume, Studienkabinett), sowie die Topothek (graz.topothek.at) – als gemeinschaftlich erstellte Online-Sammlung mit dem aktuellen Sammelaufruf Stadt Natur … und du!. Die Beiträge und Exponate sind thematisch grup-piert und aus ihrer disziplinären Provenienz vielgestaltig und facettenreich. Von der »topo-graphisch-geologischen Karte der Umgebungen von Gratz« aus dem 19. Jahrhundert über rezente Medienberichte bis zu künstle-rischen Arbeiten reicht der Bogen.
Auffallend ist dabei ein Schwerpunkt auf historische Quellen – etwa die Murüberschwemmung im Jahr 1827, in deren Gefolge die technische Regulation des Flusses angegangen wurde. Eine Aktualisierung – angesichts der offensichtlichen Zunahme von Extremwetterereignissen gerade für Graz eigentlich auf der Hand liegend – unterbleibt, stattdessen vermeidet der Ausstellungstext selbstbewusste Positionierungen und wählt unbestimmte Kann-Formulierungen – etwa wenn es um die Renaturierung von Bächen und deren Beiträge auf das Mikroklima geht. An dieser Stelle wäre eine stadtökologische Positionierung der Ausstellung wohltuend – zumal das Habitat Stadt selbst für den Menschen als in absehbarer Zukunft gefährdet klassifiziert werden könnte.
Die Präsentation unterschiedlicher Stadt-ökologien umfasst neben den gängigen ›Stadtnaturen‹ des Stadtparks, des Botanischen Gartens und des Evangelischen Friedhofs auch entwertete Infrastrukturlandschaften (der Abfall-, Infrastruktur- und Industriecluster um die Puchstraße) und über-formte Industrielandschaften (ehemaliges Ziegelabbaugebiet und nunmehriges Naherholungsgebiet Eustacchio). Ein romantisierender Blick auf die Stadtnatur wird damit aufgebrochen und mit der Präsentation von künstlerischen Arbeiten (etwa Reni Hofmüller und Nicole Pruckermayer, an anderer Stelle Lois Weinberger, Andrea Acosta) für ein wissendes Publikum auch verdichtet. Wertvoll sind die eingestreuten Hinweise auf die ökologische Bedeutung dieser Stadträume, wiewohl deren Stellung und Beiträge im aktuellen urbanistischen Diskurs unerwähnt bleibt.
Die Wahrnehmung der nicht-menschlichen Akteur:innen im Habitat Graz erfolgt zum einen im bewährten Kontext des Naturschutzes, indem einzelne (bedrohte) Arten und ihre Lebensweisen vorgestellt werden (anekdotenhaft beispielsweise der Umzug eines Gänsesägers vom Stadtpark durch die Innenstadt in sein Habitat an der Mur).
Zum anderen über die Präsentation der Galerie der Stadtbewohner:innen im Rahmen einer Wunderkammer (mit Beiträgen der Environmental Performance Agency und Polonca Lovsin u. a.), sowie die Dokumentation von Schul-, Universitäts- und Projektarbeiten. Den nächsten Schritt – nach der Schärfung der (menschlichen) Sensorik und der Weiterführung als partizipatorisches Werkzeug, um die nicht-men-schlichen Agenten sichtbarer zu machen, un-ternimmt die Ausstellung nicht. So wäre etwa eine Kontextualisierung mit dem Diskurs zur Erlangung juristischer Persönlichkeit von biotischen Systemen (wie etwa das Mar Menor in Murcia, Spanien) ein konkretisierender Beitrag auch in (macht-)struktureller Hinsicht. Die Frage des Konflikts und der Gerechtigkeit wird denn auch nur in der Arbeit von Marjetica Potrč konkret thematisiert.
Die Besucherin darf sich diesen Fragen auf dem weichen Satellitenbild-Teppich von Graz mit der Lektüre von historischen und aktuellen Kartendarstellungen (z. B. der Entwicklung der Versiegelung 1986–2015), Studierendenarbeiten zu Hazard Urbanism der TU Graz und ausgewählter Literatur zum Recht der Natur widmen – die Ausstellung selbst gibt dazu Anstöße aus unterschiedlichen Richtungen. Das Habitat Graz wird mit einem anthropozentrischen und wenig systematisierenden Blick vermessen, der leider keine Aufforderungen in stadtplanerischer oder (stadt-)politischer Hinsicht formuliert. Das wäre notwendig, denn Gerechtigkeit ist ohne Konkretisierungen und Konflikte wohl nicht herzustellen.
Ergänzt wird der Jahresschwerpunkt Stadt Natur in den Erdgeschoßräumen des Graz Museums durch die Ausstellung In Grazer Gärten und Innenhöfen mit kompakten, wissenserweiternden Kurzdarstellungen der Freiraumtypen Innenhof, Vorgarten, Heimgärten und Gemeinschaftsgärten in Graz. Der Innenhof des Museums wurde aus Anlass der Ausstellung (temporär) mit erhöhten, besitzbaren Pflanzinseln des Breath Earth Collective umgestaltet, die den Wert des Innenhofs als Aufenthalts- und Anschauungsort von Stadtnaturen erhöhen.
Habitat Graz
Graz Museum
Kuratorin: Daniela Brasil
16. Mai 2024 bis 2. Februar 2025
Philipp Rode