Historische Realitäten weiblicher Urbanität
Besprechung von »Frauen in der Stadt« von Ferdinand Opll, Fritz Mayerhofer und Günther HödlGünther Hödl, Fritz Mayerhofer und Ferdinand Opll (Hg.)
Frauen in der Stadt
Linz: i.A. des Österreichischen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung, 2003
320 S., Euro 55
Wieder hat der Österreichische Arbeitskreis für Stadtgeschichtsforschung eine bereichernde Veröffentlichung herausgegeben. Darin wird die städtische Gesellschaft hinsichtlich der Position der Frauen historisch erforscht. 13 Autorinnen und Autoren analysieren in vier Themenblöcken die Position von Frauen in rechtlich-sozialer Hinsicht, in der arbeitsteiligen Gesellschaft sowie der bürgerlichen Kultur und schließlich anhand von religiös und randständisch geprägten Sonderformen weiblichen Lebens in der Stadt. Das Buch belegt die fast durchgängig männliche Sicht auf und Konstruktion von Geschichte.
Die Stellung der Frauen im Mittelalter zeigen die Ausführungen über die Teilhabe an der Stadtwirtschaft von Margret Wensky. Die »Fortschrittlichkeit« bedeutender Orte misst Wensky an der Erwerbstätigkeit von Frauen im Handel und Handwerk. Erwähnenswert sind z. B. halbamtliche und medizinische Berufe oder das Seidengewerbe. Ab dem 15. Jahrhundert begann mit der Schließung der Zünfte, verstärkter Mechanisierung (durch z. B. Webstühle) sowie der akademischen Vorbildung die Abdrängung in die Rolle als »Haus-Frau«.
Die konkrete geschlechtsspezifische Sphäre beschreibt Johannes Grabmayer in seinem
Artikel Lebenswelten von bürgerlichen Frauen. Hier wird die Frauenrolle in der Erziehung als die »nachrangige« vermittelt. Die Eheschließung als Mittel zur Schaffung von Macht war üblich. Die Kirche entmystifiziert sich selbst, denn Zeugungsunfähigkeit war »ein Grund zur Annullierung der ehelichen Verbindung«.
Interessant ist, dass jüdische Frauen nicht nur mit katholischen Geistlichen Geschäfte machten, sondern, dass ihnen auch gestattet war, sich als Mann zu verkleiden, ja sogar als Nonne. Dies schildert Martha Keil im Beitrag zur Arbeitsstellung der jüdischen Frauen des Spätmittelalters. Sie waren des Schreibens kundig, ebenso wie sie auch voll geschäftsfähig sein konnten.
Wie hingegen die Geschäftsfähigkeit im »Frauengewerbe« war, erklärt Peter Schuster. Da man 1358 »die Sünderinnen für (...) unverzichtbar« hielt, brauchte es kommunale Frauenhäuser (freilich im konträren Zweck zu den heutigen). Um die Unkeuschheit obrigkeitlich zu kanalisieren, wurden »freie Prostituierte« (...) »zwangsweise in das Stadtbordell eingewiesen, um (...) Ghettoisierung zu gewährleisten«. Schusters tiefgründiger Forschungsbeitrag kennzeichnet jedoch auch gesellschaftliche Realitäten des Spätmittelalters und zeigt, wie die deviante Lebensform »weibliche Eigenschaften« wie Schönheit, Jugend und erotische Ausstrahlung verkörpern musste.
Ausgehend von einem Bauernmädchen, das um 1260 nach Wien zog, beschreibt Peter Dinzelbacher das Beginenwesen als Laiinnenkonvent und religiöse Frauenbewegung. Bis zu 1500 autonome Frauen lebten in einer eigenen Stadt. Ein kollektives Bewusstsein über eine alternative Wohn- und Lebensform, konträr zu den zugewiesenen Rollen, ist bei den Beginen jedoch nicht nachweisbar.
Diesen mittelalterlichen »Frauen-Räumen« stellt Susanne C. Pils frühneuzeitliche gegenüber. Mit den »Tagzetteln« der Gräfin Harrach erschließt die Historikerin nicht nur das Alltagsleben, sondern zeichnet auch geografisch, öffentliche und private Räume nach. Gut recherchiert, verhelfen sie, sich die damalige sozialgeografische Segregation konkret vorzustellen. Die Stadträume adeliger Frauen scheinen im Kontrast zu denjenigen der Armen zwar gesicherter, nicht jedoch freier zu sein. »Netzwerke« wurden kaum verlassen und Pils zeigt, dass die Frauenräume der »unwirschen Leit« von Adeligen »nur unter ganz besonderen Umständen betreten wurden«.
Wie die reguläre Ausbildung für Lehrmädchen im Handwerk der Seidenverarbeitung aussah, schildert Annemarie Steidl. Der Titel »Gesellinnen« wurde zuerkannt, der Meisterstatus war ihnen jedoch verwehrt.
Vorwiegend aus dieser Berufssparte brachte Nestroy »interessante Theaterfiguren (...) auf die Bühne«, wie Walter Obermaier beleuchtet. Seine Untersuchung der zeitgeschichtlichen Dramen des Wiener Vormärz verrät, wie Geschlechterinteressen artikuliert wurden und unausgesprochene Gesellschaftskonstruktionen abbilden. Zwar lassen sich satirische Verzerrungen der Realität nicht ausschließen, doch Quellen, die das »Theater als Bordell« entschlüsseln oder gar von »Kupplerinnen die Näh- und Strickschulen gründeten um (...) Mädchen Lebemännern zuzuführen« sind bestätigt.
Die Lebenswirklichkeiten von Unterschichtfrauen um 1900 werden auch bei Wolfgang Maderthaner deutlich. Ärmlichkeit, Erbärmlichkeit und sexuelle Devianz gehörten zu den Lebensbedingungen in der Wiener Vorstadt. Die urbane Peripherie wurde Territorium »der Unkultur und damit zum ,Anderen‘ der bürgerlichen Gesellschaft erklärt.« Mit Sozialreportagen zeigt Maderthaner prägnant, wie das »Niedere der Gesellschaft (...) diskursiv ebenso exterritorialisiert« wurde, »wie die eigene Sexualität und Instinkthaftigkeit als Bestandteil des politisch Unbewussten internalisiert« war. Die Vorstadt sollte als Konglomerat aus rauchenden Schloten, Schmutz und »verwahrlosten Kindern und Prostituierten« unter sozialem Elend und Arbeitsdruck bedrohlich und dubios wirken. Es trat »zur sexuellen Projektion die Dimension potenzieller Rebellion«.
Lutz Musner beschreibt das Phänomen Metropolenwandel, Massenphobie und Misogynie. Er verdeutlicht die Eigendynamik der Moderne, die die Macht der »Bürger-Männer« infrage stellte. Dazu analysiert er den Konflikt von Intellektuellen mit der »Irritation durch die vermögenden Classen« einerseits und den »Frauenrechtlerinnen andererseits«. Die Angst vor Degeneration und dem Rückfall in den Zustand der »Vorzivilisation« als »diffuse Gegenwelt zur Vernunft« wird hierin artikuliert. Musner verdeutlicht so, wie »in der apokalyptischen Semantik« des Umgangs mit Stadtwachstum und Geschlechterdiskurs eine »Ambivalenz und Fragilität« des geschichtlich noch rezenten und »keineswegs abgesicherten Projekts des Individualismus« weiter besteht.
Auch die Raumplanerin Brigitte Jilka stellt die Frage Frauengerechte Stadt stadtgerechte Frauen?, nachdem sie die »gebaute Norm« als »historisch bedingt, männlich« darlegt und das Spielfeld zwischen weiblicher und männlicher Planung eröffnet hat. Als Leiterin des Wiener Stadtplanungsamtes hinterfragt sie die tradierte »Innenorientierung der Frau« sowie Aktivitäten zur »frauengerechten Stadt« und plädiert für eine »menschengerechte Stadt, die für alle Altersgruppen« und Geschlechter »praktisch« ist.
Günther Hödl, Fritz Mayerhofer und Ferdinand Opll (Hg.)
Frauen in der Stadt
Linz: i.A. des Österreichischen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung, 2003
320 S., Euro 55
Udo W. Häberlin studierte Stadt- und Raumplanung u. a. bei Detlef Ipsen, Ulla Terlinden und Lucius Burckhardt in Kassel. Er arbeitet bei der Stadt Wien, Abteilung Stadtplanung und -entwicklung.