Susanne Karr


Das erste Wiener Hochhaus in der Herrengasse in Wiens noblem Zentrum, das mit heutigem Blick als solches gar nicht groß ins Auge sticht, steht im Mittelpunkt einer Publikation von Iris Meder und Judith Eiblmayr, die neu im Metroverlag erschienen ist. Die Autorinnen widmen sich darin der Geschichte des Hauses und seiner BewohnerInnen. Vom historischen Hintergrund ausgehend, zeichnen sie die Entstehungsgeschichte nach, gehen auf die Debatten auf Architekturebene und in der Presse ein und stellen schließlich eine Reihe der berühmten BewohnerInnen des Hauses vor. Dazu gibt es reiches Anschauungsmaterial: Lagepläne, Architekturskizzen, alte Stadtansichten inklusive Baulücke, Interieur- und Porträtphotos der BewohnerInnen und BesucherInnen.

Zurzeit der Planung gab es in Wien jede Menge kontroversieller Diskussionen zum Thema. Nicht nur hatte Adolf Loos 1922 mit seinem aufsehenerregenden Hochhaus in Säulenform am Architekturwettbewerb der Chicago Tribune die Auseinandersetzung vorangetrieben, auch die Pläne zur zeitgenössischen Stadt von Le Corbusier und die Pläne Ludwig Mies van der Rohes für ein Hochhaus in der Berliner Friedrich­straße waren Gesprächsthema. In Berlin, Hamburg, Düsseldorf und Bochum gab es bereits Hochhäuser, 1926 wurde in Köln das mit 56 Metern höchste Hochhaus Europas fertiggestellt. Diese aktuellen Herausforderungen trafen nicht nur auf städtebauliche Debatten in Wien: Schließlich befand sich der Bauplatz mitten an einer Straße der Mächtigen, der Herrengasse, in einer historisch deutlich imperial codierten Nachbarschaft zwischen Hofburg und den Stadtpalais. Abgesehen von solchen ideellen Einwendungen gab es das reale Problem des Einfügens in ein historisches Stadtbild. Durch den Mangel an Bauflächen und die dadurch gestiegenen Grundstückspreise wich man ab 1880 zwar in die Höhe aus – allerdings waren maximal 25 Meter hohe Wohnbauten erlaubt (fünf Vollgeschoße). In den USA gab es damals bereits zehn- bis zwölfgeschoßige Gebäude.

Bis zum fertigen 15-stöckigen Projekt Wiener Hochhaus im Jahr 1931 waren noch viele Widerstände zu bewältigen. Die zahlreichen architektonischen Vorschläge zum Thema Hochhausbau werden in dem vorliegenden Band anschaulich dargestellt. Das Hochhaus selbst wird als Stadt in der Stadt nachgezeichnet: Es gab neben Wohnungen für Ledige – durchdachte Kleinstwohnungen – und Verheiratete auch Anwaltskanzleien, Arztpraxen und Geschäfte. Außerdem strahlte das hell erleuchtete Tanzlokal im „Hochkaffeehaus“ nachts in die Innenstadt. Auch heute noch gilt das Hochhaus als besondere und begehrte Adresse.


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