Susanne Karr


Eine Traumlandschaft aus Palmen, bunten Blüten, exotischen Vögeln und schneeigen Berggipfeln vor einer Autobahnbrücke. Vor dem Bühnenbild posieren junge Leute und ein Pfau. Das Phänomen einer transportablen Traumlandschaft hat Danica Dakić mit unbegleiteten jugendlichen Flüchtlingen entwickelt. El Dorado heißt das Projekt, wie das sagenhafte Goldland, und wie die dafür verwendete Tapete aus dem Kasseler Tapetenmuseum, auf der Elemente verschiedener Erdteile harmonisch in Bezug stehen.

Eine andere historische Panoramatapete, Isola Bella, ist Ausgangs- und Bildhintergrund für die gleichnamige Werkreihe. Tropisch üppige Blätter und bunte Blüten auch hier. Für das Video Isola Bella lässt die Künstlerin BewohnerInnen eines bosnischen Heimes zum Schutz geistig und körperlich behinderter Menschen auftreten. Die BewohnerInnen entwickeln gemeinsam mit ihr das, was sie darstellen wollen und suchen sich aus einem Fundus viktorianischer Masken die passende aus. Es sind papierne Halbmasken, die gleichermaßen schützen wie eine neue Identität verleihen. Danica Dakić überhöht in ihrer Arbeit das Spiel mit den Rollen. Sie lässt jene, denen Rollen zugeschrieben sind, selbst Rollen wählen und spielen. Durch diese Doppelung wird den solcherart ausdrücklich klassifizierten RollenträgerInnen das Theaterspielen ermöglicht, in dem sie einmal selbst ihre eigenen Rollen wählen. So gelangen sie in die Nähe einer Darstellung des Eigentlichen, dessen, was ihnen selbst als Ausdruck wichtig ist. Die Darbietungen reichen von Erzählungen, Pantomimen, bis zu Klavierspiel ohne direktem Handlungsablauf. Im Publikum sitzen die jeweils anderen, zu anderer Zeit selbst AkteurInnen. Ebenso maskiert, geschützt, wie mit einer anderen Identität bewaffnet. Für dieses Mal zumindest sind sie ermächtigt mit Rollen zu spielen.

Dies wäre eine ihrer künstlerischen Interpretationen einer psychologischen Begrifflichkeit. Role-making hat folgende Kurzdefinition: „Die konkrete (aktive) Ausgestaltung einer sozialen Rolle durch die Person selbst; ist vor allem dann möglich, wenn keine konkreten Erwartungen an den Inhaber einer Position gerichtet sind.“ Soweit das Online-Psychologie-Lexikon <www.psychology48.com>. Eine Rolle wird hier als etwas verstanden, das von außen festgemacht wird, nicht immer freiwillig auch von innen – vom Theater einmal abgesehen, dessen Essenz ja Rollenverteilung und -darstellung ist. Eine Zuschreibung von außen hat etwas Gewaltsames und wirkt wie eine Schubladisierung. Etwa, wenn „behinderte“ Menschen in einem Heim untergebracht sind. Oder wenn Roma und Sinti in eigens für sie gedachte Siedlungen einquartiert werden. Bereits die simple Zuordnung zu einer „Volksgruppe“ ist immer auch eine Zwangszuschreibung und drängt dem Zugeordneten eine Rolle auf. Oft ist die Folge das so genannte „Role-taking: die (passive) Übernahme einer Rolle in einer Interaktionssituation bzw. Gruppe.“

Einige Fragestellungen in der Arbeit von Danica Dakić mit dem Konzept „Rollen“ sind: Was ist Freiheit? Welche Rollen werden uns aufgedrängt? Was können wir selbst aus diesen machen? Welchen Gestaltungsspielraum gibt es? Wie werden Rollen aufgenommen und ausgearbeitet? Es geht um Ermächtigung, um eigene Inszenierung. Re-Inszenierung, genauer gesagt. In einer Serie von Tableaux vivants stellt Dakić historische Gemälde nach, auf denen typische „Zigeuner“ dargestellt waren, etwa beim Handlese­n. Oder sie stellt ProtagonistInne­n vor den Hintergrund einer romantischen Ruine, im Hintergrund das Flüchtlingslage­r Plementina. Die opulente Farbgestaltung mag als Anspielung auf die Sinnlichkeit und Direktheit jenes Lebensgefühls gedeutet werden, jedenfalls wirkt sie auch jenseits dieser mitgedachten Programmatik unmittelbar kraftvoll.

Im titelgebenden Werk Role-Taking, Role Making verwebt Dakić Fiktion, Re-Enactment und Dokumentarisches. Es geht um die Enklave Preoce, das Flüchtlingslager Plementina in Kosovo und das Roma-Theater Pralipe, das erste Roma-Theater, das bereits wieder geschlossen wurde. Unterbrochen werden die Erzählsequenzen von wissenschaftlichen Texten, vorgetragen im tief dekolletierten Carmen-Outfit: das lebendig geworden­e Klischeebild entpuppt sich freilich als Psycho­logieprofessorin. Mit ihren abstrakten Erklärungen zur Sprechakt-Theorie fügt sie dem Video eine geradezu phantastische und unglaublich ironische Meta-Ebene hinzu.

Die vielseitige Thematik des Ausdrucksvermögens ist bei Danica Dakić zentral. Sprachlosigkeit, Sprachgewalt, Zuschreibungen und die Möglichkeit der Befreiung aus Klischees werden untersucht. Erwähnt sei hierzu etwa Zid/Wall, eine fast bedrohlich anmutende Wand aus fotografierten Mündern, oder das eindringliche Autoportrait der Künstlerin mit einem normalen Mund und einem weiteren anstelle der Augen. Der Katalog beinhaltet neben zahlreichen Farbabbildungen Texte zum Gesamtwerk der Künstlerin, ein Gespräch mit ihr und ausführliche Beschreibungen der gezeigten Projekte.

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Ausstellung
Danica Dakić
Role-Taking, Role-Making
Generali Foundation, Wien
22. Jänner bis 16. Mai 2010


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