Im Zeitalter des Postfeminismus!?
Überlegungen zur Notwendigkeit einer StandortbestimmungUnter dem Label »Frauenbewegung« verbirgt sich heute eine Vielzahl an unterschiedlichen Positionen, Praktiken, Strategien und Diskurssträngen. Diese werden von einzelnen Akteurinnen, verschiedenen Frauengruppen, diversen Frauenprojekten, Netzwerken, Vereinigungen etc. lanciert und getragen. In Anbetracht der lokalen, nationalen und internationalen Verzweigungen ist deshalb die Pluralform zu wählen und von kollektiven sowie individuellen Frauenbewegungen zu sprechen. Angesichts zahlreicher Frauenbewegungen in nicht-westlichen Ländern sowie einer internationalen Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Frauengruppen lässt sich das Bild von der Neuen Frauenbewegung als einer rein westlich zentrierten, weißen und mittelschichtsorientierten Solidargemeinschaft heute nicht mehr aufrecht erhalten. Auch die Auseinandersetzungen mit Rassismus und westlichem Zentrismus innerhalb von hiesigen frauenpolitischen Szenen trägt zu einer Vervielfältigung der feministischen Perspektiven bei, wenngleich diesbezüglich noch einige Arbeit zu leisten ist.
Unter dem Label »Frauenbewegung« verbirgt sich heute eine Vielzahl an unterschiedlichen Positionen, Praktiken, Strategien und Diskurssträngen. Diese werden von einzelnen Akteurinnen, verschiedenen Frauengruppen, diversen Frauenprojekten, Netzwerken, Vereinigungen etc. lanciert und getragen. In Anbetracht der lokalen, nationalen und internationalen Verzweigungen ist deshalb die Pluralform zu wählen und von kollektiven sowie individuellen Frauenbewegungen zu sprechen. Angesichts zahlreicher Frauenbewegungen in nicht-westlichen Ländern sowie einer internationalen Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Frauengruppen lässt sich das Bild von der Neuen Frauenbewegung als einer rein westlich zentrierten, weißen und mittelschichtsorientierten Solidargemeinschaft heute nicht mehr aufrecht erhalten. Auch die Auseinandersetzungen mit Rassismus und westlichem Zentrismus innerhalb von hiesigen frauenpolitischen Szenen trägt zu einer Vervielfältigung der feministischen Perspektiven bei, wenngleich diesbezüglich noch einige Arbeit zu leisten ist.[1]
In meinen folgenden Ausführungen geht es mir jedoch nicht um eine Darstellung dieser Bewegungen, sondern um die Diskussion einiger Problemlagen, die sich heute im Zusammenhang mit der Frauen- und Lesbenbewegung im deutschsprachigen Raum stellen.
Eines der zentralen Postulate der Frauenbewegung war die Verschränkung von feministischer Theorie und Praxis. Dem »männlichen« Blick tradierter Wissenschaften sollte eine an politisch-feministischem Selbstverständnis, Autonomie, Ganzheitlichkeit und Interdisziplinarität ausgerichtete Wissensproduktion entgegengesetzt werden. Dieser Anspruch ließ sich in dieser Breite über die Jahre allerdings nicht aufrecht erhalten. Die feministisch-wissenschaftliche Theoriebildung findet heute nahezu ausschließlich in akademisch-universitären Räumen statt. Die universitäre Herkunft der Neuen Frauenbewegung bzw. vieler ihrer Protagonistinnen kam hier ebenso zum Tragen wie der zeitweise um Wissenschaftlichkeit und Methodenwahl geführte Streit. In einem zähen Kampf gelang es wenigstens an einigen Universitäten und Fachhochschulen, einzelne Lehrstühle, in seltenen Fällen ganze Studiengänge, zur interdisziplinären Frauen- und Geschlechterforschung einzurichten. Parallel hierzu wurden etliche Netzwerke und Frauenforschungszentren an Universitäten initiiert und etabliert.[2] Trotz eines weit gehenden »Rückzugs« feministischer Forschung in den universitären Elfenbeinturm kommt es in Hinblick auf die feministische Praxis dennoch zu Transferleistungen seitens des feministischen Wissenschaftsbetriebs: im Rahmen neuer und »spektakulärer« Theorieproduktionen à la Butler, die über den universitären Rahmen hinaus Verbreitung finden, und in Form von wissenschaftlichen Begleitungsforschungen sowie praxisbezogenen Forschungsprojekten.
Im Gegenzug zur akademisch-universitär verorteten Theorieproduktion wird die feministische Praxis heute vorwiegend von feministischen Frauenprojekten getragen. Die Frauenprojekte haben sich aus den autonomen Frauenzentren, den zentralen Orten der Frauenbewegung, heraus entwickelt. Hatte sich die Frauenbewegung anfänglich als radikalfeministische Protestbewegung dargestellt, die ihren politischen Widerstand und ihre Aktionen aus den Frauenzentren heraus organisierte, verschob sich der Fokus zusehends auf ein differenzfeministisch angelegtes Selbstverständnis. Die autonomen Frauenräume sollten Raum für die Freisetzung und Entfaltung unterdrückter weiblicher Subjektivität, für Selbstbestimmung, Macht- und Hierarchiefreiheit, für Solidarität unter Frauen und Bezug auf Frauen, für die Verbindung von alltäglichem Leben und politischer Arbeit, von Privatem und Öffentlichem ermöglichen. Auch die Schaffung dieser feministischen Frauenräume erfolgte nicht kampflos: Autonomie oder Institution, Staatsknete oder Kampf gegen den Staat, Widerstand oder Anpassung, Basisdemokratie oder Hierarchie sind in diesem Zusammenhang als Stichworte anzuführen. Hinzu kamen »Schwesternstreit« und Spaltprozesse, der Kampf um finanzielle Absicherung und gesellschaftliche Anerkennung der feministischen Frauen- und Lesbenprojekte. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen hat sich die Neue Frauenbewegung in den größeren Städten und Metropolen, in weit geringerem Maße auch auf dem Land, zu einer feministisch-lesbischen Frauenöffentlichkeit verräumlicht. Der Begriff der Frauenöffentlichkeit, wie ich ihn hier gebrauche, bezeichnet deshalb keine ,heimliche‘ Frauenöffentlichkeit [3], sondern eine Öffentlichkeit, die Frauen- und Lesbenpolitik zum gemeinsamen Gegenstand hat. Es entwickelte sich eine urbane Frauenprojektekultur, die sich immer weiter ausdifferenzierte. Der Verlauf dieser Entwicklung bis heute kann in drei Phasen grob gefasst werden: Entstehung und Formierung (siebziger Jahre), Etablierung und Professionalisierung (achtziger Jahre), Differenzierung und Heterogenisierung (neunziger Jahre).
Diese Frauenprojektekultur kann, um einen Überblick zu vermitteln, innerhalb von vier Raumfeldern systematisch gefasst werden. Zum einen in Projekte, die dem sozialen Feld zugeordnet werden können, wie beispielsweise Projekte, die sich auf die Themenkomplexe (sexualisierte) Gewalt, Gesundheit und Körper, Lebensweisen und -zeiten oder Alltagsleben[4] beziehen und entsprechende Angebote (u. a. Beratungen, Kriseninterventionen, Selbsthilfegruppen, soziale Einrichtungen) für Frauen offerieren. Ein anderer Teil der Frauenprojekte lässt sich im kulturellen Feld verorten, wobei sich fünf wesentliche Themenschwerpunkte erkennen lassen: Forschung und Wissenschaft[5], Medien und Vermittlung[6], Frauengeschichte[7], Neue Medien[8] und Kultur allgemein[9]. Dem politischen Feld können beispielsweise Projekte zu Migration, gegen Rassismus und Projekte, die unmittelbar Frauen(partei)politik fokussieren, zugeordnet werden.[^10] Im ökonomischen Feld findet sich eine Vielzahl an Projekten, die sich mit Aus-, Fort- und Weiterbildung, beruflicher Qualifizierung und Wiedereinstieg von Frauen oder mit Fragen zur Kapitalbildung befassen. In diesem Feld kann zudem eine nicht unerhebliche Zahl an kommerziellen Frauenbetrieben verortet werden. Die überwiegende Zahl an feministischen Frauenprojekten ist nach wie vor in gemeinnützigen Vereinen organisiert, ein kleinerer Teil in Rechtsformen wie beispielsweise GmbHs oder Genossenschaften. Auch heute noch sehen sich die meisten Projekte in der Traditionslinie der Neuen Frauenbewegung verortet. Neben den Frauenprojekten, die sich in eigenen Räumen situiert haben, lässt sich noch eine Vielzahl an temporären Veranstaltungen aller Art, an Netzwerken, Initiativen, virtuellen Projekten etc. ausmachen. Mit dieser Vielfalt trägt die Frauenprojektekultur nicht unerheblich zur städtischen Dienstleistungsökonomie, zu urbaner Kultur und Alltagsleben bei.[10] Darüber hinaus ist sie an der Fortentwicklung sozialpolitischer Inhalte sowie Angebote beteiligt und schafft nicht zuletzt auch Erwerbsarbeitsplätze.
Es überrascht deshalb nicht, dass, wie meine empirischen Untersuchungen am Beispiel von fünf bundesdeutschen Großstädten (Berlin, Hamburg, München, Frankfurt, Stuttgart) ergeben haben, die Zahl der Projekte, die dem sozialen Feld zugeordnet werden können, über die Hälfte der Frauenprojekte in diesen Städten ausmacht, auch wenn diesem Feld nicht nur rein sozial arbeitende Frauenprojekte zugeordnet sind. Dennoch lässt sich an diesem Ergebnis eine nicht unwesentliche Einflussnahme kommunaler und staatlicher Politik auf die Entwicklung der Frauenbewegung als einer gesellschaftspolitischen Bewegung ausmachen. Diese Einflussnahme erfolgt über den Hebel der Finanzierungsbeteiligung und der bevorzugten Förderung von sozial arbeitenden Projekten durch Staat und Kommunen. Das feministische Engagement und die gesellschaftliche Integration frauenbezogener Sozialarbeit werden damit zu einem »Modernisierungsfaktor« [11] patriarchal-kapitalistischer Gesellschaft.
Nichtsdestotrotz gehören allerdings finanzielle Kürzungen oder Schließungen von feministischen Frauenprojekten von Anfang an zum frauenbewegten Alltag. Aus finanzieller Not heraus müssen sich heute soziale Frauenprojekte zunehmend unter die Vormundschaft anderer, freier, kommunaler oder kirchlicher Träger begeben. Mit dem massiven Abbau des »Wohlfahrtsstaates« und der Durchsetzung einer neoliberalistischen Sozialpolitik (»New Public Management«) sehen sich insbesondere die feministischen Frauenprojekte des sozialen Sektors mit »freiem« Wettbewerb und dem Verlangen nach »Qualitätsmanagement« (z. B. Zertifizierung, Leistungsverträge mit kommunalen Finanzgebern, Produktbildung) konfrontiert. Der Spagat zwischen feministisch-politischem Anspruch und »Qualitätssicherung« d. h. Integration in die Verwaltung des staatlich-kommunalen bzw. geoutsourceten Sozialwesens, wird damit immer größer. [12] Dieser Widerspruch wird jedoch nicht nur von außen, sondern teilweise auch von den Projektefrauen selbst befördert, denn »um sich endlich ... auf der gesellschaftlich anerkannten Seite verorten zu können und ohne Widersprüche zu sein, scheint unkritisches Mitmachen und vorauseilender Gehorsam für viele die einzig richtige und auch die einzig mögliche Antwort« [13] zu sein. Angesichts der finanziellen Unsicherheiten und existenziellen Abhängigkeiten sowie der Marginalisierung, die diese Arbeit nach wie vor erfährt, ist der Wunsch nach Anerkennung allerdings verständlich. Dennoch ist es in Anbetracht der sozialpolitischen »Großwetterlage« fraglich, ob sich diese externen und internen Anpassungsleistungen langfristig in einer Sicherung der Projekte und ihrer Inhalte niederschlagen. Gerade jetzt wäre ein erneutes Zusammengehen von feministischer Wissenschaft und sozialer Praxis entscheidend. Denn die Folgen dieser »Modernisierungen« in der Sozialpolitik und in anderen frauenrelevanten Bereichen, die beispielsweise von massiven finanziellen Kürzungen der Frauenprojekte-Etats (wie in vielen Städten) oder der Streichung von Frauenforschungsprofessuren (wie z. B. in Hannover) bis hin zur Abschaffung von Gleichstellungsbeauftragten (wie in Hamburg) reichen, könnten Anlass genug sein, dass sich Wissenschaftlerinnen wieder nach außen politisch positionieren, sich Projektefrauen wieder mehr gesellschaftskritisch engagieren und sich beide Seiten erneut solidarisieren.
Ein weiterer Faktor, der die aktuelle Situation mit bestimmt, ist die Vervielfältigung der von der Frauenbewegung enttabuisierten Themen und der politischen Forderungen in andere Institutionen und Organisationen hinein. Zum einen resultieren aus der langjährigen Arbeit der Frauenbewegung einige nicht unerhebliche politische Veränderungen, die unter dem Vorzeichen der Gleichstellungspolitik durchgesetzt werden konnten. Neben einzelnen Gesetzesänderungen und -reformen (z. B. Einrichtung von Gleichstellungsbeauftragten, Gewaltschutzgesetz) stellt das auf EU-Ebene und damit auch auf nationaler Ebene gesetzlich verankerte Gender mainstreaming, die Berücksichtigung der Geschlechtergerechtigkeit auf allen Ebenen der Politik, Verwaltung und Gesellschaft, sicherlich einen vorläufigen »Höhepunkt« dar. Das Gender mainstreaming ist jedoch nicht unumstritten, da es Entpolitisierungseffekte und eine Nivellierung struktureller Geschlechterdifferenzen nach sich zieht. Auf diesem Weg mutiert dann beispielsweise, wie im Modellfall der Stadt Stuttgart, eine »Gleichstellungsstelle«, die ja bereits aus der ehemaligen Institution der Frauenbeauftragten hervorgegangen ist, zur »Stabstelle für individuelle Chancengleichheit von Frauen und Männern« – eine Formulierung, die, neben ihrem militärischen Unterton, an Uneindeutigkeit und Unverbindlichkeit wohl kaum zu überbieten ist. Als zusätzliche Schwierigkeit kommt hinzu, dass die Durchsetzung des »genderns« auf die Beteiligung häufig »unwilliger« AkteurInnen angewiesen ist.
Andere Forderungen, wie beispielsweise ein EU-weites Anti-Diskriminierungsgesetz, konnten bislang hingegen nicht durchgesetzt werden. Des Weiteren schreiben sich heute nicht wenige etablierte soziale Träger, Organisationen, Gewerkschaften, Parteien und in einigen Fällen sogar Wirtschaftsunternehmen, frauenpolitische Themen und Inhalte in ihre Agenden. Allerdings zeigt sich, dass es in vielen Fällen bei reinen Lippenbekenntnissen bleibt. Auch die bundesdeutsche Partei Bündnis 90/Die Grünen, die ja von großen Teilen der Frauenbewegung mitgetragen wurde, hat sich sukzessive von einer dezidierten Frauenzu Gunsten einer an einer vermeintlichen Mitte ausgerichteten Familienpolitik verabschiedet.
Mit der widersprüchlichen Vervielfältigung von Frauen- und Geschlechterfragen sind auch gewisse Rückkopplungseffekte auf die Frauenprojektekultur verbunden. Denn mit dieser »Mainstreamisierung« geht die Notwendigkeit einher, sich erneut, dezidierter als bislang und inhaltlich präziser, zu positionieren. Innerhalb der feministisch-lesbischen Frauenprojektekultur macht sich diesbezüglich allerdings ein gewisser Stillstand bemerkbar. Im Zuge ihrer professionellen Veralltäglichung verliert sich im Inneren vieler Frauenprojekte ein gesellschaftskritisches und subversives Moment zu Gunsten eines Trägheitsmoments der Verteidigung und des Festhaltens am Erreichten. Auch auf diesem Hintergrund sind Frauenprojekte häufig nicht mehr Austragungsorte gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen, sondern Zentren der Alltagsbewältigung und Aufarbeitung. Hinzu kommt, dass viele Frauen die etablierten Frauen- und Lesbenprojekte heute hauptsächlich als selbstverständliche Serviceeinrichtungen nutzen. Darin spiegelt sich eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung wieder, die von Individualisierungs- und Entsolidarisierungsprozessen gekennzeichnet ist und die auch die feministisch-lesbische Frauenöffentlichkeit nicht unberührt lässt. Immer mehr, vor allem allein lebende und allein erziehende, Frauen sehen sich zudem aufgrund des eigenen Existenzkampfes nicht mehr dazu in der Lage, sich in den Projekten zu engagieren.
Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, spezialisierte Diskurse, die in der akademisch-feministischen Theorieproduktion ausgebildet werden, in die Frauenprojekte zurück zu führen bzw. umgekehrt, Praxiserfahrungen in den feministischen Wissenschaftsbetrieb zu integrieren. Eine Verwissenschaftlichung, die eine Entkoppelung, Entfremdung und Re-Hierarchisierung zwischen feministischer Theorie und Praxis nach sich zieht, ist kritisch zu sehen. Nicht wenige Projektefrauen müssen beispielsweise schmerzlich feststellen, dass ihre Formen der Theoriebildung und ihre entlang der Praxis erarbeiteten Erkenntnisproduktionen von den Wissenschaftlerinnen unberücksichtigt bleiben bzw. den normativen Grundsätzen der jeweiligen wissenschaftlichen Disziplinen unterworfen werden.
Auf der Seite der feministischen Öffentlichkeit in den Frauenprojekten wiederum hat beispielsweise der Transfer der so genannten Dekonstruktions-Debatte stellenweise, so scheint es zumindest, eher zur Verwirrung als zur Klärung beigetragen. Vielen bewegten Frauen/Lesben ist zwar mittlerweile der Unterschied zwischen sex und gender ebenso bewusst geworden wie die vielfältigen Unterschiede zwischen Frauen. Dennoch beharren viele Frauen/Lesben auf einer Beibehaltung biologisch begründeter Exklusionskriterien, um eine vermeintliche Geschlechterhomogenität in Frauen- und Lesbenräumen weiterhin aufrecht zu erhalten. Diese Exklusion kann in einigen Fällen berechtigt sein, wenn es um den unmittelbaren Schutz traumatisierter Frauen geht. Doch diese Funktion haben längst nicht alle Frauen- und Lesbenprojekte. Vielen Frauen/Lesben fällt es nach wie vor schwer, ihre Räume für Transgenderpersonen zu öffnen. Und dies, obgleich sich Transgenderpersonen sehr wohl innerhalb von feministisch-lesbischer Politik und in einem solchen Selbstverständnis verorten. Mit der Exklusion entlang biologischer Bestimmung wird so die Chance auf eine Auseinandersetzung mit geschlechterkonnotierten Normen und Zuschreibungen vertan, die »für alle einen größeren Gestaltungsspielraum und vielfältige Begehrensstrukturen« [14] verspricht.
Viel versprechend sind deshalb Öffnungen von Frauen-/Lesbenräumen für Transgenderpersonen, wie sie beispielsweise im Rahmen des Lesbenfrühlingstreffens in München 2003 oder im Rahmen von Ladyfesten erfolgten. [15] In Hinblick auf eine Fortschreibung von Politikformen und Diskussionszusammenhängen ist allerdings weiterhin ein Unterschied zwischen den bewegten Zusammenhängen in Metropolen und denen in kleineren Städten zu beobachten.[16] Entscheidend ist hier sicherlich, inwieweit sich ein feministisch-lesbisches-transgender-anti-rassistisches Profil nach innen und außen, in der Theorie und in der Praxis des Umgangs, durchsetzt und beibehalten werden kann.
Die Frage geschlechterhomogener Schließung versus Öffnung steht hier jedoch auch stellvertretend für die Frage, in welche Richtungen sich die Frauenprojekte weiter entwickeln wollen. »Feminismus heute« ist eine komplexe Angelegenheit geworden und erfordert mehr inhaltliche Auseinandersetzung als zu Zeiten von Parolen wie »Frauen gemeinsam sind stark«. Frau oder/und lesbisch sein genügt heute nicht mehr, um damit von vorn herein eine selbstverständliche Legitimierung gesellschaftspolitischen und sozialen Handelns zu begründen. Mit diesem identitätspolitischen Problem sieht sich auch die Schwulenbewegung konfrontiert, die sich größtenteils zu einer Fun-Verpartnerungs-Community entwickelt hat und nicht mehr so recht weiß, worin ihre politischen Inhalte und Ziele eigentlich noch bestehen. Da haben wir es im Zeitalter des Postfeminismus noch leichter, denn feministisch-lesbische Positionen und Politiken sind heute weit gestreut. Sie reichen von reiner Gleichstellungspolitik, differenzfeministischen Identitätspolitiken über »Affidamento« [17] bis hin zu dekonstruktivistischen Verwerfungen und Zurückweisungen jeglicher Art von Geschlechterzuschreibungen. Angesichts dieser Vielfalt ist es allerdings kein Wunder, dass Schwierigkeiten in der Vermittlung dieser unterschiedlichen Ansätze auftreten.
Bei dieser zu begrüßenden Vervielfältigung auf der einen Seite droht jedoch auch der Verlust der Vermittlung und des Austauschs auf der anderen Seite. Außerhalb zielgruppenspezifischer und alltagsorientierter Arbeit in den Frauenprojekten oder professionsorientierter Gemeinschaften gibt es heute kaum noch übergeordnete Räume, in denen sich die unterschiedlichen Positionen tatsächlich begegnen und sich mit einander auseinandersetzen. Deren Vermittlung, so hat es zumindest den Anschein, wird, wie das Beispiel des Streits um die Kopftuchverbote in Deutschland zeigt, heute von Organen wie der TAZ gesteuert.
Und doch stellt dies nur eine Schwierigkeit dar. Die Vervielfältigung feministischer Politik beinhaltet, so ist es jedenfalls in letzter Zeit zu beobachten, auch einen Zugriff von unerwarteter Seite. Um es überspitzt zu formulieren: Feministische Politik wird zu einem Selbstbedienungsladen, aus dem sich verschiedene von ultrakonservativen bis hin zu sich liberal-linkspolitisch gebende Kreise strategische Schützenhilfe holen und sich argumentativ bedienen. So werden neuerdings mit Hilfe von gleichstellungs- und frauenpolitischen Argumenten militärische Feldzüge in Afghanistan und im Irak mitgerechtfertigt oder eben Simplifizierungen innerhalb der Diskussionen um Kopftuchverbote weiter befördert. Auch aus diesem Grund scheint es mir notwendig, kritische Diskussionen und den gegenseitigen Austausch in feministisch-queeren Räumen erneut zu forcieren. Es mag deshalb ein nostalgischer Rückgriff auf längst vergangene Zeiten sein, an dieser Stelle an große Kongresse oder an die Berliner Frauensommeruniversitäten zu erinnern, die als offene Plattformen politischer Diskussion fungierten. Doch vielleicht gelingt es uns ja, nicht nur Veranstaltungen wie die »Ladyfeste« mit Fokus auf »feministische, queere Transgenderkultur« und politischem Anspruch, sondern Plattformen mit kulturellem Anspruch und Fokus auf feministische, queere Transgenderpolitik zu schaffen. Oder sollte da etwa kein Unterschied bestehen?
Fußnoten
vgl. Beitrag von Jo Schmeiser und Gabriele Marth in diesem Heft. ↩︎
Im Übrigen nicht nur im deutschsprachigen, europäischen oder US-amerikanischen Raum, sondern durchaus auch in Kontinenten wie Afrika, wie z. B. das African Gender Institute an der Universität von Cape Town. ↩︎
Elisabeth Klaus: »Von der heimlichen Öffentlichkeit der Frauen«, in: Institut für Sozialforschung (Hg.): Geschlechterverhältnisse und Politik, Frankfurt a. M. 1994, S. 72-100. ↩︎
beispielsweise Projekte zu Sport, Freizeit, Technik. ↩︎
u. a. Frauenakademien, Archive, Frauenforschungsinstitute. ↩︎
u. a. Frauenzeitschriften, Frauenverlage, Frauenradio, Frauen- und Lesbenarchive, Bibliotheken. ↩︎
u. a. Frauengeschichtsgruppen, Frauenstadtführungen, Frauenmuseen. ↩︎
u. a. Frauencomputerschulen, Frauentechnikzentren, Webproviderinnen, Frauenetzwerke. ↩︎
u. a. Frauenkulturzentren, Frauenstadtteilzentren, Frauengalerien, Frauenmusikzentren, Frauenliteraturgruppen, Kunstprojekte, Frauenbil dungszentren, Kulturnetzwerke. [ ^10]: Diese Zuordnung bedeutet jedoch nicht, dass die anderen Felder bzw. Projekte nicht politisch wären. ↩︎
vgl. Yvonne P. (2003): Urbane Praktiken. Strategien und Raumproduktionen feministischer Frauenöffentlichkeit, Münster 2003. ↩︎
Antje Hagel, Antje Schuhmann: »Aufstieg und Fall der Frauenbewegung«, in: Cornelia Eichorn, Sabine Grimm (Hgg.): Gender Killer. Texte zu Feminismus und Politik, Berlin/Amsterdam 1994, S. 74. ↩︎
Für die fachlichen Hinweise danke ich an dieser Stelle der Sozialarbeiterin und Psychotherapeutin Marlene Reißle. ↩︎
Eva Hack: »Die Einrichtungen und Projekte der FrauenLesbenbewegung im Zeitalter der Globalisierung«, unter: http:/www.attac.de/feministattac/eh-iso.php ↩︎
Josch Hoenes: »Identitäten in Frauenräumen«, in: an.schläge, November 2003, S. 24. ↩︎
»Das Lesbenfrühlingstreffen sollte für alle sein, die sich als integralen Bestandteil des Kontinuums lesbischen Begehrens und lesbischer Lebensfacetten verstehen. Dazu gehören auch transidente Lesben und Transgender, die sich mit lesbischen Inhalten identifizieren. Die Teilnahme am LFT sollte nicht an biologistischen Merkmalen festgemacht werden oder daran, wie (mit welcher geschlechtlichen Zuordnung) jemand aufgewachsen ist (Stichwort: Selbstdefinition).« (Zitat aus der Selbstdarstellung) unter: www.lesbenfruehling.de ↩︎
So wurde diese Öffnung für das Lesben- FrühlingsTreffen 2004, das in Mittelhessen stattfindet, bereits wieder zurückgenommen. Im Selbstverständnis heißt es: »Wir erkennen unterschiedliche Identitäten (Lebensentwürfe, Selbst definitionen) an. Das ist nicht gleich bedeutend damit, das LesbenFrühlingsTreffen für alle Identitäten zu öffnen. Es gibt welche von uns, die ein LFT für als Frauen geborene und sozialisierte Frauen veranstalten wollen. Es gibt welche, die ein offeneres LFT wollen. Jedenfalls gibt es Fragen und Widersprüche bei den Themen Transgender/Transsexualität, denen wir uns bewusst zuwenden wollen. Auch die scheinbar selbstverständliche Entwicklung der LFTs in den letzten Jahren möchten wir gern kritisch reflektieren. Wir wollen den Unterschiedlichkeiten Rechnung tragen, indem wir ermöglichen, Workshops mit konkreten Einladungen zu kennzeichnen.« Vgl. http://www.lesbenfruehling.de/mittelhessen2004/html ↩︎
Der »Affidamento«-Ansatz wurde von Mailänder Feministinnen (vgl. Libreria della donne di Milano: Wie weibliche Freiheit entsteht, Berlin 2001, Wiederauflage) bzw. den »Diotima«-Philosophinnen (http://www.diotimafilosofe.it) entwickelt. Gleichheit und Differenz schließen sich hier nicht aus, Differenz bezeichnet hier vor allem das Verhältnis von Frauen zur Welt und die schwesterliche Anerkennung der Unterschiede zwischen Frauen. ↩︎
Yvonne P. Doderer