Imagined City
Besprechung von »Die vorgestellte Stadt. Globale Büroarchitektur, Stadtmarketing und politischer Wandel in Wien« von Monika GrubbauerMonika Grubbauers Die vorgestellte Stadt, in der Urban Studies-Reihe des Transcript-Verlages erschienen, beschäftigt sich damit, wie das für die Öffentlichkeit konstruierte Bild der Stadt Wien durch Architektur mitbestimmt wird, und zwar im Speziellen durch Bürohochhäuser, die in Wien seit den frühen 1990er Jahren zum zentralen Thema des Stadtplanungsdiskurses wurden. Dabei geht es nicht so sehr um architektonische Formen, die etwa für ein konservativeres oder progressiveres Image stünden, sondern eher um den Bautypus und seine Eigenschaften, die auf eine spezifische Art und Weise für die Stadt in den Köpfen, die vorgestellte Stadt stehen. Grubbauer bezieht sich damit auf den Begriff des Imaginären, speziell der imagined economies bei Bob Jessop, der wiederum seine Referenz wohl bei Benedict Anderson (imagined communities) fand. Jessop bezeichnet damit jene Repräsentation der realen Ökonomie, die diese überschaubar und damit managebar macht: Also ein Bild, eine Imagination der Wirklichkeit, die von dieser mitbestimmt ist, aber auch auf spezifische Art stark vereinfacht und somit verändert, was real vorhanden ist.
Ebenso will Grubbauers vorgestellte Stadt zeigen, wie gesellschaftliche Produktion von Bedeutungen die Ökonomie, in diesem Falle eine Stadtökonomie, mitbestimmt. Sie geht von Theorien sozialer Raumproduktion aus, die sich zum Großteil auf
Henri Lefebvre zurückführen lassen, und verknüpft diese mit Architektur – sie stellt dabei jedoch nicht eine semiotische Ebene in den Mittelpunkt, die Formen des Gebäudes als Zeichen interpretiert, sondern versteht vielmehr den Gebäudetypus selbst als Bedeutungsträger: Für sie ist der Typus ein mehrdimensionales gesellschaftliches Produkt, dessen Definition sich auf funktionale, räumliche und formale Aspekte zurückführen lässt, also sowohl auf Materialisiertes als auch auf Immaterielles. Der Gebäudetypus im Sinne einer architektonischen Materialisierung, die überall hin transferiert werden kann, ist somit nicht determinierend: Derselbe vielleicht sogar globale Typus kann an verschiedenen Orten durchaus von lokalen Bedeutungen radikal verändert werden. Grubbauer stellt jedoch fest, dass das weniger für den Typus Bürohochhaus gilt – dieser ist ohne größere Veränderungen transferierbar, was in unserem Fall von großer Bedeutung ist: Schließlich geht es beim Einsatz dieses Typus für das vorgestellte Wien um das Heraufbeschwören von Globalität.
Wien befand sich nach 1989 durch den Fall des Eisernen Vorhangs in einer neuen räumlichen Position und versuchte sich in Folge, in den Mittelpunkt Europas gerückt, als Verknüpfung von West und – nunmehr wieder interessant – Ost darzustellen, als Ost-West-Drehscheibe und Headquarters-Zentrum. Wien habe multiple Identitäten, schreibt Grubbauer, und neben dem historischen Kaiserreich-Wien (Barock und Gründerzeit) und dem Roten Wien der 1920er Jahre versteht sich Wien schon lange auch als internationale Stadt, zuletzt aufbauend auf Österreichs Neutralität in den 1960er und 1970er Jahren, als Institutionen wie die OPEC und die UNO nach Wien geholt wurden. Doch nunmehr war nicht nur das räumliche Umfeld verändert, sondern es hatte mittlerweile auch ein Strukturwandel stattgefunden, der Dienstleistungen zur Basis der städtischen Ökonomie werden ließ und neue Formen der Governance mit sich brachte.
Die wichtigste These entfaltet sich anhand einer Text- und Bildanalyse (wissenssoziologische Diskursanalyse, Analyse visueller Kommunikation nach Kress/van Leeuwen) von Produkten der Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Wien und stadtnaher Organisationen. In den Texten, die der Analyse zugrunde liegen, identifiziert Grubbauer drei handlungsleitende Motive: Wien im Herzen Europas, Stadtumbau und Internationalisierung, wobei letzteres das zentrale ist, das sowohl ökonomisch als auch baulich verstanden wird. Diese Internationalisierung der Stadt wird in der lokalen imagined economy durch Bürohochhäuser verkörpert, die als repräsentative Unternehmenssitze gelten und für die Steuerungs- und Kontrollfunktion der Global Cities stehen – das heißt auch, dass sie Symbol für Homogenisierungsprozesse ökonomischer und kultureller Globalisierung sind. Besonders wirkungsvoll sind Bürohochhäuser im Wiener Kontext, weil sie als Gegenbild zum historischen Stadtbild präsentiert werden. Bilder dieser Gebäude werden einerseits dekontextualisiert, um zu zeigen, dass sie auch anderswo, sozusagen in anderen Weltstädten, stehen könnten; und sie werden andererseits kontextualisiert, das heißt in Beziehung gesetzt zu historischen Monumenten, zu Grün- und Landschaftsräumen und Wasserflächen sowie zu Szenen aus Alltag und Freizeit, womit der Beitrag dieser Bauten zur Qualität des Stadtraums impliziert wird. Allerdings gibt es in Wien bisher nur wenige Bauten, die halbwegs authentisch die neue Architektur der Wissensgesellschaft symbolisieren können – nach der Errichtung der neuen Wirtschaftsuniversität durch StararchitektInnen wie Zaha Hadid, Peter Cook und Carme Pinós wird sich das wohl ändern. Doch
diese Tatsache ist nur eine von vielen Inkohärenzen, die in der städtischen Bildpolitik erkennbar sind. Grubbauers Publikation, die aus ihrer Dissertation entstanden ist, zeigt beispielhaft, wie kritische Theorie, Analyse von Stadtentwicklungspolitik und von Repräsentationsweisen zusammenwirken können: Politik und ihre Inkohärenzen sind nicht verborgen, sie sind in der Öffentlichkeitsarbeit deutlich ablesbar, so man sich die Mühe macht, diese zu untersuchen.
Robert Temel ist Architektur- und Stadtforscher in Wien.