Instant City - Metropolen des flüchtigen Augenblicks
Besprechung von »CENTRUM. Jahrbuch Architektur und Stadt 2000-2001« herausgegeben von Carl Steckeweh, Peter Neitzke und Reinhard WustlichPeter Neitzke, Carl Steckeweh, Reinhard Wustlich (Hg.)
CENTRUM - Jahrbuch Architektur und Stadt 2000-2001
Basel 2000
236 Seiten (Großformat)
ATS 497.-
Centrum, das Jahrbuch Architektur und Stadt, bietet in seiner aktuellen Ausgabe 2000/2001 einen breiten Überblick zum aktuellen Stadtdiskurs, der unter dem Titel Instant City 1 + 2 zusammengefasst wird. Instant City 1 umfasst Berichte, Interviews und Kommentare zum Strukturwandel in den Metropolen New York City, Rotterdam, Hamburg, Berlin, Frankfurt am Main, Sydney, Melbourne. Instant City Teil 2 bietet Aufsätze und Reportagen zu Stadtsurrogaten und symbolischen Räumen: New Urbanism, Event Cities und Entertainment-Industrie. Darüber hinaus werden reihenweise Projekte und Bauten vorgestellt.
Als Instant City bezeichnen die Herausgeber Peter Neitzke, Carl Steckeweh und Reinhart Wustlich dabei ein »Stadtkonzentrat, in Kältekammern geschockt, von kulturellen Aromen und sozialen Reizstoffen befreit, entwässert, gemahlen, im Vakuum gehalten«. Im Mittelpunkt der (fast) durchwegs kritischen Beiträge stehen die Vermarktung der Städte, die Selbstauslieferung an die Entertainment-Industrie, die Kolonisierung des öffentlichen Raums, der Verzicht auf Maßstäbe, Legitimation und Urteilskraft wie sie von Times Square über Potsdamer Platz in den Metropolen zum städteplanerischen Alltag werden.
Peter Neitzke nimmt in seinem Artikel »Explosionskammern mit Bühnenanschluss oder `Wo am rechten Platz nichts liegt, da ist alles in Ordnung‘« Bezug auf Zygmunt Baumanns »Moderne und Ambivalenz« und klagt den Versuch, die städtische Vielfalt als Ordnungsstörung zu begreifen, an. »Das Leben in der Stadt soll rund um die Uhr dynamisch und profitabel sein – zugleich allerdings, denn sicher soll es schon sein, weniger ambivalent, weniger gegensätzlich, mit einem Wort: kontrolliert komplex«. Wenn Konzerne von Vielfalt sprechen, geht es ihnen ausschließlich darum, Produkte auf vielen Märkten zu Geld zu machen, vor den Ambivalenzen und Widersprüchen der Stadt fürchten sich die Markstrategen. Peter Neitzke erweist sich trotz aller Bemühungen und Milliardeninvestitionen der weltweiten Entertainment-Konzerne als Optimist und glaubt, dass »eine lebendige Stadt jeden Versuch, ihr Bild wie ihr soziales Leben an den Repräsentationsgewohnheiten der Marktgesellschaftsgewinner zu orientieren und sich den Renditeerwartungen und Verwertungsinteressen von Investoren zu unterwerfen« vereiteln wird. Dabei verweist er auf Beobachtungen von Klaus Ronneberger, der feststellt, dass Marginalisierte mit ihrer Präsenz die vorherrschenden Imagestrategien, Plätze und Straßen ausschließlich zu »Visitenkarten der Stadt« zu machen, unterlaufen. Ronnebergers Beitrag in Centrum 2000/2001 wiederholt noch einmal seine bereits in »Die Stadt als Beute« (siehe Interview und Besprechung in dérive Nr. 1) formulierte Kritik an der Erlebnisstadt. Wie immer warnt er aber auch vor einer kulturpessimistische Kritik an der »McDonaldisierung« der heutigen Städte, die gleichzeitig die gute, alte, europäische Stadt kritiklos verklärt. Peter Tautfest zeigt in seinem essayistische Beitrag am Beispiel Washington, wie sich die Charakteristika von Suburbia, Downtown und Innercities in den letzten Jahren umgekehrt haben: »Während Suburbia die Versatzstücke von Stadt simuliert, ziehen Malls aus Suburbia in die Downtowns.«
Im Vergleich zu den vielen kritischen Artikeln und Interviews über die aktuellen Stadtentwicklungen, die ich bisher in Centrum gelesen habe (alle, muss ich gestehen, habe ich noch nicht geschafft), fällt das Interview mit dem Soziologen Harald Bodenschatz ein wenig aus dem Rahmen. Dieser kann dem New Urbanism überraschenderweise doch den einen oder anderen positiven Aspekt abgewinnen und sieht das Projekt als positive Entwicklung im Vergleich zu den Gated Communities. Wie niedrig die Ansprüche dabei sind, verwundert einigermaßen. Erkenntnisreich ist zumindest etwas über die Diskussionen im Umfeld der New Urbanism Bewegung zu erfahren, auch wenn es einen höchstens den Kopf schütteln lässt. Das ändert aber nichts daran, dass ich auf die noch nicht gelesenen Beiträge sehr neugierig bin und mich auf die Lektüre freue.
Peter Neitzke, Carl Steckeweh, Reinhard Wustlich (Hg.)
CENTRUM - Jahrbuch Architektur und Stadt 2000-2001
Basel 2000
236 Seiten (Großformat)
ATS 497.-
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.