Irrationale Ängste ernst nehmen?
Interview mit Claudia Prinz von der Leitstelle für frauen- und alltagsgerechtes Bauen und PlanenMit Claudia Prinz von der Leitstelle für »alltags- und frauengerechtes Planen und Bauen« sprachen wir über die Projekte der Leitstelle im Allgemeinen und speziell über »Angsträume« und Sicherheit.
dérive: An welchen Projekten arbeiten sie zur Zeit und was haben sie konkret mit der Gürtelsanierung zu tun?
Prinz: Was die Gürtelsanierung betrifft, sind wir derzeit in Arbeitsgruppen des Strategieplans für Wien. Es gibt eine Arbeitsgruppe Öffentlicher Raum, da bin ich dabei und eine Arbeitsgruppe, die sich mit Gegebenheiten der baulichen Umwelt beschäftigt. Diese Arbeitsgruppen haben jetzt erst begonnen und sollen die bisherigen Aktivitäten ein wenig weiterführen und ein Gesamtkonzept entwickeln, wie das in Zukunft ausschauen kann. Mit der Gürtelsanierung an sich haben wir im Detail nichts zu tun. Was aber eine ganz ähnliche Themenstellung war wie derzeit am Gürtel, was den öffentlichen Raum betrifft, so ein Projekt haben wir derzeit am Schöpfwerk laufen. Das läuft seit ungefähr einem Jahr und hat sich daraus entwickelt, dass dort eine Befragung der MieterInnen stattgefunden hat, was die Wohnzufriedenheit betrifft und ein Thema war die Sicherheit.
dérive: Haben Sie die Befragung in Auftrag gegeben?
Prinz: Nein, die Befragung ist über das Projekt Teamtrans gelaufen. Wir haben dann mit der MA 24 Kontakt aufgenommen, die vor Ort eine MieterInnenanlaufstelle hat. Wir haben uns dann gefragt, was wir machen können. Die Idee war einen Zugangsbereich zum Wohnhaus, der derzeit von den SchöpfwerkbewohnerInnen noch als Durchgang benutzt wird. Der zweite Bereich war eine Ladenpassage, die leider etwas verplant ist. Die Geschäfte sind nach innen orientiert, die Passage ist relativ nieder und wirkt sehr düster. Die Beleuchtung ist ungenügend. Frau Tillner hat zu diesen beiden Bereichen eine Analyse gemacht, die dann die Ausgangssituation war, sich zu überlegen, was man machen kann. Da wurden alle Möglichkeiten durchgesprochen, von Absperren, über Sicherheitssysteme und eben auch die Beleuchtung. Der Konsens war dann, nicht abzusperren, weil das das problematische Klima, das dort in Teilbereichen eh schon vorhanden ist, wohl noch weiter verschlechtert hätte, sondern eine möglichst helle, übersichtliche, freundliche Atmosphäre zu schaffen, die mehr Sicherheitsgefühl und dadurch eine stärkere Identifizierung mit dem eigenen Wohnort produziert. Frau Tillner hat mit der Firma Bartenbach, die international einen sehr guten Ruf hat, ein Beleuchtungs- und Gestaltungskonzept entwickelt. Die Säulenhalle im Eingangsbereich soll aufgehellt und die Durchgangszone betont werden. Das Licht und die Farben haben auch eine Leitfunktion. Tageslicht soll in den sehr niederen Raum geleitet werden. Das Beleuchtungsniveau muss prinzipiell verbessert werden. Es gab gemeinsame Gespräche mit den MieterInnen und dem Kriminalpolizeilichen Beratungsdienst, bei denen es sehr positive Reaktionen auf das Konzept - nicht alles zusperren, Identifizierung mit der Umgebung, Erhöhung des persönlichen Sicherheitsgefühls durch mehr Licht und freundlichere Gestaltung - gab. Positive Erfahrungen mit dem Lichtkonzept haben auch die Wiener Linien mit ihren City-Light-Haltestellen gemacht. Der Vandalismus ist zurückgegangen, es gibt kaum Zerstörungen.
dérive: Hat es eine ähnliche Analyse auch beim Gürtelprojekt gegeben?
Prinz: Eine Befragung gab es glaube ich nicht. Im Detail kann ich dazu aber nichts sagen.
dérive: Macht es für Sie vom Konzept her einen Unterschied, ob es sich bei ihren Projekten um eine Wohnungsanlage wie das Schöpfwerk oder z.B. ein Parkprojekt handelt?
Prinz: Beim Schöpfwerk waren die Rahmenbedingungen speziell interessant, weil allgemein bekannt war, dass es um die Wohnzufriedenheit nicht gut bestellt ist. Wenn man da Maßnahmen setzt, kann man sehen, ob sich was bessert: Geht der Vandalismus zurück? Sind die Leute zufriedener? Ich denke, man sollte diese Konzepte überall anwenden. Es gibt eine Begutachtung im Sinne dieser Kriterien von eingereichten Wohnbauprojekten durch uns, die wir dann zumindest kommentieren. Wir können nicht sagen, das geht nicht, die kriegen jetzt keine Förderungen, aber unsere Kritik wird in die Entscheidung mit einbezogen.
dérive: Bei Wohnbauprojekten wie dem Schöpfwerk haben Sie den Vorteil, dass Sie die BewohnerInnen, die ja fast die Gesamtmenge der BenutzerInnen darstellen, befragen können, bei Park- oder Platzgestaltungen oder bei der Gürtelsanierung tun Sie sich da sicher schwerer, weil die Menge der von den Maßnahmen Betroffenen nicht so leicht eruierbar ist?
Prinz: Bei Parkgestaltungen machen wir einen Zielfindungs-Worksphop, wo auch die Parktbetreuung, die Drogenberatung? der Polizei mit einbezogen ist, die vor Ort ins Geschehen involviert sind. Wir gehen aber nicht direkt zu den Jugendlichen oder den AnwohnerInnen und fragen: Was stellt ihr euch vor, was wollt ihr? Das ist auch eine zeitliche Frage, es geht sich einfach nicht aus. Wir haben aber versucht, so weit als möglich diese Aspekte miteinzubeziehen.
dérive: Ist für sie der Sicherheitsaspekt im allgemeinen das Wichtigste?
Prinz: Beim Schöpfwerk war er sicher ein Schwerpunkt. Man kann nicht sagen, die Sicherheit steigt - das Wohnsicherheitsgefühl steigt. Da muss man ein wenig differenzieren, weil es passiert ja kaum jemanden ein körperlicher Schaden. Aber die Atmosphäre ändert sich und der Vandalismus geht zurück. Bei den Parkgestaltungen ist es ein Punkt, aber sicher nicht der Schwerpunkt. Da geht es eher darum, den Mädchen die gleichen Chancen einzuräumen. Das ist derzeit so, dass Studien vom Frauenbüro durchgeführt wurden, wo festgestellt wurde, dass die Verteilung Mädchen:Burschen in den Parks ungefähr 1:5 ist, das gilt für ein Alter ab 12. Wir sehen uns an, wie man da auch räumlich gegensteuern kann. Es ist klar, dass das nur eine Komponente sein kann, es muss auch der soziale Raum dafür entstehen. Da gab es schon viele gute Ideen bei den Siegerbüros der durchgeführten Wettbewerbe, die ganz spannend sind. Auf engstem Raum soll für mehrere Gruppen gleichzeitig Raum, Bewegungsraum vorhanden sein. Ein Beispiel ist ein Ballspielkäfig, wo es nicht nur eine sondern zwei Spielzonen und zusätzlich eine erhöhte Randzone gibt. Es gibt auch nicht nur einen Zugang, durch eine Tür, sondern manche Teile bleiben offen, was die Durchgängigkeit fördert. Es gibt auch ein überdachtes Podest, das eine Trennfunktion hat, aber auch eine sichere Warte bietet, von der aus man die Spielfelder beobachten kann. Gruppen, die zurückhaltender sind und sich nicht auf große Flächen trauen, die kann man durch solche Maßnahmen langsam hinlocken. Man muss auch das Beschäftigungsinteresse von Mädchen, z.B. bei der Spielgeräteauswahl, bei den Bodenmarkierungen speziell berücksichtigen.
dérive: Gibt es eine regelmäßige Zusammenarbeit mit dem Kriminalpolizeilichen Beratungsdienst?
Prinz: Nein, die gab es nur beim Schöpfwerkprojekt. Bei den Parks fragen wir nur die PolizistInnen, die für die Gegend zuständig sind.
dérive: Wie erfolgt die Projektauswahl? Wählen Sie Gebiete aus, die für Probleme bekannt sind, oder nehmen sie z.B. irgendeinen Park her, der dann als Modell für andere Parks steht?
Prinz: Es ist ein strategisches Projekt, zumindest in einem Park pro Bezirk Maßnahmen durchzuführen. Für den Anfang haben wir uns dicht bebautes Gebiet ausgewählt, so gesehen war der 5. Bezirk, den wir ausgewählt haben, ideal. Zusätzlich standen sowieso beide Parks für eine Sanierung an und wir haben uns dann einfach eingeklinkt. Es war zwar nicht viel, aber doch etwas Geld für die Gestaltung,und wir haben gesagt, wir würden dieses Thema gerne einbringen und erklären uns bereit, den Mehraufwand zu tragen und die Organisation zu übernehmen. Es ist illusorisch zu glauben, wir könnten uns bestimmte Flächen einfach aussuchen, weil es dafür einfach kein Geld gibt. Die Idee ist, dass wir bei Objekten mitmachen, die sowieso zur Umplanung oder Veränderung anstehen, und uns ansehen, was wir unter den gegebenen Umständen machen können, wie wir unsere Vorstellungen umsetzen können. Das ist auch bei der Straßengestaltung z.B. so. Wir sprechen Gruppen, die normalerweise in Mitbestimmungsprozessen nicht berücksichtigt sind, Kinder, Jugendliche und gelegentlich auch Frauen, gezielt an, und bieten ihnen dann die Gelegenheit, sich dort in kleineren Gruppen zu artikulieren. Langfristig soll es natürlich so sein, dass wir nicht immer einzelne Projekte haben, sondern wir wollen schon Strategien entwickeln. Von uns erarbeitete Kriterien sollten dann den Ausführenden bestimmter Projekte zur Verfügung gestellt werden. Wir wollen unsere Ideen einfach weitergeben.
dérive: Ein Problem könnte ja sein, dass, wenn sie jetzt so eine Art Troubleshooterfunktion haben, sie bei ihren Lösungsvorschlägen immer nur von den »Problemfällen« ausgehen und diese für »normale« Projekte gar nicht umsetzbar sind.
Prinz: So weit sind wir noch gar nicht. Die Projekte, auf die man sich beziehen könnte, laufen erst. Wir werden erst sehen, ob sie sich bewähren und als Vorbild dienen können. Wenn unsere Projekte erfolgreich sind, haben wir natürlich für die Zukunft ein schlagendes Argument. Unser Büro gibt es ja erst seit zwei Jahren und da ist vieles erst im Anlaufen.
dérive: In Broschüren wie z.B. »Wem gehört der öffentliche Raum - Frauenalltag in der Stadt«, die vor ein paar Jahren von Eva Kail (Anm. Eva Kail ist die derzeit karenzierte Chefin der Leitstelle) herausgegeben wurde, ist oft von Angst- bzw. sicheren Räumen die Rede. Auch beim Gürtelsanierungskonzept von Tillner ist immer wieder davon die Rede. Wie definieren sie »Angstraum«?
Prinz: Ich würde die Definition einmal von den tatsächlichen Verbrechen die passieren abkoppeln. Angstraum ist einfach ein bestimmter Raum, in dem manche Gruppen, und dazu gehören durchaus auch Männer, sich aus nicht erklärlichen Gruppen fürchten. Weil keine Übersichtlichkeit gegeben ist, weil keine Einsichtbarkeit gegeben ist, weil man nicht genau weiß, wo kann man durchgehen, wo kann man hingehen, steht da jemand dahinter. Die Einsichtbarkeit und Transparenz ist nicht gegeben.
dérive: Hat es für sie eine Bedeutung, ob diese Ängste irrational oder begründet sind?
Prinz: Ich denke, es hat insofern eigentlich nicht soviel Bedeutung, weil die Ängste konkrete Auswirkungen haben. Wenn eine Frau sagt, sie traut sich an einer bestimmten Stelle nicht mehr vorbeigehen, dann ist das eine konkrete Auswirkung auf das Verhalten dieser Frau oder anderer Gruppen. Insofern ist es nicht so wichtig, ob dort jetzt schon einmal was passiert ist oder nicht. Was wir auf räumlicher Ebene tun können ist diese Barrieren wegzuschaffen und so den Bewegungsraum für die betroffenen Gruppen wieder zu erhöhen.
dérive: Glauben Sie nicht, dass es momentan ein Problem ist, dass dieser Sicherheitsaspekt ideologisch sehr ausgenützt wird, z.B. was das Thema Migration betrifft? Mit der Angst der Leute wird doch sehr gerne Politik gemacht. Ist es nicht falsch, diese irrationalen Ängste so ernst zu nehmen, und den Leuten, indem man mit der Lösung nur an einer Seite ansetzt, entgegenzukommen, anstatt ihnen die Irrationalität vor Augen zu führen?
Prinz: Ich glaube, dass es durchaus wichtig ist, Frauen zu sagen, seid selbstbewusst, macht Selbstverteidigungskurse, um Selbstbewusstsein auszustrahlen. Andererseits soll man denen, die durch ihre Erziehung, Sozialisation etc. so ängstlich und wenig selbstbewusst sind, auch den Weg ebnen. Ich habe kürzlich mit einer Kindergärtnerin gesprochen, die mir gesagt hat, dass sie mädchengerechte Parkgestaltung ganz falsch findet, weil sie im Kindergarten darauf schauen, dass sich die Mädchen genauso mit z.B. Fußballspielen beschäftigen wie die Buben, und das funktioniert ganz toll. Ich sag dann, wunderbar, vielleicht haben wir in zehn oder zwanzig Jahren das Problem nicht mehr, das würde mich freuen. Aber jetzt haben wir konkret das Problem, dass sich die Mädchen, die jetzt draußen sind, eben nicht trauen, und wie kann man die motivieren. Es geht darum, nicht abzuwarten, sondern zu schauen, was kann ich in meinem Bereich für die tun. Wir arbeiten auch mit der Parkbetreuung zusammen, da gibt es auch einen Workshop, um diesen Übergang von der Gestaltung zur Betreuung zu schaffen. Das ist aber erst die nächste Ebene.
dérive: Wie stehen Sie zu einer Kritik von z.B. Franziska Roller, die sagt, dass »dem Ansinnen, `sichere Räume´ zu schaffen, die Annahme zugrunde (liegt), es gäbe genau abgrenzbare gefährliche Personengruppen, die den sozialen Frieden störten und deren Schlupfwinkel zerstört werden müssten. Sexuelle Gewalttäter werden in eins gesetzt mit allen, die sich in der Stadt aufhalten, ohne sich durch Einkaufen oder geschäftig schnellen Schritt zu legitimieren, seien es Jugendliche, Arbeitslose, Obdachlose oder Migranten. So wird das eigentliche Problem der strukturellen sexistischen Gewalt aus dem Zentrum der Gesellschaft ausgelagert und marginalisierten Gruppen zugeschoben. Stadtplanung, die Frauen ein größeres Sicherheitsgefühl geben will, ist zumeist auch eine Planung, die die Aufenthaltsbereiche von gesellschaftlichen Außenseitern beschränken oder ganz abschaffen will, dafür setzen sich Geschäftsleute und Kaufhauskonzerne ein. Sie schreiben die Sicherheit einkaufender Frauen auf ihre Fahnen, gemeint ist jedoch eine Umstrukturierung des Stadtraums, die alle Nutzungsweisen jenseits von Konsum und Profitmaximierung verdrängen will.«
Prinz: Ich finde das schon ein bisschen zu weit gegriffen. Es geht jetzt nicht darum, die Straßen ständig taghell zu beleuchten und die Parks immer und überall übersichtlich gestaltet und alle Büsche weggibt. Wenn es z.B. einen großen Park gibt, soll es die Wahlmöglichkeit geben. Es soll durchaus für Leute, die das wollen, unübersichtliche, dunkle Teile geben, die die Möglichkeit bieten, dort zu philosophieren oder zu vegetieren, aber es soll auch einen Hauptweg geben, der gut einsehbar ist, der gut ausgeleuchtet ist, wo man durch den Park durch kann, wenn es z.B. am anderen Ende eine U-Bahn-Station gibt. Dadurch sollen jetzt aber nicht alle, ich weiß nicht, in die Keller verdrängt werden. Es soll einfach die Wahlmöglichkeit da sein.
dérive: Aber gerade am Gürtel ist es doch jetzt so, dass alles ausgeleuchtet ist und alle Büsche weg sind. Leute, für die die uneinsichtigen Stellen so etwas wie ein Rückzugsgebiet bilden, die ihnen zumindest ein wenig Schutz vor der Öffentlichkeit bieten, werden dadurch schon verdrängt.
Prinz: Ich weiß nicht genau, wie es angelegt wird. Ja, sicher, es wir heller, das stimmt schon zu einem gewissen Grad. Aber ich denke nicht, dass sich durch die Belebung der Gürtelbögen eher mehr tut und nicht verdrängt wird. Ich weiß auch nicht, wie stark dieser uneinsichtige Raum wirklich genutzt wurde.
dérive: Wäre es nicht besser gewesen, z.B. was den Bereich der Prostitution betrifft, offensiver vorzugehen und Prostituierten Beratung in mobilen Einheiten vor Ort anzubieten, anstatt einfach passiv abzuwarten was nach der Neugestaltung passiert. Das Frauenbüro hätte ein Zweigstelle errichten können.
Prinz: Da kann ich nichts dazu sagen, weil wir ja nicht direkt im Frauenbüro angesiedelt sind. Was es für Versuche gegeben hat, soziale Einrichtungen anzusiedeln, kann ich nicht genau sagen. Verschiedene soziale Einrichtungen und Vereine sollten angesiedelt werden, aber das hat dann auch oft aus vereinsorganisatorischen Gründen nicht funktioniert. Im Prinzip wäre es aber sicher gescheit, nicht einfach abzuwarten, was mit den Gruppen passiert.
dérive: Danke für das Gespräch
Prinz: Danke auch
Ein Auszug wurde im Heft abgedruckt
Axel Laimer
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.
Claudia Prinz