Kollaborative Selbstermächtigung für städtisches Handeln
Besprechung von »metroZones – Schule für städtisches Handeln, Schoolbook« herausgegeben von Petra Barz, Anne Huffschmid, Kathrin WildnerPetra Barz, Anne Huffschmid, Kathrin Wildner (Hg.)
metroZones - Schule für städtisches Handeln, Schoolbook
Hamburg: Sprung Verlag, 2017
130 Seiten, 8 Euro
Beim Titel Schoolbook fragt man sich zunächst, was damit wohl unterrichtet wird. Der Verweis auf die Schule für städtisches Handeln lässt ahnen, dass hier etwas Neues ausprobiert wird, denn von einem Schulfach für städtisches Handeln war bisher noch in keiner Bildungsdiskussion die Rede. Tatsächlich handelt es sich weder um eine staatliche Institution noch um eine feste Einrichtung, sondern um ein temporäres Lern- und Vermittlungsformat, bei dem über den Zeitraum von zwei Jahren in zwei Städten kollektives Lernen getestet wurde. Die Initiatoren, das Berliner Zentrum für Städtische Angelegenheiten metroZones und der Hamburger Bildungsträger dock europe, konzipierten dieses Pilotprojekt mit der Intention, das von ihnen erarbeitete Wissen über Stadt, urbane Konflikte und aktivistische Methoden einem weiteren InteressentInnenkreis zugänglich zu machen.
Indem sowohl die Struktur der Schule als auch ihre Inhalte und Methoden nicht nur durch die Lehrenden sondern auch durch die Lernenden (mit-)gestaltet wurden, übernahmen alle Beteiligten einen Teil der Verantwortung für diesen kollaborativen Lernraum. Es bildeten sich zwei parallel arbeitende Schulklassen mit je etwa 20 Teilnehmenden, die sich in den Jahren 2015 und 2016 regelmäßig an verschiedenen außer-akademischen Lernorten in Hamburg und Berlin trafen und austauschten. Das erklärte Ziel war es, durch eine alltagsbezogene Auseinandersetzung zu aktuellen urbanen Themen die Teilhabe von BewohnerInnen an gesellschaftlichen und politischen Prozessen ihrer Stadt zu fördern.
Das Schoolbook ist eine Collage dieser vielfältigen Inhalte und Erfahrungen, die durch klare grafische Gestaltung leicht erschließbar wird: Jedes Kapitel beginnt mit einer kurzen Zusammenfassung, danach folgen Texte von Gästen und TeilnehmerInnen, Gesprächstranskripte, Diskussionsfragmente, Glossare. Sogenannte graphic recordings, eine Art künstlerische Mitschrift der Workshops, begleiten die Themenfelder. Sie erfassen die Atmosphäre des Vorläufigen und Experimentellen und des undogmatischen Austausches und begegnen somit der Gefahr der Erstarrung, welche jedes Schulbuch mit sich bringt. Die Zeichnung als Methode der künstlerischen Dokumentation eröffnet die Möglichkeit, Inhalte und Prozesse jenseits von Sprache sichtbar machen. Nach einer kurzen Einleitung zu den Settings, den Jahresthemen und einer kritischen Reflexion der Praxis des Schule machen(s) und der Perspektive eines Teilnehmers folgen neun thematische Kapitel, in denen jeweils Inhalte und Methoden dargestellt werden. Das Curriculum wird nicht als gegeben, sondern als etwas noch zu Entwickelndes, als Teil der Wissensproduktion gesehen. Dabei wird die Funktion der Schule als Ort der Begegnung eben so gewürdigt, wie ihre Bedeutung als geschützter Experimentierraum für Methoden der Stadtforschung zwischen Ethnografie und Partizipation.
Die beiden Jahresthemen, die einerseits von (Stadt-)Rand als strategischer Zone und andererseits von Konnektivität und Teilhabe handelten, werden durchkreuzt von Beispielen urbaner Praxis wie hacking urban space oder Nachbarschaftsarchiven und von Strategien wie Kartierung, Übersetzung und offline-Netzwerken. Anlässlich der Mehrsprachigkeit der internationalen städtischen Gemeinschaft, als auch der TeilnehmerInnen der Schule selber, wurden Positionen zur Solidarität innerhalb von Übersetzungsprozessen erarbeitet und Bedingungen für eine strukturell offenere mehrsprachige Gesellschaft formuliert. Grundlegende Aussagen zu Algorithmen und Commons wurden zusammengestellt und Hypothesen zu ihrer politischen Wirkung diskutiert. Im Rahmen von Stadterkundungen wurden kommunikative und digitale Praktiken der Vernetzung mit dem sozialen Raum der Stadt verknüpft oder anhand von Bild- und Soundarbeit beim Vermessen des Raums über den (Stadt-)Rand als strategische Zone oder Freiraum nachgedacht.
Die AutorInnen des Buches führen vielfältige Disziplinen zusammen, allen gemeinsam ist ihr Interesse an urbanen Diskursen und Praxen und somit auch ein gewisses Insiderwissen zur Politisierung städtischer Verhältnisse. Es werden urbane Praxen beschrieben und untersucht wie urbanes Wissen entsteht. Dieses Buch gibt keine Antworten, sondern dokumentiert vielfältige Lernerfahrung aus einem geschützten Experimentierraum. Es dient als eine Art Werkzeugkoffer, mit dem im Sinne einer kollaborativen Selbstermächtigung jenseits von Institutionen weitergearbeitet werden kann.
Auf der Webseite findet man ein Expanded Schoolbook mit akustischen Aufzeichnungen der Vorträge, Film-ausschnitten, Videos mit ZeichnerInnen sowie weiterführenden Links:
https://schoolbook.metrozones.info.
Antje Lehn ist Architektin und lehrt an der Akademie der bildenden Künste Wien. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich mit der Stadt als Wissensraum, der Raumwahrnehmung von jungen Menschen, emanzipatorischen Lernräumen und partizipativen Kartierungsmethoden.