» Texte / Kreativpolitik und städtisches Regierungshandeln

Klaus Ronneberger

Klaus Ronneberger, Stadtsoziologe, Schwerpunkt Stadt- und Raumplanung, Frankfurt


In den letzten Jahren ist eine Reihe von Studien und Büchern über kreative Städte veröffentlicht worden, die man grundsätzlich in zwei ideologische Lager unterteilen kann: Zum einen gibt es eine breit gestreu­te Ratgeberliteratur, die der Kreativität im Zeitalter der wissensintensiven Ökonomie eine strategische Bedeutung beimisst. Demnach erfordert es der globale Standortwettbewerb, dass städtische Administrationen alles daran setzen müssen, diesen Rohstoff durch unkonventionelle Anregungs- und Aktivierungsmaßnahmen in Wert zu setzen. Die governance von Kreativität wird zu einem wichtigen Planungsparadigma postuliert. Als bekanntester Vertreter dieser Richtung gilt der Wirtschaftswissenschaftler Richard Florida, der sich mit Publikationen wie Cities and the Creative Class (2005) weltweit als Politikberater profilieren konnte. Zum anderen gibt es polit-ökonomische Ansätze, die die Vermarktung von urbaner Kreativität heftig kritisieren. Für sie arbeitet das »Kreativitätsskript« (Jamie Peck) unternehmerisch orientierten Stadtentwicklungskonzepten zu. Aus dieser Sicht betrachtet ist Kreativität ein neues und zugleich charmantes Element der neoliberalen Restrukturierungspolitik.
Die Humangeographin Iris Dzudzek, die an der Goethe-Universität Frankfurt lehrt, steht mit ihrer Studie quer zu diesen beiden Positionen. In der gegenwärtigen Debatte über städtische Kreativität erscheinen ihr drei Aspekte als unterbelichtet: Erstens fehle eine Analyse, welche die vorherrschenden Kreativitätsstrategien im Kontext veränderter Regierungsformen verhandle. Während Befürworter und Befürworterinnen einer governance-Politik weitgehend jegliche Reflexionen über mögliche Machteffekte bisher ausblendeten, setzten polit-ökonomische Kritiker und Kritikerinnen das Kreativitätsskript deterministisch eins zu eins mit einer Neoliberalisierung städtischer Räume gleich, ohne bestimmte Kontingenzen zu berücksichtigen. Zweitens sei beiden Ansätzen gemein, dass sie Kreativität als anthropologische Grundkonstante auffassen würden, die es entweder zu ökonomisieren oder als verwertungsfreien Bereich gegen marktförmige Zugriffe zu schützen gelte. Doch die Idee einer creatio ex nihilo erweise sich als Rückgriff auf den Künstlermythos des 19. Jahrhunderts, der den gesellschaftlichen Prozess der Hervorbringung künstlerischer Aktivitäten verschleiere. Drittens werde die »Performativität« des Kreativitätsskripts nicht hinreichend behandelt. Viele Kreativitätsprogramme hätten bei der Realisierung zu unvorhersehbaren Effekten geführt, die sich nicht aus den ursprünglichen Zielen ableiten ließen. Insofern bedürfe es einer Forschungsperspektive, die die unterschiedlichen und auch widersprüchlichen Artikulationsformen des Skripts in Politik, Verwaltung, Ökonomie und Zivilgesellschaft herausarbeite. Der Autorin geht es nicht nur um die Frage, in welcher Weise die Umsetzung des Kreativitätsskripts in die neoliberale Kreativpolitik gelingt (oder nicht), sondern sie versucht auch Möglichkeiten der politischen Umkehrung seiner programmatischen Logik auszuloten.
Zu Recht hebt Iris Dzudzek hervor, dass es bislang keine Studie über die städtische Kreativpolitik gibt, die mit gouvernementalitätstheoretischen Ansätzen arbeitet. Dieses Defizit aufgreifend versucht die Humangeographin am Beispiel von Frankfurt am Main die Funktionsweise und die Wirkung von Kreativpolitik aus dieser Perspektive zu untersuchen. Für sie sind dabei folgende Fragestellungen von zentraler Bedeutung: Wie artikuliert Politik Probleme der Gegenwart? Wie werden diese dann in Wissens- und Regierungssysteme überführt und damit bearbeitbar gemacht? Wie verhalten sich neue »Rationalitäten des Regierens« zu bereits bestehenden Problemlösungsmechanismen? Ihr zufolge bedarf die Steigerung der Innovationsleistung von Städten einer Vielzahl von governance-Instrumenten, um Kreativität einer ökonomischen Verwertung zuzuführen, also beispielsweise neue Förderprogramme, Beratungsangebote und Sichtbarkeitsstrategien. Die Autorin verhandelt governance nicht als einen neutralen Steuerungsmodus, sondern als Produkt von Diskursen und Politiken: Kreativpolitik stelle ein komplexes Zusammenspiel von Programmen, Technologien und Praktiken dar, die auch Gegenstand von Kritik, Intervention und Veränderung werden könnten.
Theoretisch stützt sich Dzudzek bei ihrer Arbeit vor allem auf den »späten« Foucault, dessen Reflexionen um das »Regierungshandeln« kreisten. Vormals hatte der französische Philosoph Macht in Begriffen wie Kampf, Krieg und Eroberung analysiert, doch nun untersuchte er Machtbeziehungen unter dem Blickwinkel von »Führung«. Im Gegensatz zu seinen früheren Arbeiten unterschied Foucault jetzt deutlich zwischen Herrschaft und Macht. Regieren war für ihn nicht dasselbe wie kommandieren oder befehlen, sondern etwas sehr Spezifisches, das er historisch vom christlichen Pastorat herleitete. Wie der Schäfer die Herde führt, für sie sorgt und sie in diesem Sinne regiert, etablierte sich mit dem aufkommenden Absolutismus die moderne Regierungspraxis als eine »Kunst der Führung« der Individuen, verstanden als Teil einer statistisch beschreibbaren Bevölkerung. Mit dem Begriff Gouvernementalität, der semantisch Regieren (gouverner) und Denkweise (mentalité) miteinander verbindet , entwickelte der Philosoph ein wichtiges Analyseinstrument für die verschiedenen Macht-Wissens-Komplexe. Foucault zeichnete ein Bild von Macht, wo Staatlichkeit nicht nur einfach als ein Resultat von Kämpfen, sondern auch als Ausdruck der Notwendigkeit der Steuerung komplexer Gesellschaften erscheint. Die moderne Gouvernementalität stelle eine Machtform dar, die, so Foucault, »nur durch die Freiheit und auf die Freiheit eines jeden sich stützend sich vollziehen kann«.
Im Zentrum seiner Überlegungen steht die Frage nach dem Verhältnis von Praktiken und Rationalitäten. Es geht ihm dabei nicht um eine Konfrontation von idealem Regierungsprogramm und kruder Wirklichkeit. Der Philosoph will vielmehr herausfinden, welcher Typ von Rationalität jeweils zum Einsatz kommt. Bei der Differenz zwischen Programmzielen und tatsächlichen Effekten handelt es sich ihm zufolge um unterschiedliche Realitäten und heterogene Strategien, die miteinander konfligieren und sich zugleich verschränken. Foucault bestimmt Rationalitäten als Teil einer Realität, die gerade durch das Scheitern von Programmen gekennzeichnet ist. Damit eröffnet sich auch ein anderer Blick auf Konflikte und Widerstände: Brüche finden nicht nur bei der Umsetzung und Implementierung eines Programms statt, sondern sind von vornherein dessen inhärenter Bestandteil. Genau diese Perspektive macht sich Iris Dzudzek bei ihrer Analyse von Kreativpolitik zu eigen.
Darüber hinaus nimmt die Autorin eine diskurstheoretische Erweiterung des Gouvernementalitätskonzeptes vor. Sie stützt sich u.a. auf die Thesen von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, die Hegemonie als eine »vorherrschende diskursive Formation« und »das Ergebnis einer Artikulation« definieren. Kreativität kann unverbundene Forderungen wie den Ausbau zukunftsträchtiger High-Tech-Branchen ebenso meinen wie etwa die Etablierung eines KulturCampus für künstlerische Aktivitäten. Diskurse sind gerade dann hegemonial, wenn es ihnen gelingt als Identifikationsfläche für ganz unterschiedliche, ja widersprüchliche Forderungen und Inhalte zu dienen. Allerdings sind die Elemente einer hegemonialen diskursiven Formation nicht willkürlich angeordnet. In der differentiellen Artikulation von Identifizierung und Gegenidentifizierung realisiert sich die Hegemonie des herrschenden Diskurses durch interne Limitierung/Verschiebung der Grenzen des Sag- und Unsagbaren (z. B. grundsätzliche Kapitalismuskritik), des Möglichen und Unmöglichen (»dafür ist kein Geld da!«).
Im empirischen Teil ihrer Studie versucht Dzudzek den Umsetzungsprozess kreativpolitischer Maßnahmen in Frankfurt mit Hilfe von Datenerhebungen, teilnehmender Beobachtung, zahlreichen Interviews und aufwendiger Quellenrecherche nachzuvollziehen. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass – im Gegensatz etwa zu Berlin oder Hamburg – die Artikulation von kreativpolitischen mit unternehmerischen Rationalitäten zum common sense der Frankfurter Kommunalpolitik und des lokalen Verwaltungshandelns gehört. Aufkommende Protestbewegungen, die sich gegen die vorherrschende neoliberale Kreativ- und Kulturpolitik wandten und Freiräume für nicht-kommerzielle Aktivitäten einklagten, wurden entweder marginalisiert oder im Rahmen von planerischen Partizipationsstrategien eingehegt.
Angesichts dieser Bilanz fragt sich Iris Dzudzek, ob sich ihr wissenschaftlicher Aufwand wirklich gelohnt habe, da doch die Studie die völlige Gleichsetzung von Kreativpolitik und Neoliberalisierung städtischer Räume zu bestätigen scheine. Doch sie verweist auf die vielfältigen Übersetzungsleistungen und Bruchpunkte, wie das Kreativitätsskript in Wissenschaftsberichten, medialen Diskursen, Amtsstuben und Stadtverordnetenversammlungen jeweils artikuliert und verarbeitet wird. Dabei konstatiert sie etliche Formen des »Scheiterns«: So das Nichtzustandekommen einer umfassenden Imagekampagne, die die Metropole Frankfurt als kreative Stadt bewerben sollte, oder den Widerstand von KulturproduzentInnen auf die Funktion von UnternehmerInnen reduziert zu werden. Auch bei Begrifflichkeiten wie »fördern« oder »unterstützen« macht die Autorin innerhalb der lokalen Kreativpolitik erhebliche ideologisch-konzeptive Differenzen aus.
Für Leser und Leserinnen, die mit poststrukturalistischen Theoremen nicht vertraut sind, dürfte die Lektüre des Buches mitunter anstrengend sein. Gleichwohl arbeitet die Studie präzise heraus, dass sich das kreativpolitische Skript in einem »Möglichkeitsfeld« befindet, welches »einen Bruch mit dem Kontext vielleicht nicht wahrscheinlich, aber dennoch prinzipiell möglich macht.« (S. 272). Auch das Projekt des Neoliberalismus folgt weder einem Sachzwang noch einer natürlichen Entwicklung.


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