Elke Rauth

Elke Rauth ist Obfrau von dérive - Verein für Stadtforschung und Leiterin von urbanize! Int. Festival für urbane Erkundungen.


Ganz Niederösterreich ein Freiluftmuseum. Seit rund 30 Jahren arbeitet Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich gemeinsam mit einer Vielzahl an engagierten Gemeinden, ihren Bürger:innen und Bürgermeister:innen an der künstlerischen Durchdringung des ländlichen Raums. Wo jeder noch so kleine Ort ein Kriegerdenkmal besitzt und sich nach wie vor wenig Nachdenken darüber regt, warum der Soldaten, nicht aber der Vertriebenen, Verschleppten und Ermordeten gedacht wird, ist es keine Selbstverständlichkeit, dass die Entstehung zeitgenössischer Kunst in den Gemeinden mit Interesse und Neugier begrüßt wird. Denn der Impuls für die überwiegende Anzahl der Kunstwerke im öffentlichen Raum kommt aus den Gemeinden selbst. Sie sind es, die aktiv Anliegen und Themen einbringen, die dem wechselnden Gutacher:innen-Gremium als Grundlage für die geladenen künstlerischen Wettbewerbe dienen. Durch diese enge Zusammenarbeit wird es möglich, dass auch kontroverse oder als irritierend empfundene künstlerische Arbeiten verwirklicht werden, an denen sich Debatten entspinnen und Themen verhandelt werden können. So verfügt KÖR Niederösterreich mittlerweile über ein beeindruckendes Portfolio von über 650 ausgesuchten und avancierten künstlerischen Positionen. Vermittelt und kontextualisiert werden sie mit Führungen wie der Landpartie, dem in den letzten Jahren neu konzipierten, mobilen Programm Inventour, dem Kinder-Kunstguide Kunst für Alle, mit Workshops, Festen, Radtouren und vielem mehr – immer mit dem Ziel, breit und generationenübergreifend für Kunst zu begeistern.
        Kein Wunder also, dass die – der Archivierung ebenso wie der Vermittlung dienende – Publikationsreihe Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich bereits bei Band 14 angelangt ist. Er umfasst die Tätigkeiten und Projekte der Jahre 2020–2022 und bildet damit eine besondere Zeitspanne ab, haben die Corona-Jahre unsere Gesellschaft doch deutlich geprägt und auch zu einer Neubewertung des öffentlichen wie des ländlichen Raumes geführt. Nicht nur, dass der komplette Lockdown und die damit einhergehende Schließung aller Kultureinrichtungen die Kunst im öffentlichen Raum nicht betraf; Spaziergänge durch den öffentliche Raum, durch Landschaften und Orte ermöglichten für viele auch das Angehen gegen die Ängste und Unsicherheiten der Pandemie und führten dazu, dass »der öffentliche Außenraum für den sozialen Austausch als auch für die Auseinandersetzung und die Rezeption von kulturellen Angeboten eine zentrale Bedeutung erhielt«, wie Katrina Petter, die Leiterin von KÖR Niederösterreich, in ihrem Vorwort schreibt. Auch der Kurator und Kulturtheoretiker Martin Fritz zeichnet im Beitrag Geöffnet im Lockdown seine persönlichen Erfahrungen mit der coronabedingten Verschränkung von digitalem und öffentlichen Raum nach, seine »schnell entstandenen Routinen«, bei denen »die Kulturtechniken des Spazierens, des Websurfens, des Wanderns, des Reisens und des Recherchierens« ineinander flossen. Anton Lederer, Leiter des Kunstraums <rotor> in Graz und amtierendes KÖR-Gremiumsmitglied, bezieht sich mit seinem Beitrag Wir müssen präsent bleiben auf den speziellen »Zwischenzustand«, auf den KÖR Niederösterreich u. a. mit dem Projekt keep in contact reagierte, das 20 Private Views von Künstler:innen und Theoretiker:innen auf bestehende künstlerische Arbeiten präsentierte und so den öffentlichen Raum mit dem digitalen Raum verband, erfuhr doch auch Letzterer eine massive Aufwertung.
        Das Team von KÖR Niederösterreich nutzte diese Zeit, um den Webauftritt neu zu gestalten und das umfassende Archiv so aufzubereiten, dass es eine Einladung zur Entdeckung der auf ganz Niederösterreich verteilten künstlerischen Arbeiten ausspricht: 650 Projekte, davon 523 Einträge auf einer digitalen Landkarte, sind hier versammelt und können auf vielfältige Weise durchforstet werden. Speziell die Landkarte ist ein echter Gewinn für die Entdeckung vor Ort: Ein Klick auf »In meiner Nähe« zeigt mittels GPS sämtliche Arbeiten im Umkreis an und ermöglicht so spontane Kunsterlebnisse unterwegs.
        In schönster Weise analog versammelt dazu der 14. KÖR-Band auf 348 Seiten über 60 Arbeiten, ergänzt durch die Dokumentation der umfassenden Vermittlungstätigkeiten. Darunter das wunderbare, partizipative Projekt Herzlich Willkommen von Kateřina Šedá für das Pflege- und Betreuungszentrum Hainfeld, Flaka Halitis feministische Skulptur Manufactured for the Purpose of Fainting (After Screaming) im Schlosspark Grafenegg oder Florian Pumhösls reduziertes wie eindrückliches Mahnmal in Lunz am See. Die fordernde Aufgabe der Bewahrung von Kunst im öffentlichen Raum wird mit der Restaurierung und Wiederaufstellung von Franz Wests Skulptur Warum ist etwas und nicht nichts (1997) in Stronsdorf dokumentiert. Alle künstlerischen Arbeiten im Band sind mit lebendigen Fotografien und (Kon-)Texten in deutscher und englischer Sprache versehen, die Lust auf Entdeckung wecken. Hier wird auf allen Kanälen zur Kunstreise geladen – beim Sofa-Surfen ebenso wie im öffentlichen Raum.


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