Elisabeth Haid


Welche Rolle können künstlerische Praktiken im urbanen Kontext einnehmen? Welche Bedeutung kommt ihnen im Kontext einer verstärkt investorenorientierten (Stadt-)Planung, vor dem Hintergrund von Deindustrialisierung, Deregulierung und Privatisierung zu? Das künstlerisch-wissenschaftliche Forschungsprojekt Planning Unplanned – Towards a New Positioning of Art in the Context of Urban Development, das die Künstlerin Barbara Holub von 2010 bis 2013 am Institut für Kunst und Gestaltung der TU Wien leitete, spürt diesen und weiteren Fragestellungen, welche die Rolle von künstlerischen Praktiken im Kontext urbaner Entwicklung ausloten, nach.
Letzten Sommer erschien nun – nach Abschluss des Projektes – die von Barbara Holub und Christine Hohenbüchler herausgegebene Publikation Planning Unplanned. Darf Kunst eine Funktion haben? Towards a new function of art in society, die das Projekt gleichsam dokumentiert, erweitert und dabei immer wieder neue Fragen aufwirft. Holub beschreibt Planning Unplanned als »Versuch, Diskurse und Praktiken so zusammenzubringen, dass ein konkretes ›learning from‹ der sich immer noch fremden Disziplinen und der verschiedenen an Stadtentwicklung und ›urban issues‹ beteiligten Expertisen erfolgen kann. Ein Auftakt, die Schere zwischen Theorie und Praxis zu überwinden, ein offenes Feld, das kontinuierlich angereichert werden soll und Konflikten einen Raum einräumt.«
Eingeteilt in die Kapitel Planning Unplanned, Exploring the New Role of the Urban Practitioner, Tools and Strategies, Collaboration, Cooperation, Participation, Urban Practitioners and Commons und After the Applause versammelt die Publikation unterschiedliche Positionen von AkteurInnen aus den Feldern von Kunst, Architektur, Stadtplanung, Politik und Soziologie. Am Beginn stehen Textbeiträge, in denen Barbara Holub den Begriff des Urban Practitioners und dessen Implikationen beleuchtet und die Frage nach der Rolle bzw. Funktion von Kunst stellt. Sie gibt einen bewusst fragmentarischen Einblick in gegenwärtige Herausforderungen auf dem Feld der Stadtentwicklung und zeigt mögliche Ansätze für Strategien auf, diesen zu begegnen. Einen wichtigen Ansatzpunkt bilden dabei – wie auch im gesamten Forschungsprojekt – ihre eigene künstlerische Praxis und die Erfahrungen aus Arbeiten und Projekten, die im Rahmen von transparadiso, einer gemeinsam mit dem Stadtplaner und Architekten Paul Rajakovics 1999 gegründeten transdiszi-plinär ausgerichteten Plattform, entstanden sind. Sie geht zudem auf den Versuch ein, im Rahmen der Forschungsarbeit mit dem neuen Wiener Stadtteil Aspern Seestadt ein konkretes Projekt schon in der Planungsphase zu begleiten und mitzuverfolgen.
Einen wesentlichen Bestandteil der Publikation bilden die Beiträge des im Rahmen des Forschungsprojektes im November 2012 abgehaltenen Symposiums Planning Unplanned. Towards a New Role of the Urban Practitioner. Statements zu gezielten Fragestellungen von TeilnehmerInnen des Symposiums geben einen Einblick in die Arbeit verschiedener AkteurInnen in Österreich, insbesondere in Wien. Die Ergebnisse und Überlegungen der im Rahmen des Symposiums mit geladenen TeilnehmerInnen stattfindenden Workshops finden ebenso Eingang in die Publikation wie ausgewählte Vorträge.
Markus Ambach etwa, Künstler, Kurator und Initiator zahlreicher Kunstprojekte, stellt mit B1/A40. Die Schönheit der großen Straße ein Projekt vor, das sich langfristig mit dem Stadtraum zwischen Duisburg und Dortmund entlang der zentralen Verkehrsachse des Ruhrgebietes, der A40, auseinandersetzt. Er betont die Bedeutung kontextspezifischer Projektstrukturen und plädiert für künstlerische Autonomie, die »freies Handeln in besetzten Räumen« ermöglicht.
Der Künstler, Kurator und Theoretiker Mick Wilson weist auf die komplexe, meist im Kunstkontext geführte Debatte um künstlerische Praktiken im urbanen Raum hin: Er thematisiert den Vorwurf der Instrumentalisierung für neoliberale Interessen und die harsche Kritik, mit der sich insbesondere KünstlerInnen konfrontiert sehen, und die sich auch in der Beschreibung ihrer Arbeiten als co-opted und gentrifying widerspiegelt.
Auch die Soziologin und Kulturkritikerin Anette Baldauf thematisiert Aufwertungs-, Verdrängungs- und Gentrifizierungsprozesse im Zusammenhang mit künstlerischen Praktiken: Sie skizziert die kulturelle Umwertung und ökonomische Aufwertung der Lower East Side in New York seit den 1950er Jahren und beschreibt gegenwärtige Entwicklungen. Gemeinsam mit dem Architekten und Urbanisten Stefan Gruber geht sie zudem in einem Textbeitrag auf die Frage ein, ob das Konzept der Commons dazu beitragen kann, unter anderem auch Gentrifizierungsprozessen ent-gegenzuwirken und den Stadtraum neu zu denken.
Regina Bittner, Kulturwissenschaftlerin und Kuratorin, erläutert den Begriff der bewegten Stadt und fragt nach dem kritischen Potenzial aktueller städtischer Diskurse. Sie nimmt dabei Bezug auf die Situationistische Internationale, das Team 10 und Bernard Rudofsky und plädiert für ein verändertes Rollenverständnis von ArchitektInnen und PlanerInnen, das die kritische Reflexion von Produktions-, Präsentations- und Verwertungsbedingungen einschließt. Mit Konzepten des Kuratorischen, dem Faktor Zeit, wechselnden Rollenzuschreibungen und verschiedenen Formen der Interaktion setzt sich der Theoretiker und Kurator Paul O’Neill auseinander.
Eine wichtige Rolle kommt schließlich den Kunstinserts und Projektbeispielen zu: Arbeiten und Projekte aus verschiedenen geografischen und kulturellen Kontexten zeigen mögliche Herangehensweisen auf, stellen spezifische Handlungsstrategien vor und gehen auf Probleme ein, die bei der Umsetzung konkreter Projekte auftauchen. Wie die Textbeiträge beleuchten sie in ihrer Unterschiedlichkeit – auch in der Darstellung und Beschreibung aus verschiedenen Perspektiven – das Spannungsfeld, indem sich Kunst im Kontext von Stadtentwicklung bewegt, und diskutieren so auch die titelgebende Frage der nach einer neuen Funktion von Kunst in der Gesellschaft. Barbara Holub beantwortet die Frage, ob Kunst eine Funktion haben darf, mit einem klaren Ja: »I claim that art does have a function, that artists may engage in societal and urban issues […]«.
Sie steht damit nicht alleine: Auch in der Verleihung des Turner Prize 2015 – einem der wichtigsten Preise für zeitgenössische Kunst – Anfang Dezember an das Londoner Kollektiv Assemble spiegelt sich diese Auffassung wider.


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