Ernst Gruber

Ernst Gruber ist Architekt, Grafik- und Kommunikationsdesigner.


        Wer sich für Fragen interdisziplinärer Wohnungsforschung interessiert, landet schnell bei der gleichnamigen Schriftenreihe des Fachverlags transcript. In dieser werden laut Selbstbeschreibung Beiträge aus Architektur, Geographie, Geschichtswissenschaft, Ökonomie, Planungswissenschaften, Politikwissenschaft und Soziologie versammelt, die sich mit der Wohnraumversorgung und dessen widersprüchlichem Verhältnis von Wohnraum als Grundbedürfnis und als Ware auseinandersetzen. Seit 2020 sind in dieser Reihe bereits sechs umfassende Sammelbände erschienen, von theorielastigen wie Wohnungsforschung bis hin zu politischen wie Entmietet und verdrängt. Erfreulich ist zudem, dass ein wachsender Teil der Verlagspublikationen im Open Access erscheint, so auch der jüngst erschienene Band Wohnen in Hamburg. Die Herausgeber:innen Monika Grubbauer und Joscha Metzger geben anhand von Akteur:innen, Instrumenten und Konfliktfeldern einen Statusbericht zur Wohnungsfrage und Wohnungsforschung der Freien und Hansestadt Hamburg, in der die Wohnungsfrage seit annähernd 15 Jahren Teil der politischen und öffentlichen Debatte ist und die als Modellstadt deutscher Wohnungspolitik gilt.
        Aus österreichischer Perspektive wird deutlich, dass die aktuell drängendsten Themen der Wohnungsforschung in Deutschland immer vor dem Hintergrund der Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit im Jahr 1990 und dem Zugang zu angemessenem und bedarfsorientiertem Wohnraum bewertet werden müssen. Dies stellt den ersten Schwerpunkt des Bandes dar, der insofern auch ein Reiseführer durch die (End-)Stationen einer bereits lange zurückliegenden, marktorientierten bzw. neoliberalen Wohnungspolitik ist. So wird in zwei Beiträgen deutlich, dass das Versprechen eines Sickereffekts sozialer Wohnraumversorgung durch (auch teure) Neubautätigkeiten und dadurch ausgelöste »sozial entlastende Umzugsketten« nicht eingelöst werden kann. Ebenso sind Instrumente wie der »Drittelmix« nicht in der Lage, die dahinschmelzenden Bestände an Wohnungen mit befristeter Sozialbindung zu stabilisieren (Stichwort Soziale Zwischennutzung ). Als lohnend erweist sich, dass die meisten Beiträge anstelle eines quantitativen Ansatzes detaillierte Einblicke in die Wohnsituation unterschiedlicher sozialer Gruppen auf Basis empirischer Befunde gewähren, wie für Menschen mit Migrationshintergrund, obdach- und wohnungslose Menschen.
        Der zweite Schwerpunkt des Bandes betrachtet die wohnungspolitischen Instrumente und die damit zusammenhängenden Handlungsspielräume von Akteur:innen auf kommunaler Ebene. Hierzu zählen bodenpolitische Strategien wie das Erbbaurecht und damit zusammenhängende Potenziale und Hemmnisse. Am Beispiel Hamburger Genossenschaften wird deutlich, dass der Genossenschaftsgedanke alleine ohne die ökonomischen Rahmenbedingungen der Wohnungsgemeinnützigkeit wie der kostendeckenden Miete zu wenig Halt bietet, um sich vom Markt in Form des Mietspiegels als Orientierung lösen zu können. Um eine solidarischere Unternehmenspraxis erlangen zu können, wäre eine stärkere Beteiligung ihrer Mitglieder notwendig. Andererseits müssen, anders als im Rahmen der österreichischen Wohnungsgemeinnützigkeit, Wohnanlagen nicht für sich betrachtet und berechnet werden, was eine gesamthafte Betrachtung der ganzen Genossenschaft ermöglicht, um bei Modernisierungsarbeiten abrupte Preissteigerungen vermeiden zu können. Eine Vorgehensweise, die auch hierzulande vieles zur Behebung des enormen thermisch-energetischen Sanierungsrückstaus in Bewegung setzen könnte.
        Den dritten Schwerpunkt bilden Beiträge zum Wandel von Wohnformen und ihrer sozialräumlichen Einbettung. Hier spielen – ähnlich wie in Wien – Fragen von Naturschutz, Lebensqualität und Verkehr eine zunehmende Rolle, wenn es um Flächen für den Wohnbau in grünen Stadtrandzonen geht. Daran knüpfen auch Fragen zur Zukunft von Ein- und Zweifamilienhäusern als »Brennpunkte für ökologische Herausforderungen oder als ungenutztes Wohnraumpotenzial« durch deren Weiterentwicklung und Verdichtung an. Interessant in diesem Zusammenhang ist ebenso der Beitrag zur Zunahme ortsflexibler Arbeitsmodelle (Homeoffice) sowie den Konsequenzen für den Wohnungsmarkt und die Wohnpraxis, die sich unter anderem als Polarisierung zwischen Stadtrand- und Innenstadtlagen zeigen. Aus der mittlerweile fast 35jährigen Geschichte im Umgang mit Baugemeinschaften kann Hamburg auf viel Erfahrungen zurückblicken, beispielsweise wie diese als wohnungspolitisches Instrument mit Quartierswirksamkeit eingesetzt werden können, ohne sie zu überfordern.
        An diese Thematik wird auch der nächste, im Mai erscheinende Band dieser Reihe anknüpfen, der sich unter dem Titel Gemeinschaftlicher Wohnungsbau diesem »System der Stadtentwicklung und Wohnungsversorgung nach der Wohnungsgemeinnützigkeit« annimmt. Insgesamt bietet Wohnen in Hamburg einen guten Überblick zum Status quo und auch Nicht-Ureinwohner:innen des deutschen Wohnungskontextes einen guten Einstieg in zahlreiche Themenfelder sowie neue und bekannte Autor:innen dazu. Die Beiträge stehen durch den gelungenen Rahmen gut in Beziehung zueinander und ermöglichen auch für die Themen der österreichischen Wohnforschung zahlreiche Anknüpfungspunkte und Parallelen, die ausreichend Material für einen eigenen Band liefern würden.


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