Lernen und Verstehen
Das Londoner Architekturkollektiv Assemble im GesprächEine Tankstelle, die ihren Betrieb eingestellt hatte, und die Idee daraus ein Kino zu machen, waren 2010 der Startpunkt für eine Gruppe von FreundInnen und Bekannten, die heute unter dem Namen Assemble bekannt sind, ein Architekturbüro zu gründen. Das Projekt hieß Cineroleum und fungierte für ganze sechs Wochen als Kino. Trotz der kurzen Dauer und des ephemeren Charakters ist Cineroleum bis heute ein prägendes Ereignis für die Mitglieder von Assemble geblieben, auf das sie immer wieder referieren. Assemble arbeitet nach dem Learning by doing-Prinzip. Die Lösung der Aufgabe wird in der Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Projekt – in Recherchen, Gesprächen und Experimenten – erarbeitet. Auf die Frage nach historischen Referenzen, nach Vorbildern und theoretischen Einflüssen antworten Assemble zurückhaltend, eher nebenbei wird erwähnt, dass es doch auch so etwas wie gesellschaftspolitische Prinzipien gibt, die ihrer Arbeit zugrunde liegen. Assembles Praxis ist auch insofern interessant, als dass das Kollektiv selbst ein organisatorisches Experiment ist. Alle Mitglieder des Teams, die großteils von Anbeginn dabei sind, sind gleichberechtigte PartnerInnen. Es gibt keine Hierarchien und keine fixen Aufgabenbereiche. Eines ihrer interessantesten und beispielgebenden Projekte ist Granby Four Streets, für das sie 2015 mit dem britischen Turner-Preis ausgezeichnet wurden, was ihren Bekanntheitsgrad schlagartig erhöhte. Granby Street war einst eine große ArbeiterInnensiedlung in Liverpool, die über die Jahrzehnte hinweg weitgehend zerstört wurde. Nur vier Straßenzüge sind übrig geblieben, für deren Erhalt die BewohnerInnen über zwei Jahrzehnte lang gekämpft haben. 2011 konnte die Siedlung in einen Community Land Trust (CLT) eingebracht werden. Gemeinsam mit den BewohnerInnen entwickelte Assemble ein Sanierungskonzept. Derzeit läuft im Architekturzentrum Wien eine sehenswerte Ausstellung über die Arbeit von Assemble. Andre Krammer und Christoph Laimer haben die Gelegenheit genutzt und Maria Lisogorskaya und Lewis Jones von Assemble am Tag der Eröffnung für dérive zum Gespräch gebeten.
dérive Assemble besteht aus 18 Leuten, die fast alle von Beginn an Teil des Teams sind. Es wird immer betont, dass die einzelnen Mitglieder nicht alle aus dem Architekturfeld kommen. Könnt ihr uns ein wenig mehr darüber erzählen, wie sich das Team zusammensetzt und wie sich die unterschiedlichen Einflüsse auf die Arbeit von Assemble auswirken?
Lewis Jones: Tatsächlich haben die meisten von uns gemeinsam den ersten Teil des Architekturstudiums in Cambridge absolviert. Manche haben dann ihr Master- oder Doktoratsstudium an anderen Universitäten abgeschlossen. Es gibt andere, die Philosophie, Psychologie, Geschichte oder auch andere Studien betrieben haben. Ich weiß aber gar nicht, ob der Einfluss der universitären Ausbildung auf das, was die Leute jetzt interessiert, so groß ist. Louis [Schulz] z.B. hat Geschichte studiert, hat aber genauso Bühnen für Festivals errichtet, Soundsysteme gebaut, Clubs veranstaltet oder einen Markt betrieben. All das zusammen macht die Leute aus und hat Einfluss auf ihre Arbeit, nicht nur das, was sie an der Universität gelernt haben.
Aber ist es nun so, dass einzelne Mitglieder bei Assemble bestimmte Aufgaben übernehmen? Also dass z.B. die Person, die Geschichte studiert hat, diejenige ist, die Recherchen zur Baugeschichte eines Objekts und einer Gegend unternimmt? Oder machen alle alles?
Maria Lisogorskaya: Ja, mehr oder weniger machen alle alles. Es gibt keine fixen Aufgabengebiete, obwohl die Interessen klarerweise unterschiedlich verteilt sind. Der einzige Bereich, der in die Zuständigkeit einer Person fällt, ist der Finanzbereich. Ab einem gewissen Zeitpunkt ist uns klar geworden, dass das sehr wichtig ist, und das ist auch gut so. Unser jüngstes Mitglied ist somit fix unser Buchhalter.
Kann man davon ausgehen, dass die Einflüsse, die für eure Arbeit wichtig sind, ebenso unterschiedlich sind wie eure Biografien?
ML: Nicht unbedingt, wir kennen uns alle schon so lange, viele von uns haben gemeinsam studiert. Ich glaube, unsere Einflüsse überschneiden sich ziemlich stark. Deswegen ist es für uns gut zu unterrichten und auch Projekte außerhalb von Assemble zu machen, dadurch erhält man neue Einflüsse und Sichtweisen. Wohingegen die zehn Jahre zurückliegende
Studienzeit wahrscheinlich keinen so großen Effekt mehr hat.
Heißt das, dass viele von euch unterrichten?
LJ: Ja. Wir haben z.B. jetzt gerade einen Lehrauftrag an der TU Wien und haben mit den Studierenden gemeinsam auch ein Projekt für die Ausstellung entwickelt.
Gibt es Figuren der britischen Architekturgeschichte, die für eure Projekte wichtig sind, auf deren Arbeiten ihr euch bezieht?
ML: Darauf gibt es keine generelle Antwort, das ändert sich von Projekt zu Projekt. Jedes Projekt erfordert neue, spezifische Recherchen und es gefällt uns, diese Recherchen auch außerhalb des Architekturfeldes durchzuführen. Wir beziehen uns auf gebaute Architektur, aber die muss nicht unbedingt von berühmten avantgardistischen ArchitektInnen stammen.
LJ: Ich glaube, da haben wir dann doch sehr individuelle Zugänge. Ich habe z.B., bevor wir Assemble gestartet haben, einige Zeit bei muf[1] gearbeitet und diese Phase war für mich sehr prägend. Die Methode, Praxis als Live-Research einzusetzen, ist etwas, was mich sehr inspiriert hat, als ich bei muf gearbeitet habe. Die Tatsache, dass jedes Projekt ein Einzelfall ist und somit seine ganz eigenen Anforderungen hat, kann sehr inspirierend sein. Die Einladung mit jemand anderem zu arbeiten ist auch eine Chance mit prägenden Ideen zu experimentieren. Speziell bei unseren frühen temporären Projekten habe ich sehr geschätzt, dass es möglich war diese als Live-Experimente durchzuführen. Auch wenn manchmal etwas schief gegangen ist, war das großartig.
Würdest du sagen, dass das ein nicht-akademischer Zugang ist?
LJ: Ich würde unser Vorgehen nicht als anti-akademisch bezeichnen, aber es steht stärker mit der Praxis und dem Alltagsleben in Verbindung. Dieser Ansatz steht am Ausgangspunkt unserer Projekte.
Ist jemand wie Cedric Price eine wichtiger Einfluss für euch?
ML: Bei Leuten, die einen alternativen Zugang zu Architektur haben, wird viel über ihn gesprochen. Ich mag seine Zeichnungen sehr gerne, aber es ist für mich schwierig, ihn als Referenzquelle zu sehen, weil er ja eigentlich nicht wirklich etwas gebaut hat. Sich mit seinen theoretischen Ansätzen zu beschäftigen ist sicher ein Genuss, aber es umgibt ihn auch eine Art Mythos.
Diskutiert ihr bei euren Team-Meetings über philosophische und politische Theorien?
LJ: Um ehrlich zu sein, die Gespräche drehen sich eher um pragmatische Fragen: Es geht eher darum, wie wir eine Idee konkret umsetzen können, mit wem wir über diesen oder jenen Aspekt sprechen sollten, und weniger um hochphilosophische Erörterungen.
ML: Bei einem Projekt wie Baltic Street Adventure Playground geht es natürlich auch viel um ganz pragmatische Herausforderungen, aber genauso um grundsätzliche Überlegungen zu Kindheit und Spiel.
LJ: Unsere Kollegin Amica [Dall] hat sich im Laufe der Zeit immer intensiver auf einer theoretischen Ebene mit diesen Themen beschäftigt. Es kann durchaus sein, dass solche Auseinandersetzungen künftig, falls wir mehr Projekte machen, die sich um einen bestimmten Themenkomplex drehen, eine größere Rolle spielen werden.
Auffallend ist, dass es in der Vergangenheit lange Zeit so war, dass Leute an Unis unterrichteten, sich eine Theorie erarbeitet haben und es zehn, fünfzehn Jahre gedauert hat, bis sie zum ersten Mal etwas gebaut haben. Bei euch ist es genau umgekehrt, ihr stellt diesen Ansatz auf den Kopf.
Beide: Ja, stimmt.
Ich nehme an, dass – speziell seit ihr den Turner-Preis gewonnen habt – viele Leute mit Anfragen und Projektvorschlägen an euch herantreten. Wie wählt ihr Projekte aus? Welche Aspekte müssen diese erfüllen, damit sie für euch interessant sind?
LJ: Es gibt keine generelle Regel oder einen Kriterienkatalog für die Auswahl von Projekten. Im Normalfall ist es so, dass wir ein Projekt gemeinsam diskutieren und es annehmen, wenn sich eine gewisse Anzahl von uns dafür begeistert. Es war selten der Fall, dass ein Teil von uns sehr stark für und ein anderer strikt gegen ein Projekt war. Wichtig für uns ist, welche Möglichkeiten ein Projekt für unser Büro eröffnet, und es sind natürlich auch ganz pragmatische Aspekte wie beispielsweise unsere personelle Ressourcen. Wir übernehmen keine Projekte, die mit der aktuellen Größe unseres Teams nicht zu bewältigen sind. Es ist nicht unsere Strategie, immer größere Projekte anzunehmen und laufend das Team zu erweitern.
ML: Seit wir den Turner-Preis gewonnen haben, bekommen wir definitiv mehr Angebote und das Spektrum der Aufgaben hat sich erweitert.
LJ: Die Angebote sind geographisch weiter gestreut. Die Ausstellung in Wien beispielsweise oder Projekte in Japan oder den USA.
ML: Auch im Hinblick auf Förderungen für Projekte hat sich die Situation verbessert.
Das heißt, ihr initiiert nach wir vor eigene Projekte, sucht dafür um Förderungen an etc.?
ML: Ja, Sugarhouse Studios in Stratford ist dafür das aktuellste Beispiel. Dort hatten wir unser erstes Büro. Wir haben die Studios aber nicht alleine genutzt, sondern auch Räume an einen Zimmerer oder an Designer vermietet. Dann mussten wir umziehen, um einen neuen Raum zu finden, und das war ein eigenes Projekt für sich. Wir waren an einer langfristigen Lösung interessiert.
Das Stichwort langfristig führt uns zur nächsten Frage. Architekturschaffenden wird ja manchmal der Vorwurf gemacht, dass sie zu sehr projektorientiert und zu wenig nachhaltig arbeiten. Sie setzen gemeinsam mit einer Community ein Projekt um und verschwinden dann von der Bildfläche. Wie geht ihr mit dieser Problematik um? Ist euch die Nachhaltigkeit eurer Projekte wichtig?
LJ: Ja, absolut. Das Cineroleum ist ein gutes Beispiel. Es war unser erstes Projekt und verantwortlich dafür, dass sich Assemble als Gruppe konstituierte. Das Cineroleum gibt es zwar nicht mehr, aber alle Projekte, die wir als Team daraufhin verwirklichten, sind so gesehen eine Folge unseres ersten Projekts. Bei manchen Projekten kann man gar nicht sagen, wann sie zu Ende sind. Wir arbeiten derzeit an Langzeitprojekten, bei denen es zu den Beteiligten einen andauernden Kontakt gibt. Granby Four Streets ist dafür ein gutes Beispiel. Wir sind immer noch dort und arbeiten an bestimmten Strängen des Projekts. Ich lebe nun in Liverpool, was auch ein Teil der Geschichte ist. Die Dynamiken ändern sich laufend, man weiß bei Projekten wie Granby Four Streets, Blackhorse oder Baltic Street nie, wann und ob sie wirklich abgeschlossen sind. Man kann nie einfach sagen: So, hier sind die Schlüssel, nun ist der Vertrag erledigt und das Projekt zu Ende.
ML: Bei der Goldsmith Art Gallery könnte das so sein, das ist ein traditionelleres Projekt. Es wird uns nach Fertigstellung aber auch nicht mehr brauchen. Wir werden schließlich nicht selbst in die Galerie einziehen.
LJ: Es hängt immer damit zusammen, ob unsere Fähigkeiten noch gebraucht werden oder nicht.
Welche Analysen und Recherchen stellt ihr an, wenn ihr ein Projekt beginnt, wie nähert ihr euch den Aufgaben an? Recherchiert ihr über den räumlichen Kontext, sprecht ihr mit den Leuten, die dort leben oder arbeiten?
LJ: Das hängt sehr stark vom Standort ab. Wir fangen immer damit an, soviel wie möglich über die Situation und die involvierten Personen in Erfahrung zu bringen und daraus zu lernen, um herauszufinden, welche Lösungen es geben könnte. Da sich vieles erst im Lauf des Prozess klärt, kann es auch Schwierigkeiten geben, besonders bei Projekten, bei denen bestehende Strukturen im Bestand eine große Rolle spielen. Jede Abweichung vom veranschlagten Plan ist dann sehr, sehr teuer und schwierig umzusetzen, weil der Vertrag ja schon unterschrieben ist. Es kann sein, dass man mitten im Prozess zu einer völlig anderen Lösung kommt, aber im Ursprungskonzept gefangen ist. Deswegen versuchen wir unsere Projekte lange so offen wie möglich zu halten, um auch zu einem späten Zeitpunkt noch Entscheidungen treffen und aus Situationen lernen zu können.
Wir finden das Modell des Community Land Trusts bei Granby Four Streets sehr interessant. Seht ihr Granby Four Streets als Modell, das man auch auf andere Viertel anwenden könnte? Wurdet ihr diesbezüglich von anderen Communitys, die in einer ähnlichen Situation sind, kontaktiert?
LJ: Ja, es gab sehr viel Interesse. Viele Leute kamen um sich mit Leuten des CLT oder auch mit uns zu treffen, um darüber zu sprechen, wie das Modell angewandt werden kann. Granby Four Streets ist als Projekt aber noch gar nicht abgeschlossen, es tut sich noch sehr viel. Deswegen ist es schwierig als Promoter aufzutreten und zu sagen, das ist das Modell, das alle übernehmen sollten. Kein Modell ist perfekt und man ist ständig damit beschäftigt herauszufinden, wo die Probleme stecken. Aber klar, generell sind alle von uns eifrig dabei, andere dabei zu unterstützen gut funktionierende Elemente eines Projekts zu übernehmen und für den jeweiligen Kontext anzupassen. Wir wurden auch von Leuten gefragt, an ähnlichen Aufgaben zu arbeiten, aber es ist schwierig für uns, das Konzept auszubauen. Um tatsächlich einen Mehrwert zu schaffen, braucht es unglaublich viel Zeit und Energie und unsere Kapazitäten sind limitiert. Aber es sind durchaus einige Projekte im Entstehen, die mit den zentralen Punkten und Ideen von Granby in enger Verbindung stehen.
Ihr bezieht euch immer wieder positiv auf die Do-It-Yourself-Kultur. Wie seht ihr DIY im Kontext einer Politik, die speziell in Großbritannien seit langem sehr stark auf Selbstoptimierung und Selfempowerment sowie auf den Abbau des Sozialstaates setzt? Ist DIY in dieser Situation eine notwendige Technik, weil einem in diesem politischen Klima gar keine Alternative bleibt?
LJ: Es gibt in Großbritannien viele unterschiedliche kleine Mikrosysteme in denen man mit einem DIY-Ansatz jeweils unterschiedlich viel erreichen kann. Sieht man sich beispielsweise die Wohnsituation in London an, dann kann DIY wohl keine Methode für eine großmaßstäbliche Lösung für niedrigere Mieten sein. Dazu braucht es einfach eine größere Struktur, das ist eine Aufgabe, in die der Staat involviert sein muss. In anderen Situationen kann man mit DIY allerdings sehr wohl Großartiges umsetzen. In Liverpool gibt es z.B. viele informelle Räume, in denen ein kleinmaßstäblicher Ansatz sehr gut passen kann. Das Wichtigste an der DIY-Kultur und -Haltung ist für uns die Möglichkeit zu lernen und zu verstehen. Etwas selber zu bauen, erzeugt eine ganz andere Beziehung zum Gebauten. Man gewinnt mehr Vertrauen, die Änderungen, die notwendig sind, auch zu fordern, weil man die Zusammenhänge besser versteht. Aber es besteht natürlich die Gefahr die Sache zu einfach zu sehen und zu glauben, DIY sei die Lösung für alles und es ginge völlig ohne staatlichen Eingriff.
ML: Wir haben einen sehr differenzierten Zugang zu dem Thema und würden beispielsweise nie sagen, man sollte kein Gebäude wie den Karl-Marx-Hof bauen. Er ist eine großartige Antwort auf das Wohnungsproblem. Die Welt ist niemals nur schwarz oder weiß.
Wärt ihr daran interessiert Sozialen Wohnbau zu bauen?
Beide: Ja, unbedingt.
In einem eurer Vorträge bezieht ihr euch auf den Wu-Tang Clan als Kollektiv von Musikern. Das bringt mich dazu, einen Vergleich aus der Musikszene heranzuziehen. Es gibt die Unterscheidung zwischen Independent- und Major-Labels. Wenn ein Architekturbüro startet, sind die Arbeiten oft sehr engagiert und verantwortungsvoll. Wenn die Büros wachsen, mehr Geld im Spiel ist, mehr Aufträge zu erledigen sind etc., dann sinkt die Qualität. Als Beispiel kann hier OMA, das Office for Metropolitan Architecture von Rem Koolhaas, dienen, das als sehr interessanter Think Tank begonnen hat und heute teils sehr fragwürdige, kommerzielle Projekte verwirklicht. Wie, denkt ihr, könnt ihr so eine Entwicklung vermeiden? Habt ihr eine Strategie gegen die Gefahr der Kommerzialisierung eurer Arbeiten?
ML: Worüber wir diskutieren, ist, wie wir es schaffen, Aufträge an Land zu holen, die uns auch Geld bringen, aber unsere Ressourcen gleichzeitig nicht überfordern. Wir versuchen eine Balance zu halten. Man muss darauf achten, nicht zu schnell zu wachsen, das ist eine interessante Herausforderung. Wir denken in letzter Zeit viel darüber nach, wie unser Büro größer werden kann: Sollen wir einfach Mitarbeiter anstellen oder gibt es ein anderes Modell? Wäre es möglich organisch zu wachsen? Wir haben dafür noch keine Lösung.
LJ: Wir versuchen ein ökonomisch nachhaltiges Geschäftsmodell aufzuziehen, aber das heißt jetzt nicht, dass wir jeden Auftrag annehmen. Wir denken eher an eine Lösung, die so ähnlich funktioniert, wie wir das in den Sugarhill Studios gemacht haben. Dort haben wir den Raum, den wir selbst errichtet haben, auch an andere Personen und Gruppen vermietet. Dadurch gab es mehr Leute, mit denen wir zusammenarbeiten konnten. Die Art und Weise, wie man zusammenarbeitet, ändert sich mit der Zeit, was nicht immer leicht ist. Cineroleum ist immer noch mein Lieblingsprojekt: Es war so cool, wir hatten so viel Spaß und es entstand aus dem Nichts heraus. Aber nach sieben, acht Jahren kannst du gemeinsam einfach nicht mehr so arbeiten. Wir haben nun mehr langfristige, ausgereifte Projekte.
ML: Ich glaube, man muss sich einfach selber treu bleiben. Auch OMA entwerfen nach wir vor immer wieder gute Gebäude. Es wäre toll, wenn wir neue Leute im Team hätten, die frische Ideen mitbringen und nicht schon seit sieben Jahren mit uns arbeiten. Aber die müssten natürlich auch unsere Art zu arbeiten mögen.
LJ: Es ist gar nicht so leicht eine nicht-hierarchische Gruppe zu erweitern. Stellt man einfach Mitarbeiter ein, dann entstehen Hierarchien. Nimmt man jemanden sofort als gleichberechtigten Partner oder Partnerin auf, wäre das auch komisch. Wir haben schließlich sieben Jahre lang extrem hart gearbeitet, außerdem gäbe es wahrscheinlich trotzdem informelle Hierarchien, weil die Person nicht das Wissen hätte, das wir in sieben Jahren angesammelt haben. Es ist wirklich tricky.
Leistbarkeit ist ein wichtiger Punkt in eurer Arbeit. Ihr versucht mit Materialien sehr sparsam umzugehen, vorhandene Ressourcen zu nutzen etc. Allerdings entstehen die Kosten ja oft in ganz anderen Bereichen, u.a. bei der Finanzierung eines Projekts oder dem Erwerb eines Grundstücks. Community Land Trust ist z.B. ein Werkzeug sich diesen Problemen zu stellen. Diskutiert ihr über diese Themen, seht ihr diese Themen als Teil eurer Arbeit?
LJ: Ja auf jeden Fall. Wir schätzen es sehr, wenn wir zu einem sehr frühen Zeitpunkt in Projekte eingebunden sind. Derzeit ist das bei einigen Aufgaben der Fall und in dieser Phase ist es oft unsere wichtigste Frage herauszufinden, welches Organisationsmodell passend ist oder wie die Finanzierung ermöglicht werden kann. Aber bei der Verwendung von Materialien geht es uns gar nicht ausschließlich um die Kostenfrage. Wir würden auch bei einem gut finanzierten Projekt mit den Ressourcen sehr sorgfältig umgehen.
ML: Das ist die Ebene, auf der sich die Philosophie, die unsere Arbeit grundsätzlich prägt, zeigt. Bei manchen Entscheidungen kommt dieser theoretischer Ansatz instinktiv zum Tragen. Es geht nicht nur um die Praxis, es gibt Ideen, die unser Werk bestimmen. Die drehen sich um Punkte wie Ressourcenschonung, Finanzierung oder dem Verhältnis von öffentlich und privat.
Ihr habt euch während eurer Zeit in Wien, wo ihr derzeit eine Gastprofessur an der TU innehabt, sehr stark mit dem Thema Ziegel beschäftigt. Was habt ihr dabei gelernt?
ML: Seid Ihr schon einmal im Ziegelmuseum gewesen? Das müsst ihr euch anschauen, es ist großartig.
LJ: Man kann die ganze Geschichte der Wiener Bevölkerung anhand der Ziegel nachvollziehen. Änderungen der politischen Verhältnisse sind an den Siegeln der Ziegel ablesbar. Der Lehm, der zur Herstellung herangezogen wird, ist eine faszinierende, meist unsichtbare Ressource.
Vielen Dank für den Tipp, das Ziegelmuseum zu besuchen und für das Gespräch.
Die von Angelika Fitz und Katharina Ritter kuratierte Ausstellung Assemble. Wie wir bauen ist im Architekturzentrum Wien noch bis zum 11. September 2017 zu besichtigen. Der Katalog zur Ausstellung ist bei Park Books erschienen.
Mehr Informationen zu Assemble – vor allem zu den einzelnen Projekten – gibt es hier: assemblestudio.co.uk.
Fußnoten
Muf ist ein Londoner Büro mit Projekten zwischen Kunst und Architektur. ↩︎
Andre Krammer ist selbstständiger Architekt und Urbanist in Wien.
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.