Woanders und vor Ort
Kunstinsert von Marlene HauseggerWenn an einer Kreuzung Zebrastreifen mit Kreide zu einem Riesenzebra umgezeichnet werden, ein überdimensionales Spiegelei spontan im New Yorker Centralpark landet oder vorbeifahrende Autos mit ihren Scheinwerfern einen Fahrradreflektoren-Blitz auf dem Dach des Wiener Fluc einschlagen lassen, dann könnte Marlene Hausegger dahinter stehen. Letzteres (The lightning) ist auch auf der ersten Seite des Inserts in dérive und als Installation in einem Grazer Parkhaus zu sehen. Bei Marlene Hausegger bekommt ein skurriler Hochsitz auf einem Parkplatz eine rote Haube (happy observer). Ein scheinbar transparentes Haus wird bei näherer Betrachtung zum Vogelkäfig. Schnell und scheinbar leichtfüßig entwickelt Hausegger ihre temporären Projekte, die oft nur für ein Foto oder kurzes Video entstehen, oder gar nur für einen Augenblick oder aus einer bestimmten Perspektive wahrnehmbar sind. Sie verknüpft vor Ort Vorgefundenes mit assoziativen Bildern, die den Ort neu kontextualisieren bzw. den Sinn des Ortes verschieben. Auf der vierten Seite des Inserts präsentiert sich die Betonfassade eines Zwischenkriegs-Wohnbaus, die über ein Fensterputzwagerl gereinigt wird. Besser gesagt, es spiegelt sich der gegenüberliegende Wohnbau in der Fassade des Hotels Sofitel am Wiener Donaukanal (Cleaning Jean Nouvel). Komplexe Assoziationen wie etwa zum Spiegelstadium des Psychoanalytikers Jacques Lacan wechseln mit dem Bild der fortschreitenden Gentrifizierung dieses Bezirkes. Es sind räumliche Interventionen, die oft auch kunsthistorische Bezüge aufbauen. Dabei entsteht durch ihre – auch humorvolle - konzeptuelle Vorgangsweise ein Bruch, der sowohl den Ort neu kontextualisiert als auch kunsthistorische Manifeste hinterfragt. Und dies geschieht mit großer Sensibilität in beide Richtungen (Diskurs und Ort). Marlene Hauseggers Interventionen wirken wie lapidare Handlungen an spontan Vorgefundenem, sind vielmehr räumliche Eingriffe, die auf einer präzisen Analyse der referenzierten Kunst- oder Architekturikonen beruhen. Die Künstlerin verwendet dabei einfache, temporäre Mittel, die genau jene Spontanität vermitteln, die die Kraft ihrer Projekte ausmachen. Auf der rechten Mittelseite sehen wir vorgefundene Objekte auf dem Wiener Frachtenbahnhof, die wie bei einer Minimal Art Sculpture arrangiert sind und mit einem zweiten Bild im Hintergrund montiert bzw. gehängt werden. Dabei entstehen im Ausstellungskontext Arbeiten, die die dritte Dimension einbeziehen und so neue Orte schaffen, wie bei unserem Lieblingsprojekt Jonas Jetty: Marlene Hausegger zeichnet die Spirale der Spiral Jetty (von Robert Smithson) mit einem Feuerlöscher im Wiener Jonas-Reindl nach. »Die klassischen Land-Artists wählten möglichst entlegene Naturschauplätze für ihre monumentalen Großprojekte aus. Im Gegensatz dazu markiere ich das Jonas-Reindl als einen Nicht-Ort in unmittelbarer Greifbarkeit nur mit einer ephemeren Linie. Es geht auch um Repetition. Das Jonas-Reindl gleicht einer großen Ohrmuschel, wo sich der akustische Ohrwurm der kreischenden Straßenbahnschienen wieder und wieder ins Bewusstsein schleicht.«, erörtert Marlene Hausegger ihr Projekt. Zum Abschluss dazu möchten wir Robert Smithson selbst zu Wort kommen lassen: »Sagen wir, dass jemand auf eine fiktive Reise geht, wenn er sich an den Ort des Non-Site (Anm.: ein Ort, der einen anderen Ort repräsentiert) begeben möchte. Die ,Reise‘ ist dann etwas Erfundenes, Ausgedachtes, Künstliches. Daher könnte man sie auch eine Reise von einem Ort zu einem Nicht-Ort nennen.« [1]
Zu Anfang dieses Jahres hat Marlene Hausegger in der Galerie Viktor Bucher ausgestellt. Derzeit arbeitet sie gemeinsam mit Jugendlichen in der Steiermark an einem Kunst im öffentlichen Raum-Projekt, kuratiert vom Grazer Kunstverein
Website: http://mmhhh.com
Barbara Holub / Paul Rajakovics
Schmidt, Eva & Vöckler, Kai (Hg., 2000): Robert Smithon, Gesammelte Schriften. Köln: Verlag der Buchhandlung Walter König, S. 106. ↩︎
Barbara Holub ist Künstlerin und Mitglied von transparadiso, einer Platform für Architektur, Urbanismus und Kunst.
Marlene Hausegger
Paul Rajakovics ist Urbanist, lebt und arbeitet in Wien.