Mitteleuropa, dalmatinisch
Besprechung von »Dobrović in Dubrovnik. A Venture in Modern Architecture« von Krunoslav Ivanišin, Wolfgang Thaler und Ljiljana BlagojevićNikola Dobrović zählt noch immer zu den großen Unterschätzten der Moderne. Selbst wem er kein Begriff ist, dem mögen Dobrovićs dalmatinische Bauten vor Ort auffallen als irritierend innerhalb der Tourismus- und Villeggiaturenarchitektur der östlichen Adria, eigenwillig, sperrig, sichtbar unter dem Einfluss Le Corbusiers entstanden, dabei fast unsichtbar hinter üppiger Vegetation, die schmale Sichtfenster freigibt auf rauhe Betonmauern, Flachdächer, offene Loggien. Eigenwillige Symmetrien, seltsame Schrägen, Punktmuster aus in die Wand eingelassenen Glasbausteinen, in späteren Jahren Wände aus bossierten Steinwürfeln, die Fugen mit Kieseln ausgekittet. Dick, schwer, massiv, trotz teils weißer Putzflächen dunkel, schrullig, ja verschroben ist das alles und hat nichts von der südlichen Leichtigkeit anderer Moderner.
Eines von Dobrovićs Markenzeichen waren dabei aus den Attiken und Betonbrüstungen ausgeschnittene Jahreszahlen, Namen der Villen, Hotels und Garten-Follies, auch sein eigener: Das 1936
entstandene Grand Hotel auf der kleinen Insel Lopud vor Dubrovnik signierte der Architekt auf der Terrasse über dem Garteneingang mit seinem Namen samt Beruf in 30 cm hohen ausgesparten Buchstaben.
Dennoch war Dobrović keineswegs ein Blender und Angeber, sondern ein reflektierter Homme à lettres, Mitteleuropäer par excellence: geboren im südungarischen Pécs, wo sein Bruder, der expressionistische Maler Petar Dobrović, 1921 Präsident der kurzlebigen ungarisch-serbischen Räterepublik Baranya-Baja wurde. Ausgebildet in Budapest und Prag, wo u. a. ein elegantes städtisches Wohn- und Geschäftshaus am Wenzelsplatz entstand. Seit den frühen 1930er Jahren ansässig in Dubrovnik, das sein Lebensthema in Theorie und Praxis wurde, auch wenn er zehn Jahre später nach Belgrad zog, wo er eine Professur bekleidete. Das von ihm entworfene Belgrader Generalstab-Gebäude steht dort nach den NATO-Bombardements bis heute als Ruine und Mahnmal im Zentrum der Stadt. In Montenegro schließlich entstanden in den frühen 1960er Jahren mit einem Kindersanato-rium in Igalo sowie Postamt, Rathaus und Wohnbauten in Herceg Novi wichtige Spätwerke Dobrovićs.
Der Dubrovniker Zeit Dobrovićs widmet sich nun eine neue Publikation mit Texten des Zagreber Architekten und Architekturhistorikers Krunoslav Ivanić in und der Belgrader Architekturprofessorin und Mo-derne-Fachfrau Ljiljana Blagojević sowie Fotografien des Wieners Wolfgang Thaler. Sie werden ergänzt durch Pläne und historische Aufnahmen der Häuser in Bau und in Benutzung, inklusive Fotos aus den Privatarchiven der Auftraggeberfamilien.
Wolfgang Thalers Fotostrecken dokumentieren die Bauten in ihrem heutigen – teils, wie beim ikonischen Grand Hotel in Lopud, ruinösen – Zustand. Sie führen Betrachter und Betrachterinnen dabei auch auf die Terrassen und ins Innere der Bauten, die von öffentlichen Bereichen oft selbst äußerlich nur sehr schwer einsehbar und, mit Ausnahme des heute als Hostel geführten, innen komplett veränderten studentischen Ferienheims in Dubrovnik, schon gar nicht zugänglich sind. Eher dunkel und massiv geben sich die Häuser auch im Inneren, Glasbausteine, geschlossene Stiegenbrüstungen und die Holzoberflächen von Einbauschrankwänden prägen die Räume, die die Verschattung im warmen Klima Süddalmatiens wohl auch kühl hält.
Ivanićins und Blagojevićs ebenso kompetente wie spannende Texte beleuchten kompetent die Hintergründe von Dobrovićs Schaffen, von biografischen und zeithistorischen Zusammenhängen über die Auftraggeberschaft des Architekten, die zu einem großen Teil aus Medizinern, oft aus Prag oder Wien, bestand, bis zum ikonologischen Zusammenhang der mythologischen Namen, die Dobrović seinen Bauten gab. Den Abschluss des durchgehend englischsprachigen Bandes bilden übersetzte Texte Dobrovićs, in denen er sich mit der baulichen und urbanistischen Tradition von Dubrovnik und seinen Raum- und Platzbildungen auseinandersetzt.
Schade ist lediglich, dass sich das Buch über einen Architekten, den heute sowohl Serbien als auch Kroatien als Teil ihrer jeweiligen nationalen Architekturgeschichte sehen, nur mit Dobrovićs Zeit in Dubrovnik befasst – eine umfassende Dobrović-Monografie ist somit nach wie vor ein Desiderat. Eine Empfehlung als Weihnachts- oder sonstiges Geschenk für Freunde und Freundinnen des Mediterranen jenseits der touristischen Oberfläche sowie der Moderne jenseits ihrer gewohnten Hagiografie wird hiermit jedenfalls ausgesprochen.
Iris Meder