Christoph Laimer

Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.


Das vorliegende Buch, Iran, a Winter Journey, ist vor über einem Jahr in der dérive-Redaktion gelandet. Ich habe es, von den zahlreichen, wunderschönen Fotos begeistert, durchgeblättert, die Texte gelesen und erinnere mich, ob des weitgehenden Aussparens der politischen Situation im Iran, ein wenig irritiert gewesen zu sein. Wie es leider passieren kann, ist die Publikation auf dem Stapel der zu rezensierenden Bücher gelandet und dort im Trubel der Ereignisse verschollen. Erst dieser Tage habe ich mich anlässlich der Demonstrationen nach der Wahl im Iran wieder daran erinnert, weshalb die geplante Besprechung hiermit nachgeholt wird.

Das Buch ist im Rahmen des Projekts Karawane des Vereins X-Change entstanden. Ziel war es, den Iran „aus vielfältiger Perspektive erfahrbar zu machen“ und den „sehr einseitigen Medienberichten und Analysen“ Bilder gegenüber zu stellen „die weder schwarz noch weiß sind“. Die Karawane war im Dezember 2006 drei Wochen im Iran unterwegs und bestand aus „Architekten, Literaten, Künstlern und Fotografen aus dem Iran, sieben europäischen Ländern, Indien und den USA“.

Der etwas zwiespältige Eindruck bleibt auch beim neuerlichen Blättern und Lesen. Der Band enthält beeindruckende Aufnahmen, die Alltagssituationen, kuriose Details, heilige Stätten, Stadt- und Landschaftsansichten, Menschen bei ihrer Arbeit, im privaten Umfeld, in der Freizeit oder ganz einfach posierend, zeigen. Die Texte beschreiben amüsante Situationen, die sich im Laufe der Reise ergeben haben, schildern überraschte Beobachtungen, weisen auf die Korrektur von eigenen Vorurteilen hin, erzählen von Begegnungen und Gesprächen. An manchen Stellen hätte man sich dann aber doch ein wenig mehr Klartext über die politische Situation als unangebrachte und falsche Kritik an (vermeintlicher) westlicher Ignoranz gewünscht, auch wenn sie in Form von Selbstkritik formuliert ist.

Franzobel schildert beispielsweise in einem Gedicht die Begegnung mit zwei Einäugigen und fragt sich entsetzt, welches Verbrechen die beiden wohl begangen haben, dass ihnen die Augen ausgestochen worden sind. Schließlich erfährt er (von wem wird nicht erwähnt), dass es Augenausstechen als Strafe im Iran nicht gibt, und ermahnt damit sich und indirekt natürlich auch uns uninformierte, vorurteilsbeladene Eurozentristen, unsere Bilder im Kopf zu überprüfen. Eine kurze Recherche auf der Website von amnesty international ergibt, dass im Iran die Folterung von Gefangenen an der Tagesordnung steht, jährlich hunderte Menschen hingerichtet werden, dass Amputationsstrafen („Handabhacken“) und Steinigungen zumindest bis 2008 noch üblich waren. (2008 gab es eine Diskussion über die Abschaffung dieser Strafen.) Ja, und auch wenn es „Augenausstechen“ als Strafe möglicherweise tatsächlich nicht gibt, ist das Verätzen von Augen möglich.

Ähnlich fragwürdig sind manche Anmerkungen zur Verschleierung und somit der Rolle der Frauen im Iran. Noch einmal ein Beispiel von franzobel: In dem Gedicht Lüftung bedauert er zunächst, was die Verschleierung dem (männlichen) Blick alles entzieht, um dann zum Schluss doch mit einer positiven Wendung zu enden: „So ist jede Frau für ihren Mann etwas Besonderes, die er alleine nur deshalb liebt.“

Aus zahlreichen Dokumentationen, Interviews etc. der letzten Jahre wissen wir, dass es Frauen gibt, die sich freiwillig verschleiern, gleichzeitig ist aber auch bekannt, dass Frauen im Iran Kopftuch tragen müssen(!) und diesbezüglich von so genannten Sittenwächtern drangsaliert werden. Frauen sind im Iran Bürgerinnen zweiter Klasse. Sie sind von hohen politischen und religiösen Ämtern ausgeschlossen, im Zivil- und Strafrecht benachteiligt. Die Aussage einer Frau hat vor Gericht nur halb soviel Gewicht wie die eines Mannes. Im Scheidungsrecht sind Frauen extrem benachteiligt. „Die Kriminalisierung ausserehelicher sexueller Beziehungen betrifft Frauen viel stärker – die grosse Mehrzahl der Personen, die wegen «Ehebruch» zu Tode gesteinigt werden, sind Frauen.“ (amnesty international) Die Reise der Karawane führte u.a. durch Teheran, Shiraz, Yazd und Esfahan und die Fotos zeigen die ganze Bandbreite der iranischen Lebenswelten: Junge Paare mit Snowboards, Betende in Moscheen, alte teetrinkende, ins Gespräch vertiefte Männer, kaum und völlig verschleierte Frauen, auf ihrem Acker stehende Bauern und glänzende Großstadtlichter, riesige, prachtvolle Moscheen und einfachste, schmucklose Siedlungen.

Der Band lässt einen die Kluft innerhalb des Landes, die sich auch durch die aktuelle politische Situation präsentiert, erahnen. Auf der einen Seite die sehr traditionellen Strenggläubigen, auf der anderen Seite die jungen nach Freiheit und Selbstverwirklichung Strebenenden. Beiden ist zu wünschen, dass sich eines Tages nicht mehr von einer auf Wahlbetrug angewiesenen, mit pseudodemokratischer Politik herrschenden Clique unterdrücken lassen müssen.

Das Bild, das durch die politischen und religiöse­n Führer und deren Politik via Medien im Westen vermittelt wird, erkennt man in den Fotos und Texten von Iran, a Winter Journey nirgends, somit gelingt es dem Buch sehr gut, neue Einblicke und Perspektiven zu zeigen und das ist in jedem Fall zu begrüßen.


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