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Besprechung von »The City Reader« herausgegeben von Richard T. LeGates und Frederic Stout und »The City Cultures Reader« herausgegeben von Malcolm Miles, Tim Hall und Iain BordenRichard T. LeGates, Frederik Stout
The City Reader
Second edition.
Routledge
Zürich, 2000
608 S.
Malcolm Miles, Tim Hall and Iain Borden
The City Cultures Reader
Routledge
Londong/ New York 2000
338 S.
Es gibt wieder einmal einen neuen Reader: Als Fortsetzung des City Reader, der erstmals 1996 und 2000 in erweiterter zweiter Auflage erschienen ist, ist nun bei Routledge auch ein City Cultures Reader herausgekommen. Während ersterer aus einer Mangelsituation und auf Nachfrage von StudentInnen entstanden ist, versteht sich der neue Reader weniger als Klassikersammlung, sondern mehr als Darstellung des inzwischen vorangeschrittenen Diskussionsstandes – die Texte datieren großteils Ende der 90er, ergänzt mit kurzen Abschnitten aus - eben - Klassikern. Während der City Reader quasi organisch aus dem Studienbetrieb entstanden ist und eine große Zahl an LeserInnen am Filterungsprozess beteiligt war - und ein Kommentar damit überflüssig wird, ein solches Kompendium scheint einfach gelesen werden zu müssen -, muss der Nachfolger nicht unbedingt gelesen werden; eher von denen, die Lust auf Lektüre für zwischendurch haben oder von jenen, die am aktuellen urban oder cultural studies Diskurs beteiligt sind und die Diskursproduktion um weitere Kommentare vorantreiben wollen. Womit zuerst einmal der Lesezwang aufgehoben werden soll, den solche Anthologien grundsätzlich ausstrahlen ...
An wen sich der Reader wendet, ist nicht wirklich klar: die Qualität der Texte, ihr Schwierigkeits- oder Spezifitätsgrad, ist sehr unterschiedlich, so wie auch die zusätzlichen Einführungen manchmal bei null beginnen, meist aber doch zu kurz sind. Zum Teil ist man mit abstrakten, theoretischen Texten konfrontiert, bei denen die Länge des gewählten Ausschnitts zum Verständnis kaum reicht, zum Teil mit ausführlichen, narrativen Texten, die - erwartet man sich einen Überblick - zu lang sind. Für ein »Lesebuch« also zu anspruchsvoll, für ein anspruchsvolles Handbuch zu schlecht dokumentiert: die AutorInnen werden kaum vorgestellt – womit das Entstehungsumfeld und die Kontroversen, in die manche Texte eingebettet sind, nicht nachvollzogen werden können; die Fußnoten aus den Texten wurden gestrichen – will man also weitere Forschungen anstellen, muss man einmal mit Quellenforschung beginnen; was auch bereits damit beginnen würde, genauere Angaben über die Originaltexte herauszufinden – denn angegeben werden nur die Quellen der englischen Übersetzungen. Der Reader führt damit zwar in den aktuellen Diskussionsstand ein, aber nicht auf kritische Weise, d.h. ohne Erklärung des diskursiven Kontextes. Was er versucht, ist, einen inhaltlichen Überblick zu geben: Die Texte sind so ausgesucht, dass sie - zusammen gelesen - jeweils den in den Kapitelüberschriften und -einführungen umrissenen Schwerpunkt ausformulieren und bei den LeserInnen ein Gesamtbild des Themas entstehen lassen sollen. Diese Methode ist an sich sympathisch, das Problem ist aber, dass ein solcher Anspruch schwer einzulösen ist: Man sieht, dass langwierigere Verfahren, wie die Produktion eigenständiger Bücher oder die Organisation spezifischer Symposien und Diskussionen auch im Zeitalter schneller Produktionsmöglichkeiten nicht aufgehört haben, wichtig zu sein.
Nach so viel Kritik dann doch ein Versuch, den Aufbau und die Motivation des Readers darzustellen: Der City Cultures Reader arbeitet interdisziplinär, er beinhaltet Texte aus den Feldern der Architektur-, Kunst- und Kulturtheorie, der Sozialgeographie, Soziologie, Ökonomie usw.; diese Form von Querdenken hat epistemologische Gründe, sie ergibt sich aus dem Ziel, ein umfassendes Bild von Stadt herzustellen und die unterschiedlichen Ebenen, die realiter Urbanität erzeugen, auf diskursiver Ebene noch einmal nachzuvollziehen. Es wird davon ausgegangen, dass, was wir Stadt nennen, eine Überlagerung stabiler Strukturen und dynamischer Prozesse ist, eine Interferenz sichtbarer und (metaphorischer) sozialer Räume; die Reihenfolge der Kapitel folgt dabei einem zunehmenden Konkreter- und Aktiver-Werden. Ausgehend von gebauten und institutionellen Strukturen, von politischen, ökonomischen und kulturellen Formationen geht der Weg über die alltägliche Erfahrung und Wahrnehmung der Stadt, ihren Repräsentationen, zu den Möglichkeiten von Aneignung und Verhandlung städtischer Räume: Shaping, Living, Negotiating Urban Culture(s) sind die Titel der drei übergeordneten Abschnitte; die dann noch einmal in jeweils vier Teile gegliedert werden: Forms and Spaces of the City, Culture Industries, Everyday Life, Memory, Imagination and Identity, Social Justice oder Utopia and Dystopia sind Beispiele für die Kapitelüberschriften, die mit bereits etablierten Themenfeldern korrespondieren. Diese Tour durch unterschiedliche Stadtebenen malt nicht nur ein Bild von Stadt, sondern auch des Wissensstandes der jeweiligen Disziplin: während z.B. Soziologie und Sozialgeographie relativ homogene und strukturierte Felder ausgebildet haben, bietet die Architekturtheorie eher Verstreutes. Was die momentane Interessenslage widerspiegelt: wenn der Reader auch mit der gebauten Stadt beginnt, wird klar, dass alles, was mit »Ereignis« und »Prozess« etikettiert werden kann, zurzeit mehr en vogue ist.
Zur Erleichterung dieser Tour ein paar Lesetipps (in order of appearance):
In »Thinking Space/Seeing Space: Thamesmead Revisited« beschreibt Edward Robbins am Beispiel der Londonder Siedlung Thamesmead die Probleme moderner Stadtplanung, nicht jedoch mit dem Ziel, Analyse und Planung überhaupt zu suspendieren, sondern im Gegenteil, um die Notwendigkeit aufzuzeigen, überhaupt erst adäquate Analysemethoden zu entwickeln. Ohne diese Bezüge zu nennen, wird bei Robbins eine Nähe zur Methodik der spatial analysis spürbar, die versucht, Siedlungskonfigurationen und Kommunikationsmuster zusammen zu denken.
Diese räumlich/geometrische Ebene wird überlagert von einer symbolischen Ebene, die durch den zunehmenden Städtewettbewerb immer wichtiger wird. In »Space and Symbols in an Age of Decline« geht Sharon Zukin den Images und Klischees nach, wie sie von InvestorInnen und Developern für das Stadtmarketing verwendet werden – und zunehmend auch von den Stadtregierungen selbst, die die Arbeitsweise privater Unternehmer übernehmen (David Harvey).
Diese Entwicklung macht auch vor dem Kunstbetrieb nicht halt: Patricia Phillips zeigt in »Out of Order: The Public Art Machine«, wie Kunst im öffentlichen Raum von Firmeninteressen vereinnahmt wird; für eine wirklich öffentliche Kunst wird daher mehr notwendig sein als die Anwesenheit auf öffentlich zugänglichen Plätzen. In Kontrast dazu: Raphael Samuel, der Formen von Populärkultur und edutainment verteidigt: »Theme Parks - Why Not?«
Die Auswahl aus den nächsten Kapiteln gestaltet sich schwierig: der Text »The Monastery and the Clock« von Lewis Mumford, der die Wichtigkeit der Erfindung der Uhr, die per Glockenschlag den Tag rhythmisiert, für den modernen Arbeitsalltag beschreibt, ist zwar interessant - vor allem beispielhaft für den Zusammenhang zwischen Technologien und Mentalitäten -, aber ein wenig isoliert in der Gesamtauswahl. Zur Frage neuerer Technologien kann man eventuell den Text »Soft Cities« von William Mitchell aus dem letzten Kapitel empfehlen, thematisiert wird hier die stadtähnliche Struktur des Internet und die (neuen) Möglichkeiten von Wegesystemen und Zugangskontrollen.
Der Zusammenhang von Raum, Erinnerung und Identitätsbildung wird von Farha Ghannam dargestellt, am Beispiel des Umbaus des alten Kairo in eine moderne, touristInnenen- und investorInnenfreundliche Metropole und den damit verbundenen gewaltsamen Umsiedlungsaktionen der Regierung.
Im (kurzen) Abschnitt aus Lefébvres »The Production of Space« wird die Frage des Zusammenwirkens von täglichen Routinen und Wahrnehmungsmustern aufgeworfen, von Raumrepräsentationen und repräsentativen Räumen. In »Alternative Space« zeigt dann Rosalyn Deutsche die Probleme unterrepräsentierter Bevölkerungsgruppen auf, und damit den Konnex zwischen Repräsentationen und Ausschlussmechanismen.
Der letzte Abschnitt ist politischen Aktionen gewidmet: Neil Smith erzählt von den Kämpfen um den Tompkins Square Park auf Manhattans Lower East Side, an denen die teilweise gewaltigen Auswirkungen von Gentrifizierungsprozessen sichtbar werden. George McKay beschreibt die Anfänge der Reclaim the Streets Bewegung (ausführlicher in dérive nr. 2), Susana Torre die Aktionen der Mothers of Plaza de Mayo (Argentinien), deren Aufbegehren gegen das Militärregime in den siebziger Jahren. An allen diesen Beispielen wird die Wichtigkeit des Erscheinens im öffentlichen Raum deutlich und die Notwendigkeit der Pluralisierung städtischer Repräsentationen – ein Thema, das einen eigenen Reader gefüllt hätte ...
Im Teil über Utopien und Dystopien berichtet Marshall Berman über den Umbau New Yorks durch Robert Moses, der nach Manier eines absolutistischen Herrschers enorme Massen an Geld und Beton bewegt hat: Jones Beach State Park auf Long Island, gewaltige Parkways quer durch Queens und den Cross-Bronx Expressway, der den alten Kern der Bronx (und Bermans Kindheit) zerstört hat. Im Anschluss daran wäre ein Auszug aus Koolhaas’ Delirious New York nicht schlecht gewesen ..., als Ersatz dafür gibt es am Ende dann noch einen Aufruf an alle ArchitektInnen: »Whatever Happened to Urbanism?«
Christa Kamleithner