Michael Zinganel

Michael Zinganel ist freier Architekturtheoretiker, Künstler und Kurator.


Der Grazer Architekt Eilfried Huth (*1930) gilt zurecht seit den 1970er Jahren als einer der wegweisenden Protagonisten für die Entwicklung und Durchsetzung von Bauträgermodellen und Mediationsverfahren für einen leistbaren partizipativen Wohnungsbau – so wie die Grazer Künstlerin Julia Gaisbacher heute als die Expertin für eine multimediale künstlerische Auseinandersetzung mit urbanen Entwicklungen, insbesondere eben mit den Wohnbauten von Eilfried Huth und deren Bewohner:innen propagiert wird.
        Julia Gaisbacher ist in der 1965 von der Werkgruppe Graz entworfenen und zwischen 1972 und 1978 errichteten Terrassenhaussiedlung Graz St. Peter aufgewachsen. Die Wohnanlage steht mittlerweile unter Denkmalschutz. Studiert hat sie vorerst Kunstgeschichte und Lehramt an der pädagogischen Akademie in Graz Eggenberg, dem ersten – vom Frühwerk des Schweizer Architekten Förderer – beeinflussten Entwurf von Günther Domenig und Eilfried Huth, der von 1965 bis 1969 umgesetzt wurde. Sie hat also ihre prägenden Jahre in den Ikonen brutalistischer Architektur in Graz verbracht. Während eines Studiums bei Martin Honert in Dresden (2006–13) und einem Jahr in Belgien u. a. bei Aglaia Konrad, näherte sie sich der Fotografie an.
        2015 entsteht mit Acaciapark ein erstes Straßenportrait in der Tradition von Ed Ruscha, dessen Endlosfassaden des Sunset Boulevard ja auch das Vorbild für die Generationen prägenden Analysen von Venturi Scott Browns Learning from Las Vegas bildete.
2017–19 ermöglichte ihr ein Stipendium Arbeitsaufenthalte in Belgrad, wo sie die von Spekulation und Gentrifizierung bedrohte Belgrade Waterfront fotografisch untersuchte. In der Folge entstand im Verlag der Camera Austria das 2021 publizierte Buch One Day You Will Miss Me. Ebenfalls 2017 wird Julia Gaisbacher von Barbara Steiner, damals Direktorin des Kunsthauses Graz, im Rahmen ihrer Ausstellung Graz Architektur. Rationalisten, Ästheten, Magengrubenarchitekten, Demokraten, Mediakraten für eine künstlerische Intervention zu einem der Architekt:innen-(Teams) der Grazer Schule eingeladen. Ihre Wahl fiel auf Eilfried Huths Eschensiedlung in Deutschlandsberg, wobei sie zu großen Teilen auf das Fotoarchiv von Doris Pollet-Kammerlander zurückgreifen konnte.
        2019 wird sie von Heidrun Primas zu einer in Kooperation mit der Steirischen Kulturinitiative produzierten ›Solo-Ausstellung‹ ins Forum Stadtpark eingeladen, für die sie schließlich mit Ulrich A. Reiterer das später preisgekrönte Video My Dreamhouse is Daydreams über Eilfried Huths Wohnbauprojekt Gerlitzgründe in Graz Puntigam präsentierte.
        In einem internationalen Kontext war Eilfried Huth kein Einzelgänger – und er war keineswegs unumstritten. Als er 1974 das letzte gemeinsame Projekt, einen Workshop zum Thema ›Partizipation‹ im Rahmen der Steirischen Akademie mit Christian Hunziker, Pascal Häusermann, Lucien Kroll, Peter Murray, Martin Pawley und dem Psychologen Eduard Geisler als Gästen organisierte, zog dieses großes Interesse von politischer Seite auf sich. Begriffe, Argumente, Methoden und formale Gestaltungsideen für Huths Wohnbauprojekte lassen sich hier nachzeichnen. Den Weg der weitgehenden Aufgabe der Gestaltungshoheit zugunsten der Nutzer:innen, wie sie Eilfried Huth beginnend mit der Eschensiedlung in Deutschlandsberg zugeschrieben wurde, konnte und wollte sein Partner Günther Domenig jedoch nicht mitgehen. 1980 wurde dann nicht der ausgewiesene Wohnbauexperte Eilfried Huth als Professor für Gebäudelehre und Wohnbau an die TU Graz berufen – er schaffte es nicht einmal in den Dreiervorschlag – sondern Günther Domenig, der bekanntlich die Entwicklung einer individuellen, spektakulären, skulpturalen Architektursprache forcierte. Im Vergleich zu Domenig war Huth am Architekturboom der 1980er Jahre nur ›marginal‹ beteiligt.
        Fünf Jahre später wurde Eilfried Huth Professor an der Universität der Künste in Berlin, wo seine Ideen und sein politisches Engagement auf einen fruchtbareren akademischen Boden fielen. Im Umfeld seines Institutes haben Studierende 2002 auch das kritische Fanzine Anarchitekur begründet.
        Gaisbachers neueste Publikation My Dreamhouse is not a House ist ein Monument in Buchform – und ein ästhetisches Statement, das sich der typischen Aufmachung von Publikationen aus der kritischen Stadtforschung völlig entzieht und stattdessen Referenzen aus der Geschichte der Fotobücher folgt, zu der vor allem der in diesem Feld renommierte Graphiker Alejandro Cartagena maßgeblich beigetragen hat.
Gebaut ist das Buch aus zwei Blöcken mit je 16 doppelseitigen farbigen Bildtafeln, die zu einer kontinuierlich erscheinenden Fassadenfront montiert wurden, unterbrochen von zwei Blöcken mit Archivaufnahmen, S/W gestellt auf offenem Papier mit Vintage-Farbton, einer mit von der Künstlerin selbst bei den Bewohner:innen zusammengetragenen Fotos und der andere mit Fotos aus dem Archiv von Doris Pollet-Kammerlander. Den Abschluss bilden genretypisch kurze Texte von Martin Grabner und der Künstlerin. Die doppelseitigen Fotos im Kern öffnen sich nicht klassisch aus dem Buchrücken heraus nach vorne, sondern wirken wie eine Ziehharmonika, die von einem Leinenband gefasst und in ein solides Hardcover eingeklebt wurde.
        Der Prozess der Partizipation ist in den S/W-Strecken allgegenwärtig, wenn auch die Mühen nicht in vollem Ausmaß ablesbar. Die farbigen Fassadenfotos hingegen simulieren eine vielgestaltige, aber durchlaufende Dachlandschaft und ein ebenso vielfältiges Farbspektrum, als hätte das der Architekt von Anfang an genauso gewollt – die Sockelzone mit den Vorgärten, dort wo die Aneignung durch die Bewohner:innen in der Regel jegliche ästhetische Kontrolle aushebelt, ist jedoch ausgeblendet. So schön sieht man Eilfrieds Huth Wohnbauten nirgendwo anders. Der eigene Gestaltungswille, der ihm lange zu Unrecht abgesprochen wurde, scheint hier eine Rehabilitierung zu erfahren.


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