»Nein zur Verführung des Publikums«
Besprechung von der Ausstellung »How To Live Together Gesellschaft zwischen Erosion und Aufbruch« in der Kunsthalle Wien, kuratiert von Nicolaus SchafhausenUnsere derzeitige politische Situation heizt Populismen an. Die um sich greifende Diskussion über Fake News lässt den Ruf nach alternativen Fakten laut werden. Soziale Medien, Big Data und Echokammern organisieren den Raum des Realen. Was passiert wenn Identitätspolitiken von identitärer Politik vereinnahmt werden? Wen titulieren wir, wenn wir über den anderen sprechen? Die derzeitige unberechenbare gesellschaftspolitische Situation in einen historischen Bezugsrahmen zu , bildet einen Ausgangspunkt der Ausstellung How To Live Together?, die durch die Beteiligung internationaler KünstlerInnen wie Bas Jan Ader, Kader Attia, Sven Augustijnen, Kasper de Vos, Ieva Epnere, Aslan Gaisumov, Gelitin, Liam Gillick, Paul Graham, Johan Grimonprez, Binelde Hyrcan, Leon Kahane, Goska Macuga, Jeroen de Rijke/Willem de Roojj, August Sander, Ritu Sarin und Tenzing Sonam den Fokus weiter spannt und verstärkt persönliche Erfahrungen einbezieht. Welche Anforderungen stellen wir heute an Kunst, hier an Sichtbarkeit und Erzählbarkeit zu arbeiten? Was verstehen wir unter Selbstbestimmung und gegenseitiger Unterstützung durch geteilte Erfahrungen?
Die amerikanische Choreographin und Filmemacherin Yvonne Rainer wandte sich 1965 als Kampfansage mit ihrem No-Manifest gegen gängige Konventionen und Star-Images im Kunstbetrieb. Eine Topographie über gesellschaftliche Bedingungen unseres Zusammenlebens und soziale Konstruktionen von Wirklichkeiten und über Orte wo gesellschaftlich Ungleichheiten verwaltet werden, zeichnet Paul Graham durch seine Serie Beyond Carrying (1984/2017). In den frühen 1980er Jahren, als zehn Millionen BritInnen auf Unterstützung durch staatliche Wohlfahrtsverbände angewiesen waren, fotografierte er den tristen Alltag in heruntergekommenen Arbeits- und Sozialämtern. Siegfried Kracauer wies bereits in den 1930er Jahren darauf hin, wie durch die Zustände in Arbeitsämtern, Bedingungen und Konditionen des Gesellschaftlichen verhandelt werden. »Jeder typische Raum wird durch typische gesellschaftliche Verhältnisse zustande gebracht (...)«.
Der Künstler Wolfgang Tillmans startete wenige Monate vor dem britischen EU-Referendum im Juni 2016 eine Anti-Brexit-Kampagne, bei der er mit einer Plakat- und T-Shirt-Serie zum Verbleib Großbritanniens in der EU aufrief. Eindringlich appellierte er mit Formulierungen wie »No man is an island. No country by itself« an ein Nachdenken über die Vorteile eines politisch-sozialen Miteinanders. Wolfgang Tilmans selbst verstand seine proeuropäische Kampagne allerdings weniger als Kunstaktion sondern als notwendige Teilnahme an der Gestaltung demokratischer Prozesse unter Einbeziehung derzeitiger geopolitischer Verhältnisse. Binelde Hyrcan wuchs während des Bürgerkrieges in Angola auf und erfuhr die Auswirkungen politischer Fehlentscheidungen durch Machtherrschaften am eigenen Leib. Für den Film Cambeck (2010) filmte er in der angolanischen Hauptstadt Luanda vier spielende Kinder, die in einer aus Sand gebauten Limousine in ihrer Vorstellung die Welt umfahren. Was zunächst spielerisch beginnt, erweist sich schnell als Konfrontation mit einer Realität, in der sie ein derartiges Glück kaum erfahren werden. Luanda ist die zweitteuerste Stadt der Welt. Vermittelt durch die Augen der Kinder werden soziale Ungleichheiten und Spannungen sichtbar.
Mohamed Bourouissa befasst sich in seiner Serie großformatiger Farbfotografien Périphérique (2005-08) mit Szenen aus den Pariser Vororten mit ihren aus den Maghreb-Regionen stammenden BewohnerInnen als Kontraposition zu den massenmedial 2005 verbreiteten Bildern der Pariser Unruhen, die vorwiegend Gewalt und Zerstörung ins Blickfeld rückten. Kader Attia thematisiert in seinem Filmessay Reflecting Memory (2016) das Phänomen der Phantomschmerzen, die Amputierte empfinden, und stellt ausgehend von dieser neurologischen Wahrnehmung Parallelen zu Traumata her, die durch Kriegs- und Terrorerlebnisse ausgelöst werden und deren Schmerz sich über Generationen zieht.
How To Live Together ist nicht nur Ausstellung, sondern beinhaltet auch eine Community College Card, Programmreihen, Netzwerke der Solidarität und Experimentierräumen für Fragen zu »Meine Gefühle. Community and Cultural Appropriation?« oder »ZusammenLebenRedenTun« und erweitert den öffentlichen Raum der Diskussion über Gemeinwerte. Dass individuelle wie gesellschaftliche Konditionen des Zusammenlebens von sozialen Konstruktionen abhängen, wissen wir längst, dennoch sind wir heute mit Realitäten konfrontiert durch die individuelle Handlungen zunehmend eingeschränkt werden. Wir wissen ebenfalls, dass Vergangenheit immer auch anders erzählt werden kann und unsere soziale Gegenwart durch ultraliberalistische Tendenzen längst andere Vorzeichen trägt.
Cana Bilir-Meier befasst sich mit der tragischen Geschichte der Schriftstellerin und politischen Aktivistin Semra Ertan, die in ihren Werken ihre Erfahrungen als Migrantin thematisierte und sich nach diskriminierenden Erfahrungen 1982 in Hamburg verbrannte. Sie wollte damit ein Zeichen gegen die herrschende Ausländerfeindlichkeit setzen. Imagine Peace lautet der Slogan, den Ayzit Bostan auf T-Shirts in arabischer Sprache drucken ließ. Diese werden vom Aufsichtspersonal getragen oder von BesucherInnen anderer Kunstveranstaltungen wie beispielsweise bei der Documenta 13 in Kassel. Als anti-religiöses, anti-nationalistisches und anti-kapitalistisches Statement von John Lennon und Yoko Ono 1971 als Song komponiert, bezieht sich Ayzit Bostan mit seinem Appell auf die grausamen Konflikte im arabischen Raum.
Wie begegnen wir unserer multitemporalen Gegenwart und dem derzeitigen politischen Spektakel? Ständig werden wir mit Informationen konfrontiert, die unseren Nerv treffen sollen. Als Ausstellung bietet How To Live Together intensive Anregungen, aus dem alltäglichen Hamsterrad auszusteigen.
Ursula Maria Probst