Neues über die postfordistische Stadt
Besprechung von »Urban Form. Städtebau in der postfordistischen Gesellschaft« herausgegeben von Renate Banik-Schweitzer und Eve BlauRenate Banik-Schweitzer, Eve Blau (Hg.)
Urban Form. Städtebau in der postfordistischen Gesellschaft
Wien: Löcker, 2003
166 S., EUR 15,50
Urban Form, so der Titel dieses Buches, das von Renate Banik-Schweitzer und Eve Blau herausgegeben wird, liefert einen lesenswerten Beitrag zur aktuellen Situation des Städtebaus in der postfordistischen Gesellschaft und führt dazu Beispiele aus Wien, Paris, San Francisco, Barcelona und Johannesburg an. Das wichtige an der Thematik besteht darin, nicht die riesige Palette architekturlastiger Bücher über die Stadt zu erweitern, sondern im weniger häufigen Versuch Urban Form aus der Dialektik des sozialen Raumes zu erklären und eine Verbindung zwischen städtischer Form und dem sozialen Kontext herzustellen. Dabei geht es um ein Verständnis der städtischen Morphologie bei Bewahrung der historischen Struktur unter Berücksichtigung der sozialen und kulturellen Bedeutung, ohne sich modernen Entwicklungen zu verschließen. Wer die Struktur und Organisation dieser Formen versteht, kann deren Potenzial auch unter zeitgenössischen Produktionsbedingungen nutzen.
Die Notwendigkeit einer derartigen Diskussion über die postfordistische Phase ist angesichts der Ratlosigkeit der aktuellen Planung, die nicht mehr vom Stadtplaner, sondern vom Investor initiiert wird, unbestritten. So wird auch darauf hingewiesen, dass in Wien nach wie vor Megastrukturen errichtet werden, die zwar gut in das vorhandene Straßennetz eingepasst sind, aber aufgrund ihrer Unflexibilität und Binnenorientierung so schädlich wie offene fordistische Formen wirken. Paris ist hier schon weiter: Dort werden bei der Umstrukturierung historischer Arbeiterviertel alte Industrie- und Bahnanlagen in die Konzepte neuer Viertel einbezogen (Cohen).
Die Herausgeberinnen Renate Banik-Schweitzer und Eve Blau führen mit einem sehr informativen Text zu den Grundbegriffen der Urban Form ein. Eve Blau referiert zudem über den zukunftsweisenden Modernismus von Otto Wagners Großstadt. Durch die Einführung von Stellen, das heißt Schnittstellen zwischen der Infrastruktur und dem alten Stadtgewebe, wie etwa in der Konzeption der Stadtbahnstationen, hat er kontextuelle Verbindungen geschaffen, die noch heute Geltung haben. Nebenbei erinnert Blaus Text den Autor dieser Zeilen daran, wieder einmal Einblick in das ebenso grandiose wie hermetische Werk von Otto Antonia Graf über Otto Wagner zu nehmen. Banik-Schweitzer berichtet weiters in einer vorzüglichen Analyse über die aktuelle Wiener Situation im Kontext der europäischen Entwicklung unter Hinweis auf die riskanten Tendenzen der Gegenwart. Marco Cencatti referiert die Urbanität von industrial districts, die eine wesentlich höhere Eignung zur Neuformatierung als die alten fordistischen Strukturen aufweisen.
Margaret Crawford schreibt über die Transformation der San Francisco Bay in eine Stadtform, für die es noch gar keine wissenschaftlichen Begriffe gibt (Vorschläge lauten: die galaktische Stadt, die entfesselte Megalopolis, Exurbia, Technourb oder Postmetropole) und wo die Mega-Einkaufszentren selbst schon Stadtgröße erreichen und sich Büroparks über hunderte von acres erstrecken. In diesem Bereich des amerikanischen Hyper-Lifestyle leben und floaten unterschiedlichste Gruppen, die sich entweder ethnisch definieren, wie jene aus little Kabul, oder sich als Avantgarde des Technokapitalismus verstehen, wie die Dot.comer aus Silicon Valley, die derzeit nach »the Multimedia-gulch« (Multimedia-Schlucht), so der aktuelle Name für San Francisco, umziehen, um sogleich von der vorigen Gentrification-Generation der KünstlerInnen mit »Yuppie-Ausrottungsprojekten« konfrontiert zu werden.
Jean Louis Cohen gibt eine tour d’horizon zur Lage in Paris. Allein die festgestellte Zahl von 106 Entwicklungszonen (zones d’aménagement concerté), die sich in einem Agglomerationsring um die Stadt befinden, lässt keinen Zweifel daran, dass die Franzosen immer noch vom Geiste Haussmanns beseelt sind. Eine ähnliche Animation lässt sich auch in Barcelona durch die geniale Struktur Cerdàs feststellen, an die man nach längeren Phasen der Vernachlässigung wieder anzuschließen versucht (Joan Busquets). Zuletzt gibt Johannes Fiedler einen Überblick über die Lage in Johannesburg, das sich zu einer Global City entwickelt, die besondere Metamorphosen durchmacht. Die wirtschaftlich bedeutenden Konzerne sind an den Stadtrand in die Edge Cities gewandert. Nach Beendigung der Apartheid zogen das historische Zentrum und die anschließenden Wohngebiete im mediterranen Stil, aufgrund des Mythos, der sich in den Homelands von der luxuriösen Stadt im Zentrum mit ihren asphaltierten Straßen, Häusern mit Fließwasser und sagenhaften Verdienstmöglichkeiten gebildet hatte, die BewohnerInnen der Barackensiedlungen an, die nun diese zentralen Orte an den Typus afrikanischer Großstädte wie Nairobi oder Lagos angleichen. Aus Hillbrow, einer ehemals eleganten Wohngegend, wurde eine Art von Bronx, die von den Slumlords kontrolliert wird. Das weiße Establishment meidet das Zentrum wegen der Kriminalität und zieht sich in die Gated Communities der Vororte zurück. Es gibt allerdings interessante Versuche durch NGOs und öffentliche Stellen, eine Form von low cost housing in der Innenstadt zu etablieren, um sie vor dem völligen Niedergang zu bewahren. Man hofft auf die Entwicklung einer Dienstleistungsindustrie, um hier Arbeitsplätze für benachteiligte Gruppen zu schaffen.
Der Reader gibt also trotz seines gar nicht so großen Umfangs einen reichhaltigen Einblick in die urbane Situation unterschiedlichster Städte im Zeitalter des Postfordismus und zeigt indirekt auch die Frage auf, wie weit man Städte denn überhaupt vergleichen kann. Die postfordistische Situation ist derart vielfältig, dass klare Ableitungen nicht möglich sind, wenn man vom allgemeinen Restrukturierungswunsch absieht. Insofern ist noch Stoff für viele Bücher vorhanden.
Renate Banik-Schweitzer, Eve Blau (Hg.)
Urban Form. Städtebau in der postfordistischen Gesellschaft
Wien: Löcker, 2003
166 S., EUR 15,50
Manfred Russo ist Kultursoziologe und Stadtforscher in Wien.