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Kunstinsert von Bianca PedrinaDie Buchtitel der Schweizer Künstlerin Bianca Pedrina geben pointiert Auskunft über ihre zentralen Anliegen: Spatial Issue, Photoprobleme, Architekturfotografie, Models, Supermodels, sowie, eben erschienen, Architekturfotografie II. In den Architekturfotografie-Bänden widmet sich Pedrina den Fallen und Problemen der Repräsentation, der fotografischen ebenso wie der architektonischen. Abseits einer glorifizierenden Darstellung großer architektonischer Ideen oder ikonischer Landmarks, fokussiert sie auf die kleinen Unstimmigkeiten der Realität. Ein überwachsener Zaun, ein verrutschtes Fassadenornament, Techniköffnungen oder Spuren der Benutzung, Pedrina hält in ihren lakonischen Fotos fest, was andere übersehen, und visualisiert den ewigen Konflikt zwischen Idee und Realität, zwischen Entwurf und Benutzung. Mit Empathie und Humor reflektiert sie die Ambitionen von Architektur und Stadtplanung, in kritischer Distanz, aber mit großer Liebe zum Material.
Das Coverbild dieser Ausgabe zum Thema Eigentum zeigt zwei Wiener Zinshäuser, deren ornamentierte Fassaden verzahnt ineinander übergehen, und doch ihre Eigenständigkeit (und ihre unterschiedlichen Besitzverhältnisse) betonen. Der repräsentative Stuck erschwert dieses Beharren auf Trennung, und lässt die Komposition wie ein missglücktes 3D-Modell wirken.
Für die Doppelseite ihres Kunstinserts hat Pedrina eine Installationsansicht ihrer letzten Präsentation in Wien gewählt. Für den Büro- und Lesebereich des Kunstraums Franz Josefs Kai 3 hatte sie eine Wandinstallation konzipiert, die – ins Bücherregal eingefügt – Miniaturversionen und Modelle ihrer Werke zeigt. Gitterstellwände mit Fotos, Billboards, auf denen Architekten ihre Modelle betrachten, Architekturdetails, vergrößert und wieder miniaturisiert, Figuren in verschiedenen Maßstäben, die betrachten und urteilen, Hunde-Memes, und die Tante der Künstlerin, im Lounge-Chair zwischen Plastilin-Ziegelmauern sitzend.
Gerahmt ist der Beitrag von eisernen Konstruktionen, die sich organisch an Fassaden schmiegen, dienend und doch eigenwillig parasitär. Ein Geländer, das die Besucher:innen der Kirche zur Allerheiligsten Dreifaltigkeit in der Wiener Alser Straße zum Eingang geleitet, eine Laterne an einer Salzburger Hauswand, deren eigener Schatten ihr geisterhaft zur Seite steht und an Martin Kippenbergers Skulptur Laterne an Betrunkene gemahnt.
Der Künstler und Autor Michiel Huijben schreibt in Architekturfotografie II: »Time tends to accumulate on the boundaries of architecture. It gathers on the surfaces of materials, not through design or style, but simply through its own passing. Things break, scratch, scuff, dent. They fade, warp, rust, and discolour. Such change can speed up with neglect or slow down with maintenance, but time cannot. When our surroundings stop changing, when they show no wear and tear, time itself seemingly stops.« Pedrinas Werk bezieht ihr kritisches Potenzial aus dem Aufzeigen und Würdigen dieser Momente von Zeitlichkeit, die Profit, Perfektion und Optimierung zuwiderlaufen. Ihre Fotos, wiewohl durchaus instagramtauglich (Empfehlung: @piancabedrina), sind Dokumente des Widerstands, des menschlichen wie des materiellen.
Unlängst ging im Kunstverein Siegen die Duo-Ausstellung Schiefe Schiefer von Maruša Sagadin und Bianca Pedrina zu Ende, demnächst sind Pedrinas Arbeiten unter anderem im EAC (les halles) in Porrentruy sowie im Künstlerhaus Wien zu sehen (Imagine Climate Dignity, Februar 2025). Architekturfotografie II und weitere Bücher der Künstlerin sind über ihre
Webseite zu bestellen.
Bianca Pedrina
Andreas Fogarasi ist bildender Künstler und Redakteur von dérive.