Ohne Cockring aber dafür mit Blick auf Petržalka
Laut Erwin und Hansi bin ich, lateinamerikanische Hetero-Gastarbeiterin in Wien, ungefähr das Gegenteil von einem noch nicht operierten transsexuellen Mann: ein vom Schicksal schwer angeschlagener, schwuler Mann im Gefängnis eines weiblichen Körpers. Erwin und Hansi sind zwei schwule Wiener Freunde von mir, die gemäß des im österreichischen Parlament vertretenen Volkswillens aufgrund ihres Lebensstils nicht ernst zu nehmen sind und die, sollte der tragische Fall eintreten, keine Genehmigung bekommen würden, den anderen Partner beim Sterben in einem dem österreichischen minderheitenfeindlichen Staat gehörenden Krankenhaus zu besuchen.
Laut Erwin und Hansi bin ich, lateinamerikanische Hetero-Gastarbeiterin in Wien, ungefähr das Gegenteil von einem noch nicht operierten transsexuellen Mann: ein vom Schicksal schwer angeschlagener, schwuler Mann im Gefängnis eines weiblichen Körpers. Erwin und Hansi sind zwei schwule Wiener Freunde von mir, die gemäß des im österreichischen Parlament vertretenen Volkswillens aufgrund ihres Lebensstils nicht ernst zu nehmen sind und die, sollte der tragische Fall eintreten, keine Genehmigung bekommen würden, den anderen Partner beim Sterben in einem dem österreichischen minderheitenfeindlichen Staat gehörenden Krankenhaus zu besuchen. Wenn es überhaupt von einem Bezug zwischen dieser nicht eingetragenen, gleichgeschlechtlichen Partnerschaft (und von ihnen aus, soll es auch so bleiben, auch wenn es gesetzmäßig nach dem sakrosankten kakanischen Volkswillen ginge) und Petržalka gibt, dann ist dies sicherlich nur der des Sextourismus. Im Grunde genommen ist es in Österreich eigentlich schlimmer: sogar kakanische außerparlamentarische Linkslinke mit Hirn würden die Nase mitteleuropäisch rümpfen, wenn sie in einer Intellektuellen-Zeitschrift über Stadtforschung eine vorbehaltlos positiv eingestellte Kolumne über Sextourismus als interkulturelles Stadtphänomen zwischen den Großstädten Wien und Bratislava lesen würden. Es gibt Schmerzgrenzen.
Über so eine Grenze (wie kann frau denn sonst die Grenze von diesem präpotenten, egoistischen, heuchlerischen und mit Vetos drohenden Schwarz-Blau-Österreich mit seinen östlichen Nachbarn nennen?) fuhren Erwin und Hansi früher nach Bratislava, besonders oft Anfang der Neunzigerjahre, auf Sexjagd nach noch nicht faul gewordenem Ost-Schwul-Fleisch. Ich durfte ein paar Mal mitfahren. Das Ganze fand ich äußerst aufregend. Frau fuhr samstags kurz nach 11 Uhr abends weg von Wien. Gegen Mitternacht war nichts los an der Grenze und daher das Ziel unser aller Gelüste in nicht einmal einer Stunde Reichweite. Erwin und Hansi duldeten meine Präsenz, unter anderem, weil sie es wahnsinnig witzig fanden, wie schwul mein weiblicher Blick auf Männer ist, anscheinend eine lobenswerte Charakterstärke, wenn frau ursprünglich fast aus dem kolumbianischen Dschungel stammt.
Bratislava ist nach meinem persönlichen Empfinden so hässlich, dass nur die Zukunft dort zählen kann. Gegenüber dem wunderschönen aber zuckersüßen Museumsstück Wien hat Bratislava also einen klaren Vorteil. Das architektonisch Hässliche und von der Stadtplanung her Misslungene wird im Falle Bratislava routinemäßig am Beispiel Petržalka thematisiert. Hinter Petržalka steckt aber wenigstens ein architektonisches Gesamtprojekt mit gesellschaftspolitischen Intentionen ersten Ranges, das schon aufgrund seines Misserfolges interessant und der ausführlichen Beobachtung und Studie wert ist. Zynisch ausgedrückt könnte frau meinen, dass das Hässliche an sich von dieser Plattenbausiedlung wegen ihres großen intellektuellen Ausschöpfungspotenzials für Architekturinteressierte à la dérive-Leserinnen postmodern relativiert und entkräftet wird, wobei der intellektuelle Blick aus dem Hässlichen an Petržalka Schönheit hineinzuinterpretieren wagt. Wenn ich im Ancien Régime eine Fabrikarbeiterin ohne Perspektiven aus Banska Bystrica in der Mittelslowakei gewesen wäre, hätte ich mich auf eine erschwingliche, winzig kleine Wohnung mit Heizung und Warmwasser in Petržalka sicherlich sehr gefreut. So etwas haben wir im Dschungel nie gehabt (maricón el que no me crea). Was eine »Sextouristin« wie mich in Bratislava aber staunen lässt, ist die graue Charakterlosigkeit einer Stadt, wo Petržalka nicht das Schlimmste ist, mit seinen runtergekommenen Plattenbauten und seinen zusammengebrochenen Infrastrukturen, wo nur die Unterklasse der Unterklasse die unterste Klasse, i.e. die Roma-Bevölkerung, rassistisch schikaniert und von ihr bei der erstmöglichen Gelegenheit rechtens ausgeraubt wird, sondern eher die Vermutung, die jeder Bratislava-Besucherin (auch wenn sie sich in der Stadt nur nachts auf dem Weg in eine Sex-Spelunke aufhält) befällt, dass das »Petržalkasche« die ganze Stadt infiziert hat und ihr Erscheinungsbild am stärksten prägt. Dass Bratislava per se Petržalka ist.
Diese bedauernswerte Ausgangsbasis erklärt für mich aber teilweise einen klaren Erfolg dieser Stadt. Bratislava hat sich für mich rasant entwickelt (von einer rabiaten Moderne kommunistischer Natur in eine konfliktreiche Postmoderne in nur zehn Jahren) und Wien punktuell bereits übertroffen. Ich kenne Bratislava natürlich nur aus dem Gesichtspunkt des schwulen Sextourismus, wobei ich jetzt fairerweise aber ziemlich gleichgültig zugestehen möchte, dass Sextourismus für viele Menschen kein Kriterium ist, um den Entwicklungsgrad einer Stadt zu messen.
Dieser rasanter Fortschritt lässt sich in drei Entwicklungsphasen klassifizieren:
Erste Phase: Rücktritt in eine Meciar-Vormoderne ohne Cockrings Jahre nach der so genannten Wende gab es noch keine wirklich offen schwule Subkultur in Bratislava. Dann fing es an. Die Slowakei war schon unabhängig. Ein Mal im Monat organisierte eine lokale Aids-Hilfeorganisation zwecks Sammeln von Geldern für Aids-Kranke ein lesbischwules Clubbing im »Kamel«, einer »Disko« (was damals für uns verwöhnte Westler eher den Flair eines oberösterreichischen Bierzeltes hatte), die, weit weg vom Zentrum, in der seelenlosen Plattenbausiedlung Karlova Ves an der damals noch Trieda Ladislava Novomeského genannten und dann auf Karloveská umbenannten Großallee, nicht leicht zu finden war. Dann kam Meciar. Trotzdem spielte es dort weiter unter dem »Deckmantel« der Aids-Hilfe Granada mit Sodoma-Höhen und Gomorrha-Tiefen (eine richtig politisch-kämpferische, schwule Organisation hätte es vielleicht in finsteren Meciar-Zeiten nicht so leicht gehabt, Genehmigung bzw. Gelder für so viel Mykonos inmitten der zentraleuropäischen Wüste zu organisieren). Polizeistreifen hielten an, um zu sichern, dass das, was drinnen geschah, sich draußen zum öffentlichen Ärgernis nicht wiederholen durfte. Über diese Veranstaltung wurde in den Wiener schwulen Medien rechtzeitig informiert, sodass Erwin und Hansi sich oft vor lauter Begrüßungsritualen mit Bekannten leider wie an der Rechten Wienzeile im Wiener Rosalicht-Bezirk vorkamen.
Die Wiener und Niederösterreicher kamen in der Plattensiedlung auf ihre Rechnung. Sextourismus ist zweifelsohne völkerverbindend. Bald sagte keiner von uns mehr »Preßburg«, aus Respekt für die Fremde. Erwin und Hansi fühlten sich auf jedem Fall sehr innig verbunden mit einem Bratislavaer One-Night-Stand, der uns ein unvergessliches Mal zu sich in seine Wohnung auf dem kleinen Hügel des »gutbürgerlichen« Viertels zwischen Staré Mesto und Horský Park mit Blick auf die Stadt einlud (diese Schwulen mögen schon sehr diskriminiert sein, besonders in Transitionsländern aber sie richten es sich oft sehr schön ein, meine Damen und Herren!!). Während die drei im Schlafzimmer Völkerverbindendes erledigten, versuchte ich im Wohnzimmer zu schlafen. Vorher schaute ich lange am Fenster auf die Donau und dahinter in der relativen Ferne auf das faszinierend trostlose und irgendwie schöne Petržalka in der Nacht. Der Hit des Abends war aber nicht Petržalka (meinen Freunden war die von mir dann fast poetisch beschriebene, traurige Schönheit von Petržalka noch im Mondeslicht trotz der späten Stunde ziemlich schnuppe), sondern zweifelsohne die Tatsache, dass unser Bratislavaer Gastgeber damals noch nicht gewusst hat, was ein Cockring ist, was die Speicheldrüse meiner Freunde vor lauter Erregung vor dem Faszinosum der kognitiven Unschuld zum Überlaufen der Mundwinkel motivierte. Die Geschichte vom Cockring-Ignoranten aus Bratislava hat sich bei uns allen drei stark eingeprägt und ist zum Symbol der endgültigen »Öffnung« des Ostblocks im schwulen Sinne geworden.
Dann kam die zweite Phase, die für mich langweiligste (ich fuhr dann kaum mehr mit), weil Bratislava das Stadium einer angeblichen westlichen Modernität erreicht hatte. Meciar war noch an der Macht aber wenn frau ins »Apollon«, das Modelokal damals, in der zentral und praktisch gelegenen Panenská-Straße ging, fühlte frau sich wie in Wien, weil überall zähnefletschende Gays à la Viktor Klima sich gegenseitig anlächelten (die rohen Zeiten von »Kamel«, als Bratislavaer Schwule und Lesben noch nicht ganz gay & »happy« waren und sich sogar noch niedersaufen konnten, waren endgültig vorbei).
Bratislava stand vor kurzem vor der Entscheidung: Entwickeln wir uns und Bratislava in dieser Richtung weiter, indem unsere Schwulen das andauernde Sich-Anlächeln à l´autrichienne zur Perversion erhöhen und Clons von Benita Ferrero-Waldner werden, oder brechen wir trotz Petržalka, oder eben weil wir nur Petržalka haben und nur Petržalka sind und daher auf nichts zu achten haben, in Richtung neue Ufern? Ich war im Mai dieses Jahres in einem neuen schwulen Lokal in der Kolárska-Straße, weil Hansi mir darüber begeistert erzählt hatte (Erwin ist nicht mehr mit von der Partie).
Hansi, der österreichische Sextourist par excellence, der sein Vergnügen sehr K&K-österreichisch oft in den ehemaligen Kronländern sucht, erzählt seit langem, dass Prag Wien übertroffen hat. Prag, wo Homos und Lesben schon lange fast skandinavisch gleichgestellt sind und dabei sind, den modernen Kampf um Gleichberechtigung bald abschließen zu können, ist ein postmodernes, schwules Zentrum geworden, das Leute aus ganz Europa (und sogar aus den USA, wo frau (?), O.K., wo Mann anscheinend nicht genug von tschechischen Gay-Pornofilmen der Sonderklasse kriegen kann) anzieht.
Budapest etabliert sich (Hansi dixit) im Mitteleuropa als die Stadt mit den besten, unkonventionellen, postmodernen und selbstironischen »drag-shows« (abgekupfert ohne Komplexe von den »more sophisticated gay paradises«), wo schwule Lokale sich gegenseitig an Darbietungen der besonderen Art konkurrenzieren. Das schließt natürlich nicht Errungenschaften der schwulen Moderne wie Sex-Saunas, Jack-Off-Parties, Darkrooms usw. aus, so etwas gibt es sogar in Wien, aber deutet auf eine distanzierte Selbstbearbeitung der eigenen Identität, eine postmoderne Infragestellung des eigenen Ichs, wo der primäre Zweck der Lokale (Partner und Freunde zu suchen oder zu treffen) eigentlich sekundär wird auf Lasten von einer genussvollen und politisch unkorrekten Selbstdarstellung. Mann geht ins Lokal wegen der tollen Show, wo Mann unter anderem über One-Night-Stands lacht, nicht hauptsächlich wegen des möglichen One-Night-Stands selbst. Diese Lokale ziehen immer mehr Budapester Heteros an.
Der Hit im schwulen Modelokal in Mai in Bratislava war die Mitternachts-Show, deren Höhepunkt eine Hetero-Porno-Nummer von einem Mann und (igitt!!) einer Frau war (beide komplett nackt, er mit Cockring !!!, na schau ...), die sich aber stark an Usancen und Symbolik der Homosexualität anlehnte; es war, sozusagen, ein mit einem schwulen Blick pervertierter Zugang zur Heterosexualität. Die schwule, aufgegeilte Masse dort war begeistert. So einen Grad an postmoderner Übersteigerung hat mein lieber Freund und Sextourist Hansi in einem Wiener schwulen Lokal nie gesehen, sagt er. Trotz Europride. Die Vorstellung, dass zum Beispiel bei der Europride-Abschluss-Party im Museumsquartier in Juni so eine Nummer möglich hätte sein können, mutet waghalsig an. Die Europride-VeranstalterInnen wären sicher von der Wiener schwulen und lesbischen Meute, noch mit modernen, starren Sicherheiten behaftet, noch im gay & happy schwulen Ghetto wohnend, aus dem neuen und trotzdem noch peinlich vormodernen Musemsquartier weggejagt worden.
Bratislava mag Petržalka sein, diese immer offenere Stadt weiß aber schon längst, wozu ein Cockring gut ist, und zeigt für mich jetzt dem in sich gekehrten Wien, wo es damit lang geht.
Antonia Ramirez