OUT OF SHIT!
Kunstinsert von ZTOHOVENDas Kunstinsert dieser Ausgabe stammt von der vermutlich bekanntesten tschechischen Performancegruppe ZTOHOVEN um die Künstler Roman Týc, Tomáš Jasný und Matej Hajek. Das seit 2002 bestehende Kollektiv setzt sich aus einer Kerngruppe von fünf bis zehn Künstler*innen zusammen, die sich je nach Projekt auf bis zu 100 Personen erweitern kann. Meist verwenden die Künstler*innen Deck- bzw. Künstlernamen wie Ector Khon, Daniel Gerous, Petr Žílka, Roman Týc, Otto Horši oder Tomáš Jasný, die doppeldeutig interpretierbar sind. Der Name der Gruppe selbst kann als Programm gelesen werden und bedient sich eines Wortspiels. Er bedeutet so viel wie »Raus hier« (Z toho ven) oder ›Sto Hoven‹ (engl.: One hundred shits) bzw. nach eigenen Angaben einfach »out of the shit«.
Die Projekte von ZTOHOVEN sind meist politisch angelegt, wobei sie sich nicht scheuen, auch tagespolitische Themen anzuvisieren. Präzise Recherche und minuziöse Vorbereitung sind genauso wie Symbolkraft, Unverfrorenheit und Humor Merkmale ihrer Arbeit. Bei Citizen K schafften sie es 2010, ihre Identitäten zu vermischen, indem zwölf ihrer Mitglieder mit dem selben Haarschnitt Fotoporträts machten. Mithilfe von Morphing-Software verschmolzen sie jeweils zwei Gesichter zu einem, in dem die signifikanten Gesichtszüge beider zu erkennen waren. Sie beantragten neue Ausweise und benutzten jeweils den Namen eines Kollegen. Zwölf Monate lang lebten sie unter dieser fiktiven Identität. Sie verwendeten ihre Ausweise, um an Wahlen teilzunehmen, ins Ausland zu reisen, einige beantragten sogar einen Waffenschein damit. Nach einiger Zeit enthüllten sie in einer Ausstellung ihre geheimen Identitäten einschließlich der Dokumentation des gesamten Prozesses des Projektes.
Bei einem früheren Projekt (2007) wurde ein gefaktes Video, das eine Atomexplosion zeigt, mittels Hacking in die Wettervorhersage des öffentlich-rechtlichen Fernsehens für das Riesengebirge eingespielt. Es entstand kurze Panik, bevor sich die Sache aufklärte. Vielfach haben ihre Projekte ein gerichtliches Nachspiel, das sie bewusst in Kauf nehmen. In mancher Hinsicht erinnern die Aktionen von ZTOHOVEN an jene der Münchner Gruppe Spur in den 1960er Jahren – mit dem Unterschied, dass bei ZTOHOVEN die Arbeit mit den Medien einen sehr großen Teil der Projekte ausmacht.
In dérive stellen wir ein Projekt vor, das eine sehr hohe mediale Präsenz erreicht hat und sich direkt in das tagespolitische Geschehen Tschechiens eingeschrieben hat. Bei *Red Underpants – Decentralization of Power (Criminal court) *oder die Schmutzige Wäsche des Präsidenten sind Mitglieder von ZTOHOVEN, verkleidet als Rauchfangkehrer, vorbei an allen Sicherheitsbeauftragten auf die Prager Burg gestiegen, um die tschechische Flagge zu demontieren und stattdessen eine überdimensionale rote Boxershort zu hissen (siehe https://vimeo.com/ztohoven/trenky2). Die Aktion richtete sich in erster Linie gegen den Präsidenten Miloš Zeman. ZTOHOVEN warfen ihm mit der Aktion Behindertenfeindlichkeit, ein Naheverhältnis zu Oligarchen und Diktatoren und vieles mehr vor. Unter anderem auch, dass er einen anrüchigen russischen Ölhändler und einen chinesischen Geheimdienstoffizier in seinen Beraterstab berufen hat, womit sich die rote Farbe der Unterhose erklärt. In einem kurzen Gedicht, das über Twitter verbreitet wurde und Teil des Inserts ist, hat die Künstlergruppe die Motivation für diese Aktion im Nachhinein publik gemacht.
Seit 2015 steht ZTOHOVEN mit der russischen Gruppe Pussy Riot in intensivem Austausch. Eines der letzten abgeschlossenen Projekte, Pacman, bei dem sie ebenso interventionistisch agierten, beschäftigte sich mit Monokulturen und Genmanipulationen in der Landwirtschaft (siehe nächste Seite, Abbildung unten.)
Derzeit wird an einem Projekt, das sich mit unseren ›Footprints‹ beschäftigt, gearbeitet. Dazu kann aber momentan noch nicht mehr verraten werden.
ZTOHOVEN
Barbara Holub ist Künstlerin und Mitglied von transparadiso, einer Platform für Architektur, Urbanismus und Kunst.
Paul Rajakovics ist Urbanist, lebt und arbeitet in Wien.