Permanent Breakfast
Am Morgen des 1. Mai 1996 begann eine KünstlerInnengruppe um Friedemann Derschmidt öffentliche Räume zu befrühstücken und hörte nicht mehr auf damit. Die das Schneeballprinzip einbeziehende Grundidee ist schlicht und durchschlagend: Eine Person lädt zum Frühstück. Die geladenen Personen (in der Regel vier an der Zahl) verpflichten sich, am nächsten Tag (oder zum ihnen nächstmöglichen Zeitpunkt) jeweils ein weiteres öffentliches Frühstück abzuhalten, dessen Gäste wiederum ehebaldigst frühstücken und so fort. Tatsächlich wurde das öffentliche Frühstücken mehr und mehr Kult, konnten immer öfter Menschen beobachtet werden, die sich – auf Plätzen und in Parks, in leeren Springbrunnen und in freien Parklücken – um einen gepflegten Frühstückstisch versammelt hatten, wovon neben der Vielzahl von mündlich überlieferten Frühstücken hunderte von postalischen Rückmeldungen nebst Fotos (u. a. von FrühstückerInnen aus Prag, Berlin, Oslo, Taichung und New York) zeugen
Entstehung und Idee
Am Morgen des 1. Mai 1996 begann eine KünstlerInnengruppe um Friedemann Derschmidt öffentliche Räume zu befrühstücken und hörte nicht mehr auf damit. Die das Schneeballprinzip einbeziehende Grundidee ist schlicht und durchschlagend: Eine Person lädt zum Frühstück. Die geladenen Personen (in der Regel vier an der Zahl) verpflichten sich, am nächsten Tag (oder zum ihnen nächstmöglichen Zeitpunkt) jeweils ein weiteres öffentliches Frühstück abzuhalten, dessen Gäste wiederum ehebaldigst frühstücken und so fort. Tatsächlich wurde das öffentliche Frühstücken mehr und mehr Kult, konnten immer öfter Menschen beobachtet werden, die sich – auf Plätzen und in Parks, in leeren Springbrunnen und in freien Parklücken – um einen gepflegten Frühstückstisch versammelt hatten, wovon neben der Vielzahl von mündlich überlieferten Frühstücken hunderte von postalischen Rückmeldungen nebst Fotos (u. a. von FrühstückerInnen aus Prag, Berlin, Oslo, Taichung und New York) zeugen.
Wirkung
Erwünschte Frühstückswirkungen mannigfaltiger Natur konnten beobachtet werden: Der öffentliche Raum verändert sich merklich, wenn er befrühstückt wird. Die Frühstückenden beginnen, ohne viel Zutun, allein durch ihre Anwesenheit, mit dem Umraum zu kommunizieren, ihr eigenes Medium zu sein, Platz zu greifen, Raum zu nehmen, Raum buchstäblich zu besitzen und ihn bloß durch sich selbst oder aber auch mit einem Anliegen zu besetzen. Es wird kundgetan, weitererzählt, wiedergefrühstückt. Das Spiel geht weiter, solange jemand den Faden aufnimmt.
Versammlungsrecht und Erlaubniskultur
PassantInnen und NeofrühstückerInnen sind immer wieder leicht zu verblüffen, wenn wir erklären, dass das konkrete Frühstück, das sie gerade sehen, nicht angemeldet ist, also nicht behördlich genehmigt wurde. Tatsächlich haben wir – mit Ausnahme eines nächtlichen Candlelight-Breakfasts – noch nie ein Frühstück angemeldet. Etwas zu tun, das nicht explizit erlaubt wurde, gilt gerne als sehr mutig, wenn nicht gar als grenzlegal. Als Reaktion hören wir dann oft: »So etwas wäre aber bei uns (in Gramatneusiedl, in Luxemburg, in Deutschland, etc.) nicht möglich!« Wenn wir so unfreiwillig in die etwas kuriose Rolle geraten, lebender Beweis für die besondere Liberalität der österreichischen Gesetzgebung zu sein, respektive für die Liberalität der österreichischen oder speziell der Wiener Exekutive, gibt uns das Gelegenheit zu sanftem Widerspruch und zu der Aufforderung, die Unmöglichkeit des Frühstückens im eigenen Umfeld doch einmal zu testen. Denn tatsächlich ist sie Gesetzeslage nicht so trist, wie sie oft imaginiert wird.
Der Verfassungsgerichtshof wertet eine Zusammenkunft mehrerer Menschen nur dann als Versammlung im Sinne des VersG (Versammlungsgesetz, 1867; 1953), wenn diese in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Diskussion, Manifestation usw.) zu bringen, so dass eine gewisse Assoziation der Zusammengekommenen entsteht (VfGH, Slg. 4586/63, 5193/66, 5195/66, 8685/79, 9783/83, 10443/85, 10 608/85, 10 955, 11 651/88, 11 866/88, 11 904/88, 11 935/88, 12 161/89). Eine Versammlung ist – mit anderen Worten ausgedrückt – ein Augenblicksverband als planmäßige Ansammlung einer Mehrzahl von Menschen in einer nicht institutionalisierten Gemeinschaft (vergl. Winkler, S. 199, 212, 229, 272); oder, das Zusammenkommen von Menschen (auch auf Straßen) zum gemeinsamen Zweck der Erörterung von Meinungen oder der Kundgabe von Meinungen an andere, um sie zu einer gemeinsamen Aktion zu veranlassen (vgl. Deutsches BVerfG 11.6.1991 ! EvR772/90, EUGRZ 1991, S 363); oder, die kollektive Meinungsäußerung mit dem Ziel geistiger Auseinandersetzung.
Der gemeinsame Wunsch, beieinander zu sein und beieinander zu bleiben, ist für eine Versammlung im engeren Sinn wesentlich, mögen auch die TeilnehmerInnen untereinander streiten. Unwesentlich ist, ob die Zusammenkunft vorher geplant war oder spontan erfolgte.
So weit die verfassungsrechtlich verbrieften Rechte zur kollektiven Nutzung des öffentlichen Raumes, die im Rahmen der Frühstücke gelegentlich auch explizit thematisiert werden (beispielsweise anlässlich der Fragen der PassantInnen nach der Genehmigung der Frühstücke), die in der Regel aber einfach durch die Praxis des Frühstückens implizit geklärt werden, indem sich erweist, dass diese Form der Nutzung – ganz einfach – möglich ist.
Abseits der rechtlichen Fragen ist aber Frühstücken auch ein hervorragendes Werkzeug, um die eigenen Vorstellungen und Modelle zur prinzipiellen Nutzbarkeit öffentlicher Räume auszuweiten. Die gängige Erlaubniskultur, also die Annahme nur was explizit erlaubt sei, sei nicht verboten, zieht die Grenzen der eigenen Möglichkeiten meist wesentlich enger als notwendig und weicht vorauseilend realen oder imaginierten Konflikten aus. Dieser Sicherheitsabstand gegenüber nicht explizit erlaubten, nicht vorformulierten Verhaltensweisen, gegenüber nicht oder noch nicht etablierten Modellen ist kulturell tief verankert. Auch wir haben immer noch ein wenig Lampenfieber, wenn wir besonders prominente Orte befrühstücken. Immer noch rechnen wir damit, dass diesmal aber doch ein Polizist auftauchen könnte, mit dem eine Debatte geführt werden muss, oder der versucht, uns zu vertreiben, obwohl wir es nach Jahren gegenteiliger Erfahrungen besser wissen könnten. In diesem Sinne kann es in der Praxis von Permanent Breakfast auch nicht darum gehen, ein neues Verhaltensmodell in der Öffentlichkeit zu etablieren, also das Modell des öffentlichen Frühstückens. Es geht nicht darum, PassantInnen über das richtige also vielleicht couragiertere staatsbürgerliche Verhalten zu belehren. Vielmehr geht es darum, eine Palette von Möglichkeiten aufzufächern und anzuregen, so dass neue und den jeweiligen Bedürfnissen adäquate Nutzungen im öffentlichen Raum entworfen und umgesetzt werden können.
Dadurch entstehen selbstverständlich Forderungen an den Raum, an die Qualität des Raumes. Aus unserer Sicht lautet diese Forderung nicht, wie es einem ja auch einfallen könnte, Equipment für unsere Nutzung auf Straßen, Plätzen oder in Parks zu installieren, also etwa Tische und Sessel zum Frühstücken dauerhaft anzubringen. Was sich vielmehr aus der Praxis des Frühstückens, aus der Suche nach geeigneten Orten ergibt, ist die Forderung nach flexiblen Räumen, die nicht eine Nutzung vorgeben, sondern viele Nutzungen in Eigenregie ermöglichen. Das ist, und darüber möchten wir keinen Zweifel aufkommen lassen, eine politische Forderung, denn was könnte politischer sein, als die Frage nach der Verfügungsmacht über Ressourcen, zumal über öffentliche Ressourcen und öffentliche Räume.
Öffentlichkeit und Scheinöffentlichkeit
In der Praxis stößt der oder die Frühstückende also eher selten an die Grenze dessen, was die Exekutive toleriert bzw. tolerieren muss. Wesentlich öfter kann man hingegen Bekanntschaft mit privaten Sicherheitsdiensten machen, wenn man an entsprechenden Orten Tisch, Sessel und Kaffeekanne aufbaut. Von der zuständigen Security des Hofes verwiesen wurde ein Frühstück im Museumsquartier – mit dem Hinweis darauf, dass das Gelände von einer privaten Gesellschaft betrieben wird. Auch die ÖBB lässt ihr nicht genehme Personen und Aktionen vom Bahnhofsgelände entfernen. Ein Recht sich hier zu versammeln, wie es für öffentliche Räume gilt, gibt es in diesen privaten Räumen selbstverständlich nicht. Spannend ist dabei einerseits, dass diese privaten Räume eine Mimikry der Öffentlichkeit betreiben, wenn es den kommerziellen Interessen ihrer BetreiberInnen dient. Im Shopping Center Nord gab es beispielsweise Straßenschilder in der Mall, die auf Straßen und Plätze im ersten Bezirk verwiesen, es gibt Verkaufsstände, die formal Marktbuden nachbilden neben Gartensesseln und Sonnenschirmen, unter denen ein bekannter Autohersteller seine neuesten Modelle verkaufte. Die Bilder von Öffentlichkeit, die hier aufgerufen werden, sind offensichtlich attraktiv und werden gerne genutzt, um KundInnen anzuziehen. Diese Bilder können durchaus verschleiern, dass wesentliche Momente von Öffentlichkeit hier fehlen, allen voran das schlichte Recht, sich in diesen Räumen aufzuhalten. Genau genommen brauchen die privaten BetreiberInnen oder BesitzerInnen nicht einmal eine Begründung, um ihnen nicht genehme BesucherInnen des Ortes zu verweisen. In dieser Scheinöffentlichkeit kann keine Demonstration stattfinden, hier dürfen sich keine SandlerInnen aufhalten und es gibt natürlich auch kein Recht darauf, dass sich Augenblicksverbände wie die oben angesprochenen formieren. Solange man nur shoppen will (mit einer Bankomatkarte ausgestattet ist und womöglich keine abschreckende Hautfarbe hat), ergibt sich aus diesen Einschränkungen kein Problem. Aber scheinbar mögen sich auch die zahlenden KundInnen der großen Shoppingcenter nicht auf die Rolle der reinen KonsumentInnen reduzieren, so dass man ihnen städtisches Ambiente und wenigstens ein paar Icons des öffentlichen Raumes anbieten muss.
Eine andere Art von Scheinöffentlichkeit ist jünger als SCS und SCN und bricht mit einer gewissen Perfidie durch die Hintertür herein: die Privatisierung ehemals öffentlicher Institutionen. Zugegeben, in der Nationalbibliothek konnte man auch früher keinen Frühstückstisch aufbauen. Aber seit der Umwandlung der Nationalbibliothek in eine Privatgesellschaft muss für den Eintritt bezahlt werden, was eindeutig klärt, dass der zweckfreie Aufenthalt hier nicht mehr vorgesehen ist. Wo nicht mehr nur einzelne Museen, einzelne Institutionen und Häuser privatisiert werden, sondern, wie im Museumsquartier, gleich das ganze Gelände mit Stumpf und Stiel, wird die Situation noch sonderbarer. Man ist noch gewohnt, diese Orte als öffentlich zu denken und wird ohne Anlass kaum gewahr, dass sie es nicht (mehr) sind.
Diese beiden Phänomene – also die Tarnung privater, kommerzieller Räume als öffentlich und die Umwandlung öffentlicher Orte in privat verwaltete – machen es zunehmend schwierig, überhaupt noch festzustellen, in welcher Art von Raum man sich bewegt. Permanent Breakfast ist ein sehr brauchbarer Lackmustest, um sich des Charakters der Öffentlichkeit zu vergewissern. Denn zu frühstücken heißt immer auch, auf dem Recht zu bestehen, sich versammeln zu dürfen, sich öffentlich artikulieren zu dürfen und öffentliche Ressourcen nutzen zu dürfen.
Wo gefrühstückt werden kann, ist Öffentlichkeit und vice versa: Ein Raum, zumindest ein Freiraum, der nicht befrühstückt werden kann, ist kein öffentlicher Raum. »Ort und Zeitpunkt einer Versammlung erregen ein unmittelbares gesellschaftspolitisches Spannungsfeld zwischen der nationalen Gesetzgebung bezüglich der Nutzung des öffentlichen Raumes und den Wirkenden (vgl.: Burggartenbesetzung in den frühen 1980ern). Ein Frühstück im öffentlichen Raum ist somit immer auch als politischer Akt anzusehen.« (Walter Pucher)
Horror vacui
Zum Glück gibt es, trotz staatlicher Sparmaßnahmen und neo-konservativ motivierter Reorganisation öffentlicher Institutionen, noch reichlich öffentlichen Raum, der befrühstückt werden kann. Straßen, Plätze, Parks, Verkehrsinseln, Kurzparkzonen, die Strudelhofstiege und Bushäuschen der Wiener Linien.
Selbstverständlich sollen die schönen Orte, die gelungenen Plätze genutzt werden, gerade auch die ehemals herrschaftlichen Räume. Die Stadt gehört dir. Jedes Jahr am ersten Mai frühstücken wir am Heldenplatz. Eine alltägliche Handlung wie das Frühstücken auf dem Areal der Hofburg stattfinden zu lassen, spielt auch mit dem Bild des Souveräns, der einst ein Kaiser war, und der das weite Areal der Burg nutzen konnte, um seine privaten Bedürfnisse zu befriedigen. Souverän sein könnte also auch bedeuten, sich den sinnlichen Genuss dieser Räume aneignen zu können, alltäglich. Schönbrunn für alle, nicht nur zur touristischen Betrachtung, zum Fotografieren, sondern um darin zu leben.
Verlässt man die Burggärten in Richtung der alten und neuen Vorstädte, wird es oftmals eng. Nicht immer aus Platzmangel. Ein Phänomen, dem wir oft begegnen, haben wir Horror vacui genannt, die Angst vor dem leeren Platz. Denn man könnte fast als Regel formulieren, dass überall dort, wo besonders wenig Platz ist, verlässlich irgendetwas im Weg steht. Ein Blumenkistl, ein Tulpenbeet, eine Bank, ein Brunnen, irgend ein Stück Kunst. In der Regel in der Mitte des Platzes. Möglicherweise wurden diese Dinge dort platziert, um dem Souverän einen sinnlichen Genuss zu verschaffen, damit nicht jedes Mal, wenn ihn das Bedürfnis nach etwas Schönem angreift, er sich zur Hofburg oder nach Schönbrunn oder ins Museum begeben muss. Möglicherweise sind diese Dinge aber auch dort, um gar nicht erst den Verdacht aufkommen zu lassen, dass dieser Ort benutzt werden könnte. Der Souverän, der an jedem halbwegs schönen Frühlingstag seine ehemaligen Jagdgründe im Prater aufsucht, um in hellen Scharen am Gras zu riechen, zu skaten, Ball zu spielen, zu musizieren und zu picknicken, könnte sonst nämlich auf die Idee kommen, gleiches auch an diesem Ort zu tun. Vielleicht ist es aber auch so, dass sehr viele jener Menschen, die ihr Dasein mit der Planung und Behübschung solcher Plätze verbringen, an einer Spielart der Platzangst leiden, die ihnen verbietet das Objekt ihrer Gestaltung leer zu lassen. Nichts ist besser geeignet, diese Angst zu zerstreuen, als ein gedeckter, gut platzierter Frühstückstisch.
Friedemann Derschmidt
Ursula Hofbauer