Planung im Zeichen von Konflikt und Demokratie
Besprechung von »Stadtkonflikte — Radikale Demokratie in Architektur und Stadtplanung« von Gabu HeindlGabu Heindl
Stadtkonflikte — Radikale Demokratie in Architektur und Stadtplanung
Wien: Mandelbaum, 2020
20 Euro, 270 Seiten
Gabu Heindl ist eine politisch denkende und handelnde Architektin. Mit ihrem Büro mit Sitz in Wien ist sie dafür bekannt, sich auch öffentlich zu gesellschaftspolitischen Themen zu äußern und sich in politischen Initiativen wie beispielsweise den Donnerstagsdemos gegen die spätere Ibiza-Koalition in Österreich zu engagieren. Deswegen überrascht es nicht, dass sie nun — basierend auf ihrer Dissertation — ein Buch über radikale Demokratie in Architektur und Stadtplanung veröffentlicht hat. Die Publikation von Dissertationen für ein Lesepublikum außerhalb des eigenen wissenschaftlichen Umfelds ist ein wichtiger Akt für die Vermittlung und Diskussion von universitärem Wissen. Die Transformation in ein Buch ist jedoch keine einfache Aufgabe, steht im Vordergrund doch nicht mehr der Nachweis der eigenen wissenschaftlichen Kompetenz, sondern die Aufbereitung des Erforschten für eine breitere Leser*innenschaft, die durch einen sparsamen Umgang mit diskursspezifischen Begrifflichkeiten erleichtert wird.
Gabu Heindl nimmt ihre Leser*innen mit auf eine Reise durch ihre Forschungen, immer auf der Suche nach Möglichkeiten und Voraussetzungen radikaldemokratischer Planung. Zentrale Wegweiser sind ihr dabei die seit etlichen Jahren breit rezipierten Arbeiten von Chantal Mouffe und Ernesto Laclau sowie deren Umfeld, ebenso wie Jacques Rancière, Hannah Arendt, Gayatri Chakravorty Spivak und natürlich Deleuze, Foucault, Derrida. Trotz dieser breiten Basis an Forschungsliteratur vermisst man Denker*innen, die eine andere Perspektive auf das Thema entwickelt haben — auch in Auseinandersetzung mit Mouffe und Laclau, wie in den letzten Jahren beispielsweise Mark Purcell, der nur ganz am Rande erwähnt wird.
Die zentralen geistigen Eckpfeiler des Politikverständnisses der Autorin, »das wesentlich postfundamentalistisch, auf Hegemoniekonflikt hin orientiert und radikaldemokratisch ist«, ziehen sich durch das ganze Buch. Damit verknüpft ist ihre Umkehrung des neoliberalen PPP, Public Private Partnership, in ein eigenes, markantes PPP, das sie mit Politik, Planung und Popular Agency buchstabiert. Mit Bezug auf die Beschriftungen der Wiener Gemeindebauten des Roten Wien betont Heindl auch die Wichtigkeit von »einprägsamen Einschreibungen von Politik und ihren Manifestationen im öffentlichen Raum«. Die eigene PPP-Kreation scheint im Zeitalter der Ökonomie der Aufmerksamkeit somit ein schlüssiger Versuch, Inhalte schlagwortartig auf den Punkt zu bringen.
Im Mittelpunkt des Buchs steht die Frage nach der Möglichkeit individuellen Handelns, das Finden der eigenen Rolle als Planerin, als politisch denkendes und agierendes Subjekt, die Positionierung im gesellschaftlichen Feld. Gabu Heindl wirft einen Blick auf historische Versuche von Planer*innen, ein anderes Selbstverständnis in der Praxis umzusetzen, wie das beispielsweise im Fall des Advocacy Planning (Anwaltsplanung) der Fall war, bei der sie betont, dass diese Planungspraxis »parteiisch« im Sinne der »künftigen Nutzer*innen, Anrainer*innen und Betroffenen« agierte. Klarerweise tritt Heindl für eine Planung ein, die »Verantwortung übernimmt«, ebenso wie für die »radikale Infragestellung der eigenen Autorität/Expertise«, ein Punkt, der allerdings keine intensivere Auseinandersetzung findet.
Eine tiefgreifende Analyse der aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse, welche die Basis für aktuelle Stadtkonflikte bilden, findet abseits vom Verweis auf neoliberale Praktiken nicht statt, was man als Leser*in aber nicht unbedingt vermisst, weil die Eckpunkte ohnehin als bekannt vorausgesetzt werden können. Schade ist allerdings, dass die Behandlung tatsächlicher gegenwärtiger Stadtkonflikte — zumindest was Ereignisse in Wien anbelangt — eher in Form einer Werkschau erfolgt. Dabei hätte es auch in der jüngsten Vergangenheit bestens geeignete Beispiele abseits der eigenen Involvierung der Architektin gegeben, an denen man die Rolle und Möglichkeiten der Planung bzw. die gesellschaftliche Rolle des*der Architektin anschaulich hätte darstellen können.
Als großes historisches und natürlich bestens geeignetes Beispiel dient Heindl das Rote Wien anhand dessen sie unterschiedliche kritische Positionen von u. a. Manfredo Tafuri diskutiert und ihre eigene Sicht darlegt. Diese reicht von der Verteidigung der Erfolge (gegenüber z. B. Tafuri) als »zeitweilige[n] ,Sieg‘ im Hegemoniekonflikt« bis zur nur wenig verständlichen Kritik am Punktesystem für die Wohnungsvergabe. Manchmal führt ihre Begrifflichkeit zu Argumentationen, die nur innerhalb ihrer eigenen Erklärungswelt sinnvoll sind. Etwa dann, wenn sie »radikalistischen« Kritiker*innen des Roten Wien entgegenhält, dass die »politische Dimension sozialer Konflikte, gesellschaftlicher Antagonismen nicht einfach wegfällt«, wenn politische Kämpfe weniger konfrontativ geführt werden. Es ist nicht anzunehmen, dass es den erwähnten Kritiker*innen darum gegangen ist, die »politische Dimension« zu bestreiten.
International dient Heindl der Neue Munizipalismus als Referenz: »Das Projekt testet radikale Demokratie durch kritisch gehandhabte Repräsentation wie auch durch lokale Teilhabe-Formate wie Nachbarschaftsräte oder partizipative Budgets.« Ein in jedem Fall wichtiges Beispiel, das gerade auch für die Verhältnisse in Wien wichtige Anregungen bereit hält, auch wenn der Stern des Neuen Munizipalismus mittlerweile nicht mehr ganz so hell strahlt wie noch vor ein paar Jahren.
Ganz bewusst erhebt Heindl für sich den Anspruch auf eine Gratwanderung zwischen dem eigenen radikalen theoretischen Anspruch und »teilerfolgreichen Verwirklichungen«. In der Praxis setzt sie auf Bündnisse und Allianzen durchaus auch mit Stadtverwaltungen, will jedoch trotzdem »möglichst nah an den politischen Konflikten und gesellschaftlichen Mobilisierungen« sein. Gabu Heindls Buch Stadtkonflikte reichert einen Diskurs an, der jeden neuen Beitrag zu Möglichkeiten einer Demokratisierung der urbanen Gesellschaft brauchen kann. Gerade auch von und für Planer*innen — schließlich nehmen sie im Bereich der Stadtplanung und - entwicklung eine ganz besondere Position ein.
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.