Gabriele Marth

Jo Schmeiser


Wer spricht?

In welcher gesellschaftlichen 
 Position ist die Sprechende? 
 Wer hat oder nimmt sich 
 die Definitionsmacht?

Wie kann die eine die andere beschreiben? Wer ist die andere? Wer die eine? 
 Hat jede Zugang zu

bestehenden Öffentlichkeiten?

Welche Öffentlichkeiten 
 können sie herstellen?

Jede für sich? Zusammen? Oder?

Einleitung

Es folgen Ausschnitte aus einem Text vom August 2000, in dem wir über antirassistische feministische Öffentlichkeitsarbeit in Österreich, über ihre Möglichkeiten und Grenzen nachdenken. Viele der Überlegungen in unserem Text waren und sind Überlegungen zu antirassistischer feministischer Arbeit, aber auch Anknüpfungspunkte an ein Wissen, das von MigrantInnen[1] erarbeitet wurde. Ohne dieses Wissen, das wir uns in Diskussionen und Kooperationen mit feministischen Migrantinnen aneignen konnten und können[2], hätten sie wohl kaum formuliert werden können. Wir möchten an dieser Stelle allen danken, die ihr Wissen um antirassistische Politiken und Praktiken mit uns geteilt haben.[3] Ihr Engagement ist die Grundlage des folgenden Textes.

Struktureller Rassismus: Teilhabe und Profit der Mehrheitsgesellschaft[4]

Zwischen VertreterInnen der Dominanzgesellschaften und MigrantInnen bestehen asymmetrische Machtverhältnisse. In antirassistischen Kontexten werden diese Machtverhältnisse und die daran geknüpften Privilegien jedoch nach wie vor beharrlich ignoriert. Es ist zwar mittlerweile selbstverständlich geworden, die Repräsentation von MigrantInnen als Grundvoraussetzung für antirassistische Politik anzuerkennen. Doch stellt sich nicht nur die Frage nach dem numerischen Verhältnis von Majoritären zu Minoritären. Es steht vielmehr zur Debatte, wie Differenzen und Asymmetrien ausverhandelt werden und welche Politikformen aus dieser Auseinandersetzung mit dem großen Maßstab, der majoritären Position in der Gesellschaft, resultieren. Für die Weigerung von Majoritären, sich mit Unterschieden zu beschäftigen und strukturelle Konsequenzen zu ziehen, wie sie MigrantInnen mehrfach gefordert und vorgeschlagen haben, sind gewiss nicht nur die patriarchalen Strukturen verantwortlich, die in diesen Kontexten herrschen.[5]

Wie partizipieren nun Frauen der Mehrheitsgesellschaft an der rassistischen und sexistischen Diskriminierung bzw. Ausbeutung von Migrantinnen? Vor dem Hintergrund der Thematik des Frauenhandels und der Frauenarbeitsmigration[6] ist festzuhalten, dass frauenspezifische Dienstleistungen in den westlichen Industriestaaten vermehrt an Migrantinnen delegiert werden. Frauen des Westens[7] wollen oder müssen diese traditionell Frauen zugewiesenen Reproduktionsarbeiten, u. a. aufgrund von strukturellen Frauenförderungsprogrammen, zunehmend nicht mehr leisten. Oder aber ihre Arbeitsleistung ist Unternehmern aufgrund (wenn auch geringfügiger) arbeitnehmerinnenrechtlicher Schutzbestimmungen zu teuer. Anna Kowalska weist darauf hin, dass dies die rassistischen Grundlagen der Geschlechterverhältnisse in der westlichen Welt ausblendet und so die »Illusion der Gleichberechtigung und der Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau in den so genannten Privathaushalten« aufrecht erhält.[8] Die Arbeit illegalisierter Migrantinnen in österreichischen Haushalten, im Reinigungsgewerbe und anderen traditionell Frauen zugeschriebenen Bereichen ist demzufolge als Delegation von Reproduktionsarbeit zu begreifen – als Emanzipation der weißen weiblichen Bourgeoisie, ermöglicht durch die rassistischen und sexistischen Strukturen ihres Staates, ihrer Gesellschaft.

Auch in politischen Kontexten, die sich als explizit feministische begreifen, ist die Reflexion darüber, inwiefern majoritäre Frauen von der Rechtlosigkeit der MigrantInnen profitieren und dadurch rassistische Staatspolitiken mittragen, oft alles andere als selbstverständlich. So berichtet Annita Kalpaka von einer Veranstaltung mit dem Titel »Rassismus als Thema für Feministinnen«, in der sie für eine rechtliche Gleichstellung von EinwanderInnen als notwendige Voraussetzung für gesellschaftliche Veränderung argumentierte: »Diese Aussage stieß auf Kritik seitens sich als radikalfeministisch definierender Frauen, die in einer solchen Gleichstellung eine Stärkung des ,türkischen Patriarchats‘ in der BRD sehen. Es wurde argumentiert, die geforderte Gleichstellung die mit der Gewährung des Wahlrechts, und der Verfestigung des aufenthaltsrechtlichen Status dieser »Machos« einherginge, stärkte deren Position. ,Solche Männer‘ würden dann aus besseren Positionen heraus ihre Frauen weiterhin unterdrücken können, sie womöglich zum Verschleiern zwingen und – was nicht explizit gesagt wurde, aber doch anklang – vielleicht auch eines Tages deutsche Frauen verschleiern wollen. Das hiesige Patriarchat schneidet wieder mal gut ab. Jener Staat, dem feministische Frauen das Recht und die Kompetenz absprechen, über sie, über ihren Körper, ihre Gebärfähigkeit etc. zu bestimmen, gegen den sie explizit kämpfen, erscheint in diesem Fall als willkommener Verbündeter; er soll eingreifen, Rechte verweigern, abschieben, um feministische Positionen und Errungenschaften zu garantieren (wenn wir schon ,unsere‘ Männer nicht abschieben können, dann wenigstens die fremden).«[9]

Ein Hauptgrund, warum Frauen, die sich als Feministinnen bezeichnen, derartige Positionen vertreten, liegt unseres Erachtens in einem unreflektierten humanistischen Verständnis von Antirassismus, d. h. jenem paternalistischen Ansatz antirassistischer Arbeit, der MehrheitsvertreterInnen als engagierte UnterstützerInnen und MigrantInnen als zu betreuende Opfer denkt. Selbst wenn Migrantinnen an majoritären feministischen Initiativen beteiligt sind, wird ihre Partizipation in diesen meist auf bestimmte Tätigkeitsfelder, Themenbereiche oder Positionen reduziert. So kritisieren feministische Migrantinnen immer wieder, dass sie als »Rassismusexpertinnen« eingebunden werden, die Zusammenarbeit jedoch nicht fortgeführt wird, wenn es um so genannte »allgemeinere« Themen geht.[10] Einerseits bedeutet eine solche Konzeption von »Beteiligung« die Fortsetzung paternalistischer Bevormundung. Andererseits wird dadurch auch die Illusion eines Ortes außerhalb rassistischer Strukturen gefestigt. Dieser Ort existiert nicht. Jede majoritäre Feministin, die ihn für sich beansprucht, stärkt damit ihre privilegierte gesellschaftliche Position und reproduziert gleichzeitig die rassistische Politik ihres Staates, ihrer Gesellschaft. Denn Rassismus wird von offizieller Seite gerne individualisiert, als etwas dargestellt, das nur mit einer Einstellung, einer Haltung von Einzelpersonen zu tun habe.

Ein weiteres Hindernis für eine antirassistische feministische Politik ist die Fiktion von »Gleichheit« oder »Gleichberechtigung« in Kooperationen zwischen Migrantinnen und Mehrheitsösterreicherinnen.

Denn die Asymmetrien und Ungleichheiten, die die Mehrheitsgesellschaft strukturieren, wirken auch auf soziopolitische Mikrozusammenhänge. So lassen sich die Privilegien, über die majoritäre Frauen verfügen, nicht individuell abgeben. Ein Beispiel zweier Frauen mit gleicher Ausbildung und Qualifikation: Die eine kann, aufgrund ihrer StaatsbürgerInnenschaft, ihres Weiß-Seins eine Karierre an der Universität verfolgen. Die Arbeitsmöglichkeiten der anderen werden, aufgrund ihres Migrationshintergrunds, ihres Nicht-Weiß-Seins auf die Arbeit in einer Beratungsstelle begrenzt.

Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsarbeit in der antirassistischen feministischen Praxis

Öffentlichkeit wird meist als ein feststehender, gegebener Raum gesehen, dem ein bestimmtes Wissen zur Verfügung gestellt wird, um spezifische Informationen zu verbreiten. Demzufolge wird unter Öffentlichkeitsarbeit in erster Linie Medienarbeit verstanden. Öffentlichkeitsarbeit wird als »Hinausgehen« in die dominante Öffentlichkeit imaginiert[11], um möglichst viele Personen anzusprechen und zu erreichen. Vernachlässigt wird in dieser Sichtweise nicht nur, dass Öffentlichkeiten veränderbar sind und RezipientInnengruppen sich analog zur jeweiligen Öffentlichkeitsarbeit als spezifische Publika konstituieren. Es wird zudem ausgeklammert, dass Frauenprojekte und feministische Zusammenhänge selbst bereits Öffentlichkeiten sind. Denn diese betrachten sich nur selten als solche. Das Wissen bzw. das Selbstverständnis, dass Frauenprojekte und feministische Zusammenhänge Öffentlichkeiten darstellen und darüber die Teilhabe an der dominanten Öffentlichkeit einfordern bzw. auf diese auch Einfluss nehmen können, ist im deutschsprachigen Raum noch kaum verbreitet.

In diesem Sinne ist eine Auseinandersetzung mit Theorien über feministische Öffentlichkeiten notwendig, wenn antirassistische feministische Konzepte und Politiken weiter entwickelt und ihre gesellschaftliche Etablierung vorangetrieben werden soll. Im Alltag bleibt für solche Arbeit jedoch meist zu wenig Zeit. Ein Grund dafür ist der Druck, auf aktuelle sozialpolitische Ereignisse direkt reagieren zu müssen. Ein anderer ist die mangelnde Bereitstellung von materiellen und symbolischen Ressourcen seitens des Staates / der Gesellschaft. Gleichzeitig wird der Arbeit gegen Rassismus und Sexismus, die die antirassistischen feministischen Gruppen für die Gesellschaft (und eben nicht nur für die so genannten Betroffenen[12]) leisten, kaum allgemeine gesellschaftliche Bedeutung zuerkannt. Antirassistische feministische Arbeit – und als Teil derselben auch Öffentlichkeitsarbeit – ist als grundlegender Faktor der sozialen und politischen Arbeit an der Gesellschaft zu sehen und entsprechend zu entlohnen. An dieser Stelle ist jedoch festzuhalten, dass breite Öffentlichkeit nicht als das Ziel an sich gesehen und gesetzt werden kann. Sichtbarmachung in der dominanten Öffentlichkeit oder auch in spezifischen Teilöffentlichkeiten ist nicht per se positiv. Denn die Intentionen der Öffentlichkeitsarbeit stimmen mit ihren tatsächlichen Effekten nicht notwendigerweise überein.

»Wenn man demokratische Gesellschaftsentwürfe (...) über Bedingungen der Artikulation und diskursive Kämpfe um Anerkennung und Ressourcen definiert, stellen Öffentlichkeiten den entscheidenden Ort der Aushandlungen dar. Statt jedoch in ein Loblied auf das zivilgesellschaftliche Ideal der umkämpften Öffentlichkeiten zu verfallen, soll ein kritischer Blick auf die Grenzen des Öffentlichkeitskonzeptes geworfen werden. Denn zum einen übersetzen sich politische Artikulationen in der Öffentlichkeit keineswegs automatisch in Veränderungen der rechtlichen und sozio-strukturellen Ordnung – und schon gar nicht in solche, die die Konstruktion der nationalen Einheit und die Institutionen staatlichen Rassismus anfechten. Zum anderen gibt es Formen antirassistischer Praxis, die sich nicht entlang ihrer Öffentlichkeitswirksamkeit bemessen lassen bzw. für die Öffentlichkeit sogar ein Risiko darstellt.«[13] So kann beispielsweise mediale Berichterstattung über die Situation illegalisierter MigrantInnen von Repression seitens der Behörden bis hin zu Abschiebung führen, anstatt, wie intendiert, einen Beitrag zur Verbesserung des rechtlichen Status Illegalisierter, ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen in Österreich zu leisten. Zudem kann eine Veröffentlichung auch die Arbeit der beratenden Gruppe oder Organisation gefährden.[14]

Indem Antke Engel auf die Grenzen des Öffentlichkeitskonzepts verweist, wirft sie zwei für die antirassistische feministische Öffentlichkeitsarbeit wesentliche Fragen auf:

  • Wann ist Öffentlichkeitsarbeit sinnvoll – zu welchen Themen, in welcher Form und in welchen Kontexten soll sie geschehen?
  • Wie kann Öffentlichkeitsarbeit strukturelle Veränderungen rassistischer und sexistischer Strukturen der Mehrheitsgesellschaft vorantreiben? Für die antirassistische feministische Praxis bedeutet eine Auseinandersetzung mit diesen Fragen, die Rahmenbedingungen und Funktionslogiken der jeweiligen Medien und Öffentlichkeiten, in denen bestimmtes Wissen sichtbar gemacht werden soll, mitzudenken[15] und entsprechende Strategien der Sichtbarmachung zu entwickeln – auf rhetorischer, visueller und textueller Ebene. Die Infragestellung von Bildmaterial und Begrifflichkeiten, mit denen spezifische Themen vermittelt werden sollen, ermöglicht antirassistischen feministischen Projekten, den Konstruktionscharakter von Repräsentationen zu erkennen und sie als Gemachtes und zu Veränderndes zu begreifen. Zudem können so die möglichen Bedeutungen für Rezipientinnen anhand konkreter Beispiele diskutiert und adäquate, den eigenen Praxen entsprechende Beschreibungsformen erarbeitet werden. Und nicht zuletzt kann auch der Mythos objektiver Information dekonstruiert und ein anderer Öffentlichkeits-, Repräsentations- und Politikbegriff dagegen gesetzt werden.

Feministische Forschung zu Öffentlichkeit und Gesellschaft

Feministische Öffentlichkeitstheorien haben seit den sechziger und siebziger Jahren eine grundsätzliche Kritik an den bürgerlichen, liberalen Definitionen von Öffentlichkeit erarbeitet.[16] Ein zentraler Ansatzpunkt dieser Kritik ist die Dichotomie von Privatheit und Öffentlichkeit, die in den bürgerlichen, liberalen Öffentlichkeitstheorien weder thematisiert noch infrage gestellt wird.[17] Kurz zusammengefasst, lässt sich die feministische Kritik bürgerlich-liberaler Öffentlichkeitstheorien mit dem Slogan »Das Private ist politisch« auf den Punkt bringen, wie er von der Frauenbewegung der siebziger Jahre geprägt und im Laufe der Jahre von Feministinnen immer wieder aufgegriffen, erweitert und unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen neu diskutiert wurde.[18] Auch heute wird Öffentlichkeit gemeinhin immer noch als Gegensatz zum Privaten gedacht. Die Forderung nach Analyse der gesellschaftlichen Implikationen dieser Dichotomie sowie nach ihrer (zumindest teilweisen) Überwindung ist somit nach wie vor aktuell.

Nancy Fraser weist darauf hin, dass privat und öffentlich »nicht einfach gesellschaftliche Sphären [bezeichnen]«, sondern »kulturelle Klassifikationen und rhetorische Etiketten [sind]«, die sich im politischen Diskurs als machtvolle Instrumente einsetzen lassen, um »manchen Interessen, Ansichten und Themen die Legitimation zu entziehen und andere aufzuwerten.«[19] Über den Ein- oder Ausschluss von Interessen, Ansichten und Themen in die/aus der dominante/n Öffentlichkeit wird auch die Möglichkeit zu Partizipation und Mitbestimmung in einer hierarchischen Gesellschaft[20] reguliert. Ein Ausschluss bestimmter Anliegen aus der dominanten Öffentlichkeit bedeutet nicht notwendigerweise eine Privatisierung im engen Sinn einer Ausklammerung aus der öffentlichen Debatte. Er kann auch über eine Personalisierung (das Zuweisen von Betroffenheit: Rassismus und Sexismus wird als Problem der Diskriminierten anstatt als Problem der Mehrheitsgesellschaft repräsentiert) oder eine Spezialisierung (das Delegieren von Zuständigkeit und Verantwortung: Rassismus und Sexismus wird als Thema von ExpertInnen anstatt jeder/jedes Einzelnen in der Gesellschaft dargestellt) von Themen erfolgen.

Wenn dominante Definitionen von Privatheit im politischen Diskurs machtvolle Instrumente sind, wie Fraser zeigt, so hängt die Möglichkeit von Minoritären oder Ethnisierten zu gleichberechtigter politischer, sozialer und ökonomischer Partizipation auch wesentlich davon ab, wie diese Gruppen oder Individuen Privatheit denken, d. h. in welches Verhältnis zu den etablierten Definitionen und Bedeutungen von Privatheit sie ihre öffentlichen Artikulationen stellen, welche Gegenkonzepte sie entwickeln und welche Strategien sie entwerfen, um Zuschreibungen und Klassifizierungen zurückzuweisen. Gleichzeitig allerdings erfordert egalitäre Artikulation und Partizipation einen sukzessiven strukturellen Umbau der herrschenden Öffentlichkeit durch die VertreterInnen der Mehrheitsgesellschaft.

Das heißt, dass Minderheiten der Zugang zur Artikulation in der herrschenden Öffentlichkeit garantiert werden muss. Neben solchen strukturellen Maßnahmen sind aber auch Formen der Öffentlichkeitsarbeit zu entwickeln, die die Teilhabe von Staat und Mehrheitsgesellschaft an der Fortschreibung rassistischer und sexistischer Strukturen thematisieren, angreifen und zudem gesellschaftliche Veränderungen in Kampagnen, Analysen, und Dokumentationen vorstellbar machen.

Dieser Beitrag wurde redaktionell gekürzt und bearbeitet; der ausführliche Text von Gabriele Marth und Jo Schmeiser erschien auf Deutsch in: Leonie Baumann, Adrienne Goehler, Barbara Loreck (Hg.), Remote Sensing. Laboratories of Art and Science. Berlin: 2002; sowie auf Englisch in: Marion von Osten, Peter Spillmann (Hg.), Money Nations. Constructing the Border – Constructing East-West. Wien: 2003

Marth starb im Juni 2002. Ich möchte ihr diesen unseren Text widmen. Ihr und allen, die sie kennen und vermissen. Allen, die Marths Denken, ihre Liebe, ihre Freundschaft, ihre Kraft und vor allem ihre Fähigkeit vermissen, so viele Andere teilhaben zu lassen – Frauen, Mädchen, Lesben, MigrantInnen, Kings, Butches, Femmes, Männer, Transgender-Personen, Burschen, Queens, Anders Gegenderte oder wie immer ihr euch nennt oder genannt werdet. Lest diesen Text als Begehren, als Forderung, die Marth weitergegeben, verändert und reartikuliert haben wollte. Als ein Begehren, mehr zu wissen, zu überdenken, zu kämpfen, anders zu lieben, sich einzusetzen, ... und all das gemeinsam mit Anderen zu tun.

Fußnoten


  1. MigrantInnen, Minoritäre, Ethnisierte: In antirassistischen und feministischen Zusammenhängen hat sich der Begriff »MigrantInnen« mittlerweile etabliert. Doch ist dieser Begriff nicht per se weniger diskriminierend als z. B. »AusländerInnen.« Wir haben uns für den Begriff »MigrantInnen« entschieden, um an eine Selbstbezeichnung anzuknüpfen, die eine politische Praxis und Geschichte der Selbstorganisation markiert. ↩︎

  2. Ich verwende hier das Wort »Aneignung«, um deutlich zu machen, dass jedes von MigrantInnen gelernte Wissen Majoritären beruflich und karierretechnisch nützt. Dies hat weniger mit individueller Intention als mit gesellschaftlicher Positioniertheit zu tun. Wenn ich mich als Majoritäre mit Rassismus beschäftige, so wird das in Mainstreamkontexten als politisches Engagement oder als kritische Forschung anerkannt. Einer Migrantin hingegen wird unterstellt, Rassismus würde »nur sie betreffen«, ihr Engagement läge somit »in ihrem eigenen Interesse« und sei daher kein Beitrag von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. ↩︎

  3. Hier seien vor allem die feministischen Migrantinnenorganisationen hervorgehoben, auf deren theoretische und praktische Arbeit wir uns im Wesentlichen beziehen: FIZ – Fraueninformationszentrum für Frauen aus Afrika, Asien und Lateinamerika Zürich, MAIZ – Autonomes Zentrum von und für Migrantinnen in Oberösterreich, sowie LEFÖ – Lateinamerikanische Emigrierte Frauen in Österreich. Für Diskussionen und wichtige Hinweise Dank an Johanna Schaffer. ↩︎

  4. Mehrheitsgesellschaft, Majoritäre, MehrheitsösterreicherInnen: Der Begriff »mehrheitsösterreichisch« ist unsere lokale Übersetzung des Begriffs »mehrheitsdeutsch«, den FeMigra folgendermaßen begründen: »Wir beziehen uns hier auf den Hilfsbegriff, den Gotlinde Magiriba Lwanga (1993) vorgeschlagen hat, um Aufzählungen wie ,weiß, deutsch, christlich säkularisiert usw.‘ zu vermeiden, die wieder nur ein Nebeneinander suggerieren, und die Betonung mehr auf die soziale Position (der Mehrheit oder der Minderheit angehörig) zu legen.« FeMigra (Feministische Migrantinnen, Frankfurt), Wir, die Seiltänzerinnen. Politische Strategien von Migrantinnen gegen Ethnisierung und Assimilation, in: Cornelia Eichhorn / Sabine Grimm (Hg.), Gender Killer. Texte zu Feminismus und Politik, Berlin 1994, S. 63. ↩︎

  5. Wir konzentrieren uns hier auf die frauenspezifischen Aspekte dieses Fragenkomplexes. Mit der Frage, wie Männer patriarchale rassistische Strukturen (re)produzieren, haben wir uns an anderer Stelle ausführlich beschäftigt; vgl. Gabriele Marth / Jo Schmeiser (Hgg.), Vor der Information Nr. 7/8: Staatsarchitektur, und Vor der Information Schwerpunktnummer: Antirassistische Öffentlichkeiten. Feministische Perspektiven, Wien 1999/2000. Vgl. zudem Gutiérrez Rodríguez 1999. ↩︎

  6. María Christina Boidi, Philosophin und LEFÖ-Mitbegründerin, stellt Frauenhandel in den Zusammenhang makropolitischer und makroökonomischer Strukturen und wendet sich gegen die problematische Simplifizierung, Frauenhandel sei gleich Prostitution. Siehe María Christina Boidi, »Wenn wir von Frauenhandel sprechen, sprechen wir von Frauenarbeitsmigration«, und Maritza Le Breton, »Globalisierung frauenspezifischer Dienstleistungen«, in: Gabriele Marth / Jo Schmeiser (Hgg.), Vor der Information Nr. 7/8: Staatsarchitektur, Wien 1998, S. 18-25 und S. 208-219. ↩︎

  7. Der Begriff soll die Asymmetrie zwischen Frauen aus dem hoch industrialisierten Norden und Migrantinnen aus dem Süden und Osten verdeutlichen. Mit dieser Asymmetrie sind u. a. natürlich auch klassenspezifische Differenzen verbunden. ↩︎

  8. Anna Kowalska: Ergänzung des Textes »Wenn wir von Frauenhandel sprechen, sprechen wir von Frauenarbeitsmigration«, in: Gabriele Marth / Jo Schmeiser (Hg.), Vor der Information Nr. 7/8: Staatsarchitektur, Wien 1998, S.19f. ↩︎

  9. Annita Kalpaka, »Die Hälfte des geteilten Himmels: Frauen und Rassismus« in: Olga Uremovic, Gundula Oerter (Hgg.), Frauen zwischen Grenzen. Rassismus und Nationalismus in der feministischen Diskussion, Frankfurt/M / New York 1994, S. 43f. ↩︎

  10. Siehe dazu diverse Veröffentlichungen von Hito Steyerl, u. a: »Eliminatorischer Exotismus. Besserweissi fuck off«, in: Zweite Hilfe, München Frühjahr 1997, S. 37-39, sowie: »über jemand reden«, ein Gespräch zwischen Hito Steyerl und Helmut Draxler, in: springer, Hefte für Gegenwartskunst, Band III, Heft 2, Wien Juni-September 1997, S. 34-38. ↩︎

  11. Die dominante Öffentlichkeit wird – wie das Sprechen von »der Öffentlichkeit« deutlich macht – meist auch als die einzige Öffentlichkeit gedacht. Anderen Öffentlichkeiten wird so Relevanz bzw. Existenz abgesprochen. ↩︎

  12. Zum Begriff der »Betroffenheit«: Aus der Position der MehrheitsösterreicherInnen ist es problematisch, von Diskriminierten oder Marginalisierten als »Betroffenen« zu sprechen. Denn der Begriff beschreibt sie als Objekte und konnotiert ihre Handlungsunfähigkeit. Wenn MigrantInnen von »Betroffenheit« sprechen, benennen sie eine konkrete Struktur der Ausgrenzung bzw. deren Effekt auf konkrete Frauen, Männer und Kinder. Damit geben sie diesem Begriff eine ihrer politischen Arbeit und Positionierung entsprechende Bedeutung. Vgl. dazu: MAIZ (Autonomes Zentrum von und für Migrantinnen in Oberösterreich), »Niemand ist tabula rasa / Nadie es tabula rasa«, in: Gabriele Marth / Jo Schmeiser (Hg.), Vor der Information Nr. 7/8: Staatsarchitektur, Wien 1998, S. 310-317. ↩︎

  13. Antke Engel, »Queer-feministische und kanakische Angriffe auf die Nation. Antirassistische Praktiken und das Konzept der StaatsbürgerInnenschaft«, in: Gabriele Marth / Jo Schmeiser (Hg.), Vor der Information Schwerpunktnummer: Antirassistische Öffentlichkeiten. Feministische Perspektiven, Wien 1999/2000, S. 5. ↩︎

  14. Für eine Auseinandersetzung mit dieser Problematk siehe den Text von Franck Düvell, der zudem eine hervorragende Analyse staatlicher Illegalisierungspolitik im europäischen Vergleich leistet: »Illegaler Aufenthalt. Illegalisierte Lebens- und Arbeitsbedingungen. Ein Diskurs im Überblick«, in: Gabriele Marth / Jo Schmeiser (Hg.), Vor der Information Nr. 7/8: Staatsarchitektur, Wien 1998, S.174-183. ↩︎

  15. Dies schließt auch die Reflexion der RückkoppelungseffekteRückkoppelungseffekte – das heißt der Wirkungen, die das In-einer-bestimmten-Öffentlichkeit- sprechen- Wollen oder -Müssen auf die Sprechenden und ihre Kontexte hat, – mit ein. ↩︎

  16. Vgl. Sabine Lang 1995, 1997, Ute Gerhard 1997, Nancy Fraser 1994, 1996, Ina Paul-Horn 1998, Iris Marion Young 1994, Seyla Benhabib 1995, Brigitte Mazohl- Wahllnig 1996, Autorinnenkollektiv 1991, Gruppe Feministische Öffentlichkeit 1992. ↩︎

  17. Als prominente Vertreter bürgerlich-liberaler Öffentlichkeitstheorien seien hier Jürgen Habermas sowie Alexander Kluge und Oskar Negt genannt. Eine ausführliche, brillante Kritik an Jürgen Habermas' Standardwerk leistet Nancy Fraser u. a. mit ihrem Text »Öffentlichkeit neu denken. Ein Beitrag zur Kritik real existierender Demokratie«, in: Elvira Scheich (Hg.), Vermittelte Weiblichkeit, Hamburg 1996. ↩︎

  18. Siehe dazu beispielsweise Texte Zur Kunst, Schwerpunktnummer Feminismen, Köln September 1993, 3.Jg, Nr. 11. ↩︎

  19. Nancy Fraser, »Öffentlichkeit neu denken. Ein Beitrag zur Kritik real existierender Demokratie«, in: Elvira Scheich (Hg.), Vermittelte Weiblichkeit, Hamburg 1996., S. 171. ↩︎

  20. Siehe Encarnación Gutiérrez Rodríguez, »Seiltänzerinnen und Jongleurinnen. Antirassistische Öffentlichkeit von Frauen im Kontext von Diaspora, Exil und Migration«, in: Gabriele Marth / Jo Schmeiser (Hg.), Vor der Information Schwerpunktnummer: Antirassistische Öffentlichkeiten. Feministische Perspektiven, Wien 1999/2000, S. 9-12. ↩︎


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