Politische Utopie: queer gender oder Geschlechtslosigkeit?
Besprechung von »(K)ein Geschlecht oder viele? Transgender in politischer Perspektive« herausgegeben von polymorphpolymorph (Hg.)
(K)ein Geschlecht oder viele?
Transgender in politischer Perspektive
Berlin: Queerverlag, 2002
264 S., EUR 15.50
Die bipolare Trennung der Menschen in (nur) zwei Geschlechter ist kein Naturgesetz, sondern ein hetero-normatives Konstrukt. Diese systematische Einteilung ist historisch tradiert, verfestigt und politisch gewollte Realität. Die Anthologie liefert den Kontext zu dieser gesellschaftlichen Norm und dem damit einhergehenden Rechtssystem. An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert waren der Geschlechtsunterschied für die gesamte rechtliche und wirtschaftliche Verfassung des Staates konstitutiv (Meldewesen, Wahlrecht, Wehrdienst, Zugang zu Bildung und zu Ämtern usf.).
Vielschichtig wird von der interdisziplinären Gruppe »polymorph« zur Geschlechterdemokratie gearbeitet. Sie beleuchtet die medizinische, psychologische und rechtliche Praxis anhand von biologischen Störungsszenarien in der Dramaturgie der Zweigeschlechterordnung kritisch: »Transsexualität« stammt aus der Medizin und beschreibt die Machbarkeit der so genannten Geschlechtsumwandlung(en). Diese Wandlung wird von »Fachleuten« angewiesen und mit konservativen Geschlechtsrollennormen verordnet.
Solche hetero-normativen Kategorien nehmen den Einzelnen die Macht aus der Hand und unterwandern die Persönlichkeitsrechte. Die pathologisierende Einordnung des medizinischen Establishments erzwingt »schöne« Körper in einem konformen Körpertypus. Die gängige Praxis, an Neugeborenen und Kleinkindern chirurgische »Genitalkorrekturen« zur frühzeitigen »Entstörung« vorzunehmen, wird verurteilt. Wie medizinische Notfälle werden diese von der Ärzteschaft sofort behandelt bzw. verstümmelt. In Wirklichkeit entlarvt sich ein sozialer Notfall, die Angst vor Homosexualität und geschlechtlicher Vielfalt.
Solange Geschlecht und Geschlechterrepräsentation darauf beruhen, dass es ein »wahres« Geschlecht gibt, bleibt das Konstrukt einer Täuschung über ein solches »wahres« Geschlecht bestehen. Damit ist das weit verbreitete Bedürfnis nach männlicher oder weiblicher Identität und deren mächtige soziale Realität Anlass zur Diskriminierung. Die Modernisierung der Gesellschaft führt zur Forderung nach queeren Geschlechts- oder Geschlechtslosigkeitsutopien.
Das Buch verdeutlicht die Sinnhaftigkeit dessen, auch wenn eine »intergendered«- Identität für viele (noch) nicht vorstellbar ist. Es sammelt kostbare Positionen, bietet Reflexionen zur zweigeschlechtlichen Norm und will zu einer breiten Diskussion über die Genderpositionen einladen. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Intersexualität eröffnet wertvolle Räume und ein Spektrum an Denkmöglichkeiten. Sie gibt die Methoden an die Hand, mittels derer sich die Kritik der heterozentristischen Gesellschaftsordnung vollziehen lässt.
polymorph (Hg.)
(K)ein Geschlecht oder viele?
Transgender in politischer Perspektive
Berlin: Queerverlag, 2002
264 S., EUR 15.50
Udo W. Häberlin studierte Stadt- und Raumplanung u. a. bei Detlef Ipsen, Ulla Terlinden und Lucius Burckhardt in Kassel. Er arbeitet bei der Stadt Wien, Abteilung Stadtplanung und -entwicklung.