Postmoderne VII
Geschichte der Urbanität, Teil 41; Postmoderne VII. Die Stadt als Archipel der Kapseln, Teil 1Die Mitte der Stadt oder das Zentrum existiert in der Postmoderne allenfalls im geographischen Sinne, denn die Ganzheits- und Mittelpunktsillusion, die auf einen König gerichtet war und dessen phantasmatischer Ort das Zentrum gebildet hatte, ist heute vielleicht für den Städtetourismus von Bedeutung, nicht aber für die Synthese von Stadt und Gesellschaft. Allerdings gilt auch: »Die Königsstelle als der phantasmatische Ort, an dem das Ganze selbstdurchsichtig wüßte, was es ist und was es will, wird nicht kampflos geräumt.« (Sloterdijk 2004, S. 630) Der Widerstand gegen diese Mitte, die Herrschaft des Königs hatte zur Ausbildung neuer Zentren für die Massen geführt, wie es durch die Ereignisse der Französischen Revolution initiiert und durch zahllose Nachfolgebauten und Attraktoren imitiert wurde, um wiederum »Zentralität zu simulieren« (Sloterdijk 2004, S. 630 ). Peter Sloterdijk meint mit den Pseudozentren Orte mit synodalen Tendenzen, die große Motivationsströme anziehen, wie der Rote Platz in Moskau oder das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, aber auch das Olympiastadion von Athen, das Festspielhaus in Bayreuth und ähnliche mehr. In weiterer Folge prägt er den Begriff der Kollektoren für Orte, die keine Mitte mehr simulieren, aber von ebensolcher Anziehungskraft für die Massen charakterisiert sind, wie die Arena und das Stadion, aber auch Tagungsstätten von sozialen Verbänden oder Kongressgebäude. Insgesamt bezeichnet er die moderne Stadt als eine Foam City – eine Stadt des Schaums. Ein poetischer Begriff für die Raumvielheiten, die sich aus Kollektoren und Apartmentkomplexen zusammensetzen. (...)
Manfred Russo ist Kultursoziologe und Stadtforscher in Wien.